Jun
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Teil 2 des Artikels über Reaktionen und Auswirkungen des vorzeitigen Ausscheidens der franösischen Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika
Schwarze Dominanz?
Junge Männer, die aus Einwanderer- oder aber karibikfranzösischen Familien stammen und oft ihre Jugendjahre zwischen 1985 und 1995 in französischen Vorstädten verbrachten, bildeten die dominierende Gruppe in der französische Nationalmannschaft. Dafür gibt es (neben dem auswahlbedingten Fehlen des „nordafrikanischen Elements“, s.o.) logische Erklärungen. Diese haben natürlich weder mit „rassischen“ oder genetischen Eigenschaften – wie sie jetzt oft unausgesprochen bemüht werden, um Schwarze als „athletisch“, aber zugleich wenig intelligent darzustellen – noch mit „umgekehrtem Rassismus“ zu Lasten der Weiben, wie er auch hin und wieder beschworen wird, zu tun. Vielmehr steht auf der einen Seite die starke Orientierung auf Aufstiegschancen, die hauptsächlich der Berufssport bietet, in vielen Familien aus der postkolonialen Einwanderung. (Inklusive der Antillen oder französischen Karibikinseln, die seit dem 17. Jahrhundert formeller Bestandteil des Staatsgebiets Frankreichs sind, aber faktisch eine Quasi-Kolonialsituation mit einigen Besonderheiten aufweisen.) Auf der anderen Seite steht eine Ausrichtung bei vielen Profisport-Verbänden selbst, die besonders darauf erpicht sind, Schwarze als vermeintlich „besonders athletische Kraftsportler“ zu rekrutieren: Dies hat Tradition, seitdem der französische Profisport bei den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin beobachten konnte, wie 25 Prozent der Medaillen der USA durch Schwarze eingesammelt wurden. Damals kam das etablierte Frankreich auf die Idee, ähnlich wie für die Armee – mit ihrer Debatte um die ‚force noire’ – auch für den Sport zusätzliche Arme und Beine in den westafrikanischen Kolonien Frankreichs zu rekrutieren. Schon 1931 wurde der erste schwarze Nationalspieler – Raoul Diagne, aus Französisch-Guyana – in die Fubballnationalmannschaft aufgenommen. 1976 wurde mit Marius Trésor erstmals ein schwarzer (karibikfranzösischer) Spieler zum Mannschaftskapitän; zwei Jahre, bevor die Briten mit Viv Anderson ihren ersten „farbigen“ Nationalspieler hatten.
Kitschklischees vom „Philosophen“
Diese Faktoren versuchten in den letzten Wochen und Monaten mehrere Artikel in der französischen Presse, rational zu erläutern[1]. Doch schon seit längerem hat es immer wieder Kritik und Häme an der „rassischen“ Zusammensetzung der französischen Nationalelf gegeben. Etwa von Jean-Marie Le Pen im Juni 1996, anlässlich einer Europameisterschaft (es sei „künstlich, Spieler aus dem Ausland zu importieren und Nationalmannschaft zu taufen“) oder bei der WM 2006. Aber auch beispielsweise von dem neo-reaktionären Philosophen Alain Finkielkraut – ein verbitterter kulturelitärer Konservativer, der in den frühen 70er Jahren einmal maoistischer Agitator gewesen war und heute das Bildungsbürgertum vor zu viel „Massenkultur“ und Ansprüchen auf Teilhabe bedroht sieht – , der im November 2005 anlässlich der Unruhen in den französischen Banlieues der israelischen Tageszeitung ,Haaretz’ ein berüchtigt gewordenes Interview gewährte. Darin entwickelte er nicht nur die Idee, der Kolonialismus habe „den Wilden auch Bildung und Kultur“ (bei)bringen wollen, sondern er ereiferte sich auch darüber, die französische National-Elf sorge dafür, „dass wir in der ganzen Welt verspottet werden“. Sie sei „black-black-black“, also rein schwarz. In genau dasselbe Horn blies 2006 auch der – in diesem Jahr wiedergewählte – populistische Regionalpräsident von Montpellier, Georges Frêche, der aufgrund diverser rassistischer Sprüche 2007 aus der französischen Sozialdemokratie ausgeschlossen wurde.
In diesem Jahr legte zumindest der Philosoph Alain Finkielkraut seine Platte erneut auf. So beklagte er, die bestehende Mannschaft rufe seinen Ekel hervor, und führte im Juni 2010 dazu aus: „Diese Mannschaft repräsentiert zwar nicht Frankreich, aber sie widerspiegelt es leider: mit seinen Clans, seinen ethnischen Spaltungen (sic), und wie es den Klassenbesten verfolgt: Yann Gorcuff.“ Gorcuff ist der aus einer weiben, bretonischen Lehrerfamilie stammende Nationalspieler, der zwar in diesem Jahr – etwa auch als Spieler beim Erstligisten Bordeaux – auch keine Glanzleistungen vollbrachte, aber durch einen Teil der Medien bei der WM gehätschelt und positiv gegen die „Vorstadtmafiosi“ (,Caïds’) im Rest der Mannschaft abgegrenzt wurde. An anderer Stelle sprach Finkielkraut von „ethnischen und religiösen Spaltungen“, einer „Ganovenmannschaft“ und „Mafiamoral“. Alain Finkielkraut, der nicht gerade als notorischer Fubballkenner gilt, forderte dazu auf, die bestehende Nationalelf aufzulösen und künftig eine „Mannschaft auf Gentlemen“ zu bilden. Dass freilich ein Fubball-Nationalteam sich vor allem aus der Bildungselite rekrutieren könnte, wie es Finkielkraut anscheinend vorschwebt, dürfte als eher unrealistisch gelten.
Extreme Rechte: Kampagnenziel „unpatriotische“ Fußballelf
Im aktuellen Kontext, der von einer stark spannungsgeladenen Atmosphäre nach dem blamablen Ausscheiden aus der WM geprägt ist, braucht die extreme Rechte ihrerseits nur an die verbreitete Stimmung anzuknüpfen. Dadurch, dass Marine Le Pen schon ein bis anderthalb Wochen vor dem WM-Start mehrfach vor Kameras und Mikrophonen öffentlich auf der Nationalelf herumhackte, hat die extreme Rechte einen erheblichen Aufmerksamkeitseffekt in Medien und Öffentlichkeit erzielt. Auch von ihrer Seite weist man immer und immer wieder auf den „hohen Anteil an Farbigen“ in der Nationalelf, die zugleich als „vom Geld korrumpiert“ und „moralisch verdorben“ hingestellt wird, hin. Eine „wunderbare“ Mischung für eine üble populistische Kampagne.
Hinzu kommt der Hinweis auf den Anteil an Moslems in der Nationalelf, denn mehrere der Spieler (neben Nicolas Anelka, einem Karibikfranzosen der in der Pariser Vorstadt Trappes aufwuchs, ferner Eric Abidal, dessen Vater auch von der Antilleninsel La Martinique stammt, und der weibe Franzose aus Boulogne-sur-Mer, Franck Ribéry, der in den letzten Jahren bei Bayern München spielte) sind im Heranwachsenden-Alter oder als junge Erwachsene zum Islam konvertiert. In mehreren Fällen, weil dies die Bedingung für ihre Heirat mit ebenfalls in denselben Vorstädten aufgewachsenen Einwanderertöchtern war; im Falle von Franck Ribéry mit der aus dem algerischen Oran stammenden Ehefrau Wahiba, oder im Falle von Eric Abidal mit der ebenfalls algerischstämmigen Hayet. In anderen Fällen, weil ein – mit geringer ideologischer oder theologischer Tiefe ausgestatteter und oft selbstgebastelter – „Volksislam“ eine in manchen Sozialbausiedlungen stark präsente „Alltagskultur“ mit prägt. Besonders der 27jährige Bayernspieler Franck Ribéry wurde durch die extreme Rechte zum Hassobjekt auserkoren: Einerseits aufgrund seiner Konversion zum Islam, andererseits, weil er sich noch zusätzlich als Beispiel für die „moralische Verderbtheit“ heranziehen lässt. Kaum zwei Monate vor Beginn der WM war er in die Schlagzeilen geraten, weil er Kontakte zu einer Luxusprostituierten unterhalte hatte: Am 12. April war die marokkanischstämmige Zahia Dehar (geboren im Februar 1992) bei einer Polizeirazzia im Call Girl-Milieu festgenommen worden und hatte einiges Wissen über ihre Kunden ausgepackt. Es stellte sich heraus, dass Ribéry eine Nacht mir ihr als „Geburtstagsgeschenk“ von seinen Kollegen unterhalten hatte, als die junge Frau noch 17jährig war. Später traf er allerdings noch zwei oder drei mal mit ihr zusammen. Auch zwei andere Profispieler auf Nationalebene (Sidney Govou und Benzema) zählten zu den Kunden der blonden Edelprostituierten, die Tarife zwischen 1.000 und 2.000 Euro nahm. Ribéry war damals in der Presse schon Gegenstand von Artikeln, die einen – in der Sache falschen – Zusammenhang zu seiner früheren Islamkonversion zogen, nach dem Motto: Ihm ist Polygamie ja erlaubt. Seitens der extremen Rechten wurde viel Hass und Häme auf Franck Ribéry konzentriert. Fotos in rechtsextremen Internetpublikationen zeigen ihn oft mit erhobenen Handinnenflächen, also in betender Position eines Moslems, da er sich auf dem Spielfeld vor dem Anpfiff oft auf diese Weise vorbereitet.
Dadurch, dass Marine Le Pen in den jüngsten Chor der Verurteilungen aus der „politischen Klasse“ gegen die Nationalelf einstimmte, aber alle anderen an Lautstärke übertönte – nur sie ging so weit, den sofortigen Rücktritt von Sportministerin Bachelot zu verlangen – und zudem ihre Angriffe schon vor dem WM-Beginn startete, zog die extreme Rechte erhebliche Aufmerksamkeit auf sich. In der Sache wünschten die Spitzenvertreter des Front National offenkundig eine Niederlage des französischen WM-Teams. Dies ist nicht so neu, schon im Juli 2006 hatten führende Figuren der französischen extremen Rechten die damalige Niederlage im Finale gegen Italien beklatscht und begrübt: Italien hatte eine weniger „kosmopolitische“ Mannschaft aufgeboten. (Vgl. zu damals http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23093/1.html) Das grundlegende Strickmuster ist noch älter: Schon des öfteren hatte die äuberste Rechte – oder die Reaktion generell – eine Niederlage der offiziellen Vertreter der Nation gegen einen äuberen Feind herbeigewünscht, um im Inneren mit der „Dekadenz“, der „vernegerten Republik“ oder dem Multikulti aufräumen zu können. Dies begann schon, als König Ludwig XVI. sich am Ende seiner Tage unbedingt eine Niederlage des jungen revolutionären Frankreich in den Kriegen gegen Europas Monarchien herbeiwünschte; und diese provozieren wollte, um mit den Revolutionären abzurechnen. Nur wurde er dafür, 1793, einen Kopf kürzer gemacht. In ähnlichen Geist fantasierte sich der französische Rechtsradikale Bernard Antony 2006 „Zidane, den Afrikaner“ in Ketten im Circus Maximus – im alten Rom – herbei, um die Niederlage der französischen gegen die italienische WM-Mannschaft zu feiern.
Am 3. Juni erklärte Marine Le Pen in einer Sendung auf BFM TV: „Wenn sie (die Spieler) sich korrekt benehmen würden, wenn man im Munde dieser Spieler manchmal von Patriotismus reden hören würde, wenn nicht manche von ihnen sich weigern würden, die Nationalhymne zu singen, und wenn man sie nicht in die Nationalflaggen anderer Länder als des unseren eingehüllt sähe – dann wären die Dinge vielleicht anders. Aber im jetzigen Zustand gebe ich zu, dass ich mich nicht besonders in dieser Mannschaft wiedererkenne.“ Diese Sätze fielen acht Tage, bevor der Anpfiff in Südafrika erfolgte. Gleichzeitig räumte Marine Le Pen übrigens ein, von Fubball eher wenig zu verstehen. Einige Wochen später dann kommentierte ihr Vater Jean-Marie Le Pen das, inzwischen vollständig eingetretene, Desaster am 22. Juni mit den Worten, es handele sich um eine „verdiente Niederlage“. Er fügte hinzu, dies sei „eine absolut politische Angelegenheit“, denn man habe aus der Nationalmannschaft „eine Flagge des Antirassismus machen wollen, statt sich (um) Sport“ zu kümmern. Allerdings warf „Cheftochter“ Marine Le Pen gleichzeitig Sportministerin Roselyne Bachelot eine „weltweite Erniedrigung unseres Landes“, durch ihre politische Verantwortung zur Entsendung einer falschen Mannschaft, vor.
Nicht abseits stehen durften auch die kleineren rechtsextremen Parteien. Der MNR (die frühere Partei Bruno Mégrets) denunzierte in einem Pressekommuniqué „eine Fubballmannschaft nach dem Abbild“ dessen, was aus Frankreich geworden sei: „Dies ist das Frankreich des Kommunitarismus, des Materialismus, der Gewalt und Vulgarität“. Der PdF (die „Partei Frankreichs“ unter Carl Lang) klagte in einer Presseaussendung „eine internationale Schande für unser Land“ an, und erhoffte sich eine künftige Mannschaft, „die aus wirklichen Mitgliedern unserer Nation besteht“. Die NDP („Neue Rechte der kleinen Leute“) von Robert Spieler wiederum beklagte, die bisherige Nationalelf widerspiegele „nicht die ethnische Zusammensetzung unseres Volkes“, sondern „ähnelte eher einer afrikanischen denn einer europäischen Mannschaft“. Um zum Schluss zu kommen: „Ein Ruinenfeld. Um so besser! Alles ist wieder aufzubauen. Auch wir müssen Frankreich und Europa wiederaufbauen.“
[1] Vgl. besonders ,Le bleu et le noir’ in « Le Monde » vom 02. März 2010, oder den Artikel des (progressiven) Soziologen Stéphane Beaud in « Libération » vom 22. 06. 2010, unter dem Titel : « Die ,Bleus’ sind die Kinder der städtischen Segregation ».