Die Niederlage auf dem Fubballfeld als willkommenes Fanal gegen die „Dekadenz“ der Nation: Der blamable Auftritt der französischen „Bleus“ bei der WM in Südafrika führt zu heftigen politischen Reaktionen und ideologischen Debatten. U.a. die extreme Rechte reibt sich die Hände: In ihren Augen ist das Scheitern der Nationalmannschaft nur das Spiegelbild einer Dekadenz der angeblichen Multikulti-Republik. Sekundiert wird ihr von (neo-)reaktionären Intellektuellen. 1. Teil des Artikels

Es war beinahe abzusehen, zu erwarten: Als Frankreich zuletzt Fubball-Weltmeister wurde, 1998, sprach alle Welt damals lobend von den Einwandererkindern unter Frankreichs Nationalkickern. Überall feierte man die Mannschaft unter dem Motto ,Black, blanc, beur’ (ungefähr: „schwarz, weiß, arabischstämmig“), denn ungefähr so sah das damalige französische WM-Team unter Zinedine Zidane auch aus. Der sportliche Erfolg fiel damals zudem in eine Zeit des wiedererwachenden Optimismus vieler Französinnen und Franzosen, nachdem seinerzeit die – seit der Rezession im Winter 1992/92 hohe – Arbeitslosigkeit begonnen hatte, erstmals spürbar zurückzugehen: Frankreich stand zu Anfang des von Wirtschaftswachstum geprägten Konjunkturzyklus der Jahre 1997 bis 2000. Beide Faktoren zusammen sorgten für ein Stimmungshoch, für eine „Entkrampfung“ in der Einwanderungsdebatte, die damals schon seit fünfzehn Jahren durch rassistische Stimmungswellen und durch den 1983 begonnen Aufstieg des Front National geprägt war, aber auch für Rekord-Zustimmungswerte zur damaligen Regierung. (Vgl. dazu einen Artikel vom Verfasser dieser Zeilen vom Juli 1998: http://jungle-world.com/artikel/1998/30/34993.html )

Und heute? Heute wirkt fast alles anders. Seit 2008 tauchte Frankreich in die Finanz- und Wirtschaftskrise ein, die Regierung ist von ihren Umfragewerten her ziemlich angeschlagen, hinzu kommen Selbstbedienungs-Skandale in der bürgerlichen Klasse (jüngst die Boutin-, Bougrab- und nun Bettencourt-Affäre). Und auch der sportliche Erfolg wollte sich, anlässlich der diesjährigen Fubball-Weltmeisterschaft in Südafrika, partout nicht einstellen. Dies alles widerspiegelt sich in einer Atmosphäre „zu Hause“, die von einer Mischung aus Depression und Aggressivität geprägt ist.

Die Wut über die – unter anderem auch – Einwandererkinder und „farbigen“ Franzosen im WM-Team dient dabei im Augenblick als eine Art Blitzableiter. In den bürgerlichen Medien dient die Equipe derzeit als kollektiver Watschenaugust, an dem jede/r sich abreagieren darf, um sein Mütchen zu kühlen. Bei manchen Reaktionen ist dies eindeutig rassistisch aufgeladen. In anderen Fällen hingegen wird ein Zusammenhang zur Abzocker-, und Selbstbediener-Mentalität der „Ära Sarkozy“ und seiner Clique von Parvenus & Profiteuren gezogen: Ähnlich wie Nicolas Sarkozy, der in gehobenen Bourgeoiskreisen inzwischen als hochstapelnder Parvenu – dessen Ehrgeiz auf die Dauer seine Mittel überschritt – durchgeht, so seien auch den jungen Nationalspielern ihre Multimillionärs-Situation und ihr rapider Aufstieg zu schnell zu Kopf gestiegen. Ähnlich, wie Sarkozy sich oft wenig gewählt ausdrückt und einem Kritiker schon mal „Hau ab, Du armer Idiot!“ zurief, seien auch die neureichen Spieler mitunter vulgär.

Jämmerliches Bild

Die ,Bleus’, die französische Fußball-Nationalmannschaft, haben dieses Jahr ein äußerst schlechtes Bild dargeboten. Nicht nur in sportlicher Hinsicht schlecht und war ihren Gegnern sichtlich nicht gewachsen, u.a. mangels kollektiven Mannschaftsspiels, weil die einzelnen „Stars“ nicht wirklich zusammenpassten und ein offenkundig zu geringes Teamspiel entwickelten. Zudem zeigten die Spieler sich arrogant und prasssüchtig: Nachdem die französische Elf sich im Vorfeld nur schwer und mühsam für die WM hatte qualifizieren können, schockierte es viele Beobachter, dass sie von allen Mannschaften eines der teuersten Hotels in Südafrika – die Nacht dort kostete 500 Euro pro Nase – anmieteten. Sport-Staatssekretärin Yama Rade machte ihnen dies zunächst in scharfem Tonfall zum Vorwurf. Als sich dann aber herausstellte, dass Rade bei ihrem Aufenthalt in Südafrika selbst in einer Hotelsuite für 667 Euro pro Nacht ihr Haupt bettete, verstummte die Polemik; zumindest zwischen ihr und den Spielern. Das Publikum war’s jedoch nicht zufrieden.

Den Höhe- respektive Tiefpunkt bildete dann zunächst die Antwort des Spielers Nicolas Anelka auf Vorhaltungen des Auswahltrainers Raymond Domenech: „Geh’ und lass Dich in den A*** f***en, Du dreckiger H***sohn!“ (Historisches Zitat) Anelka wurde dringlich nahe gelegt, die Koffer zu packen, Südafrika und die WM zu verlassen. Doch daraufhin trat die übrige Mannschaft am Sonntag, 20. Juni – vor ihrem Schicksalsspiel gegen Südafrika, bei dem sie schlussendlich aus der WM ausschied – in einen Trainingsstreik, „aus Solidarität mit Anelka“. Dabei wäre es in dem Bus, aus dem mehrere Spieler sich auszusteigen weigerten, beinahe zu einer kollektiven Schlägerei zwischen dem trainings- und dem streikwilligen Teil der Mannschaft gekommen. Anlässlich des, für die ,Bleus’ blamabel verlaufenen, Spiels gegen Südafrika am 22. Juni traten wiederum viele aus Europa angereiste französische Fans der Mannschaft ihrerseits „in den Streik“, wie manche von ihnen wortwörtlich auf Transparente gemalt hatten. Andere französische Fubballfans führten Trikoloreflaggen bei sich, hatten sich aber die Nationalfarben Südafrikas auf ihre Gesichter gemalt, feuerten die Bafanas (südafrikanische Mannschaft) an oder buhten und pfiffen bei der Vorstellungsrunde die Namen der französischen Spieler aus. Manche zeigten auch Irlandflaggen vor, eine Anspielung auf die umstrittene WM-Qualifikation Frankreichs im vergangenen Herbst. Damals hatten die ,Bleus’ sich im Ausscheidungsspiel gegen Irland nur qualifizieren können, weil Thierry Henry ein Tor schoss – bei dem er den Ball jedoch mit der Hand anfasste, was der Schiedsrichter nur nicht gesehen hatte. Nun sind die Iren also durch viele französische Fans „gerächt“ worden.

Unterdessen fielen auch die französischen Medien, bürgerliche Presse und Sportzeitungen vereint, über die Mannschaft her. „Auf dem Feld der Unehre besiegt“, „das Gespött der Welt“ oder auch „Tschau, Hampelmann!“ – der an den Trainer Raymond Domenech gerichtete Titel der Gratiszeitung ,Métro’ – lauteten nur einige der unflätigen Pressekommentare. Auch die Politik mischte sich ein: Präsident Nicolas Sarkozy forderte „Generalstände zur Erneuerung des französischen Fubballs“ im Herbst, Gesundheits- und Sportministerin Roselyne Bachelot ihrerseits die Absetzung des Vorsitzenden des nationalen Fubballverbands (FFF), Jean-Pierre Escalettes. Bildungsminister Luc Chatel beklagte das schlechte Vorbild für die Jugend und prangerte das Verhalten Domenechs an, weil dieser sich nach Ende der Austragung des Spiels gegen Südafrika geweigert hatte, seinem Kollegen aus diesem Land – der ihn einige Monate zuvor kritisiert hatte – im Geiste sportlicher Fairness die Hand zu drücken. Der Internationale Fubballbund (FIFA) schaltete sich deswegen am Samstag, 26. Juni ein und erklärte, er verbitte sich jegliche „Einmischung der Politik“ und poche auf die „Autonomie der Sportverbände“. Bei Zuwiderhandeln könne man den französischen Verband ausschlieben.

Ethnisierung der Debatte über die ,Bleus’

Und wie es beinahe kommen musste, so kam es denn auch: Die Debatte fokussierte sich alsbald auf die – „ethnische“ und/oder soziale – Herkunft der Spieler, und auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit. In einem Ausmab, dass die Staatssekretärin für Städtebaupolitik – Fadela Amara – sich am 22. Juni genötigt fühlte, vor einer übermäbigen „Ethnisierung des Problems“ zu warnen: „Man ist dabei, dem Front National eine Autobahn zu bauen!“
In diesem Jahr war die Mannschaft insofern anders zusammengesetzt, als die Schwarzen klar dominierten (14 von 23 Spielern der ,Bleus’ waren „farbig“). Unter anderem auch, weil die nordafrikanischstämmigen Spieler, die 1998 noch prominent vertreten waren, in diesem Jahr fehlten: Manche von ihnen waren vom Auswahltrainer nicht qualifiziert worden, wie Karim Benzema, der zeitweise durch ein arrogantes und individualistisches Verhalten auffiel. Andere zogen es vor, in den Nationalmannschaften Marokkos und Algeriens zu spielen, was durch ein Dekret der FIFA erlaubt wird.

Aus diesem Grunde hat es übrigens de facto eine zweite französische Mannschaft bei dieser WM gegeben, nämlich die algerische: 17 von 23 Spielern der Mannschaft Algeriens – der ,Fenechs’ oder „Wüstenfüchse“ – waren im Ausland geboren, überwiegend in Frankreich. Nach jedem ihrer Spiele gab es Aufläufe in Frankreich, enthusiastische Autokorsos in Marseille oder Paris, ein bisschen Verkehrsbehinderungen, starke Präsenz von Polizeikräften wie am Pariser Boulevard Barbès, ein paar Ausschreitungen und Zusammenstöbe mit den Uniformträgern.

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