Es gibt weltweit wohl nur ein einziges Regelwerk, auf das sich alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und politischer Gesinnung verständigen können – und das sind die 17 Fußballregeln. Sie gelten global, sehen überall gleich aus und haben allerorten Gültigkeit. Für ihre Umsetzung sind die Schiedsrichter verantwortlich, jene von meiner Kollegin Elke Wittich dereinst liebevoll „Wochenendkommandierer“ genannten Pfeifenmänner und -frauen also, von denen es allein in Deutschland rund 78.000 gibt. Das heißt: Immerhin jeder tausendste Bundesbürger ist ausgebildeter Fußball-Referee. Was die Unparteiischen so alles wissen und beherrschen müssen, soll hier auf Sportswire in loser Folge vermittelt werden, in Form einer kleinen Regelkunde. Zwar wissen Wochenende für Wochenende Millionen von Fußballfans ganz genau, dass das in der 63. Minute natürlich ein glasklarer Elfer war und dass der Blinde mit der Fahne da draußen einfach keine Ahnung vom Abseits hat. Schließlich hat das die dreizehnte Superzeitlupe unzweifelhaft bewiesen. Aber sobald es ins Detail geht, stehen sie auf dem Schlauch. Und das muss natürlich nicht sein. Machen wir einen Anfang mit drei Spielsituationen, in denen jeweils gefragt ist, was der Schiri so alles entscheiden muss und wie das Spiel danach weitergeht:

1. In einem Kreisligaspiel zwischen Winfridia Mülheim und Germania Nippes hat ein Germane alles umdribbelt, was sich ihm in den Weg gestellt hat, auch den Torwart der Mülheimer. Aus zehn Metern schiebt er jetzt den Ball auf das verwaiste Tor. Hinter diesem Tor hat ein Fan der Winfridia das Unheil kommen sehen und deshalb einen beachtlichen Sprint hingelegt. Er rennt mit letzter Kraft auf den Platz und versucht, per Grätsche den Ball daran zu hindern, die Torlinie zu überqueren. Und tatsächlich kann er das Spielgerät auch noch berühren, aber es hoppelt trotzdem ins Gehäuse. Was nun? Zählt der Treffer oder nicht?

2. Zwanzig Meter vor dem Tor von Aktivist Brieske Senftenberg gibt es einen indirekten Freistoß für Bergmann Borsig Berlin, weil ein Senftenberger Aktivist mit einem zu hohen Bein in den Zweikampf gegangen ist, ohne dabei seinen Gegenspieler zu berühren. Der Berliner Freistoßschütze zimmert diesen indirekten Freistoß mit Macht direkt auf das Tor. Der Senftenberger Keeper kann den Ball nicht mehr erreichen, aber da steht ja noch ein Mitspieler von ihm auf der Torlinie. Der hechtet keeper-like nach dem Geschoss und bugsiert es gekonnt mit beiden Händen über die Querlatte. Die Lynchjustiz der Bergmänner kann der Referee gerade noch verhindern – aber was muss er jetzt unternehmen?

3. Ein Abwehrspieler des SV Schwetzingen liegt leicht verletzt hinter seiner eigenen Torauslinie und leckt dort seine Wunden. Während der Ball irgendwo im Mittelfeld gespielt wird, gerät er in ein Wortgefecht mit einem Stürmer des FC Rot. Infolgedessen reißt der angeschlagene Verteidiger wütend einen Grasbüschel samt anhaftendem Erdklumpen aus dem Boden und wirft ihn nach dem Angreifer der Roter, der im Schwetzinger Fünfmeterraum steht und von dem Wurfgeschoss im Gesicht getroffen wird. Der Schiri ist mit seinen Augen ganz woanders, aber sein Assistent an der Seitenlinie hat alles gesehen und wedelt schon aufgeregt mit seiner Fahne. Welche Entscheidungen wird er seinem Chef mitteilen, nachdem dieser das Spiel auf das Fahnenzeichen hin unterbrochen hat?

Auflösungen:

1. Das Tor zählt nicht, weil es sich um einen Eingriff eines so genannten Dritten handelt, der nicht zum Spiel gehört. Alles, was der Referee tun kann, ist, einen kümmerlichen Schiedsrichter-Ball zu geben, nachdem er den allzu aktiven Fan durch die Platzordner wieder vom Feld hat bringen lassen. Der Mülheimer Zuschauer hatte also Erfolg mit seiner Intervention, schließlich hat er das Tor verhindert, obwohl er den Ball nur streifen konnte. Die Welt ist manchmal ungerecht, und die Fußballregeln machen da keine Ausnahme.

2. Dass es wegen des Handspiels einen Strafstoß (im Volksmund auch „Elfmeter“ genannt) gibt, versteht sich von selbst. Interessanter ist die Frage nach der Farbe der Karte, die der Schiri dem Senftenberger Handspieler geben muss. Alles rechnet natürlich mit Rot – aber das ist falsch. Denn es wurde gar kein Tor verhindert: Wäre der Ball nach dem direkt ausgeführten indirekten (!) Freistoß der Berliner ohne weitere Berührung im Senftenberger Gehäuse eingeschlagen, hätte es nämlich einen Abstoß für die Aktivisten gegeben – aus einem indirekten Freistoß kann schließlich nicht direkt ein Tor erzielt werden. Deshalb bekommt der Handspieler auch lediglich die gelbe Karte. Wäre er einen Schritt zur Seite getreten und hätte er den Ball einfach ins Tor gehen lassen, wäre ihm sogar überhaupt nichts passiert.

3. Es wird die Rote Karte für den verletzten Schwetzinger geben (logisch, immerhin handelt es sich um eine Art Tätlichkeit) und außerdem einen Strafstoß für den FC Rot. Der Schwetzinger Abwehrrecke lag zwar außerhalb des Feldes und hat von dort aus mit Dreck geworfen. Aber nicht das ist entscheidend, sondern vielmehr die Frage, wo der Stürmer stand, als er von dem Matschklumpen getroffen wurde (oder werden sollte – da gibt es keinen Unterschied, weil schon der Versuch strafbar ist). Und da er sich im Strafraum der Schwetzinger aufhielt, gibt es zwangsläufig einen Elfer. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Ball zu dieser Zeit im Mittelfeld herumgekickt wurde. Der Linienrichter bekommt außerdem eine Belobigung für seine Aufmerksamkeit. Aber erst nach dem Spiel.

Kommentare

4 Kommentare zu “Fußballregeln – die unbekannten Wesen (1)”

  1. links for 2008-10-08 | Du Gehst Niemals Allein am 10.08.08 14:03

    […] Fußballregeln – die unbekannten Wesen (1) : SportsWire "Die Welt ist manchmal ungerecht, und die Fußballregeln machen da keine Ausnahme." (tags: regelkunde kreisklasse) […]

  2. Fußballregeln – die unbekannten Wesen (2) : SportsWire am 10.16.08 00:26

    […] Zum ersten Teil der kleinen Serie geht es hier. […]

  3. Fußballregeln – die unbekannten Wesen (3) : SportsWire am 10.28.08 13:37

    […] den bisherigen Teilen dieser kleinen Serie: [1], […]

  4. Fußballregeln – die unbekannten Wesen (8) : SportsWire am 03.16.10 19:47

    […] den bisherigen Teilen dieser kleinen Serie: [1], [2], [3], [4], [5], [6], […]

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