Oct
13
Für eine kreative und bunte Fankultur, gegen Repression und Kommerzialisierung demonstrierten am vergangenen Samstag in Berlin zahlreiche deutsche Fangruppen. Auch abseits der Demo, zu der ProFans, BAFF und Unsere Kurve aufgerufen hatten, ging es um Grundsätzliches: um die Identität der Fan- und Ultraszenen selbst.
Das Ziel einer Demonstration besteht in der Regel darin, auf eigene Anliegen und Forderungen hinzuweisen und sie nach öffentlichkeitswirksam außen zu tragen. Bei der Demo unter dem Motto „Zum Erhalt der Fankultur“ scheint das gelungen zu sein: Mehrere Tausend Fans von etwa 50 Vereinen aus ganz Deutschland waren auf der Straße unterwegs, um bunt und laut gegen Restriktionen bei Fanutensilien, zerrissene Spieltage, Polizeiwillkür oder kollektiv verteilte Stadionverbote zu protestieren. Für die Zukunft der Fankultur geht es jedoch nicht nur um die Wirkung nach außen, sondern auch um die Reflektion innerhalb der Szenen. Hilfreich für eine kritische Selbsthinterfragung, die u. a. der Vertreter des Bündnisses aktiver Fußballfans, BAFF, anmahnte, könnten sich auch die Statements erweisen, die verschiedene Gruppierungen vor der Fandemo – und teilweise dagegen – veröffentlichten.
Die kritischen Stimmen aus Ahlen, Dortmund, Leverkusen und Mönchengladbach richten sich dabei nicht so sehr gegen die Ziele der Demo selbst, sondern sie nehmen den Begriff einer gemeinsamen Fankultur und die Gewaltfrage ins Visier. Doppelmoral und Scheinheiligkeit sind dabei zwei zentrale Begriffe: Unglaubwürdig sei es, so schreiben etwa die Leverkusener Ultras, „mit Tausenden von Leuten ‚Fußballfans sind keine Verbrecher‘ zu skandieren, nur um eine Woche später beim nächsten Auswärtsspiel von eben jenen Leuten schon posend am Bahnhof erwartet und angegriffen zu werden“. In ähnlicher Weise konstatieren die anderen Gruppen eine Art Werteverfall in der Fan- oder genauer: der Ultraszene: Fahnen und Schals würden „nicht im Kampf, sondern hinterlistig und feige durch einen Einbruch erbeutet“ (Ultras Mönchengladbach), „Fanprojekte angegriffen, Autos aufgebrochen“ und Aktionen seien gegen Vereine gerichtet, „mit denen man keinerlei Berührungspunkte hat, was eindeutig den Gipfel der Sinnlosigkeit darstellt“ (Jubos Dortmund). Vorfälle wie diese würden nicht nur gemeinsame Aktionen wie die Demo schwierig oder gar unmöglich machen, sondern sie entzögen auch den dort gestellten Forderungen ihre Legitimität: „Doch wir können nicht Seite an Seite mit den Leuten für den Erhalt der Fankultur demonstrieren, welche durch ihr Verhalten Befürworter von Maßnahmen wie Stadionverboten etc. Futter für ihre Forderungen geben“, heißt es bei der Tribuna Unida aus Ahlen, die ebenso wie die Leverkusener und die Gladbacher der Demo fernblieben. Anders die Jubos aus Dortmund, die trotz kritischer Worte im Vorfeld bewusst zur Demo anreisten und im Interview ein positives Fazit des gemeinsamen Protestes ziehen: „Allein die Erfahrung, dass man friedlich nebeneinander hergelaufen ist und die Rivalität hat ruhen lassen, zeigt doch, dass es auch miteinander anstatt immer gegeneinander geht! Diese Erfahrungen haben sicherlich bei einigen zu einem Umdenken geführt, denn dieser Tag zeigte, dass es hier um die Zukunft der gesamten Fanszene geht!“
Das schwarze Loch der Fankultur
Auch wenn man die spezifischen lokalen Auseinandersetzungen von Gladbach und Leverkusen mit Kölner Ultras und den mitunter mühsamen Schreibstil abzieht, bleibt unterm Strich festzuhalten: Es finden öffentliche, kritische und vor allem auch selbstkritische Auseinandersetzungen von Ultragruppen mit der eigenen Subkultur statt, und zwar ohne den äußeren Druck aktuell drohender Stadionverbote oder sonstiger Restriktionen. Das wird auch gewürdigt: Die Jubos Dortmund berichten von vielen positiven Reaktionen, aus der eigenen, aber teilweise auch aus anderen Szenen.
Dass die verschiedenen Statements vor dem Hintergrund der Fandemo und dann auch noch recht kurzfristig erfolgten, mag für die Veranstaltung wegen der Absagen ärgerlich gewesen sein, auf längere Sicht ist dieser Anlass vermutlich der beste, um tatsächlich eine Veränderung in mehreren Szenen zu bewirken. Dabei wird, wie auch der Redebeitrag der Berliner Harlekins auf der Demo zeigte, die Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt im Mittelpunkt stehen müssen. Um dieses schwarze Loch der Fankultur herum gruppieren sich Begriffe wie Ehre, Machtdemonstration und Revierverteidigung. Woran genau das gemessen wird, dafür liefern die Gladbacher in ihrem Statement Hinweise: „Im ewigen Schwanzvergleich der deutschen Ultràszenen und im Streit um die Frage, wer denn hier die dicksten Eier hat, scheint kein Platz mehr für Werte und Ideale zu sein, die die Ultràszene eigentlich über viele Jahre hinweg ausmachten.“ Sobald dann wieder mit dem Kopf gedacht wird, ist jedoch die Frage zu klären, wie diese Ideale und die tatsächlich zu bewahrende Fan- und/oder Ultrakultur genau aussehen sollen: Sind etwa Überfälle auf Fans, mit denen man, um die Dortmunder zu zitieren, „Berührungspunkte hat“ sinnvoll? Wie sieht die „saubere“ Rivalität aus, auf die sich die Tribuna Unida beruft, und der „Kampf“, in dem die Erbeutung von Fanutensilien nach Meinung der Gladbacher offenbar gutzuheißen ist? Und in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft steht dann vielleicht auch die Frage nach der so oft propagierten Trennung von Politik und Fanpolitik auf der Tagesordnung, die angesichts der differenzierten und zunehmend professionellen Beschäftigung vieler Gruppen mit Datensicherheit, Polizeigesetzen, Demonstrationsverordnungen oder Sprengstoffrecht noch unsinniger ist als ohnehin schon.
Ebenfalls bliebt abzuwarten, wie die Auseinandersetzung im Einzelnen aussehen, ob sie in gemeinsam mit anderen, in öffentlichen Diskussionen oder in einem inneren Gruppenexil stattfinden. Die Jubos Dortmund haben sich für einen Weg entschieden, wie sie im Interview erklären: „Wir haben für uns einen gruppeninternen Kodex erstellt, der besagt, dass wir mit Szenen, mit denen wir keine Berührungspunkte haben, auch keinen Konflikt suchen. Es wäre wünschenswert, wenn auch andere Gruppierungen intern solche Vereinbarungen treffen, um den Gewaltfluss einzudämmen. Die Demonstration könnte hierzu als Startschuss dienen, da alle anwesenden Gruppen und Szenen bewiesen haben, dass es auch ohne Gewalt geht, wenn es um hohe Ziele geht, die uns alle betreffen.“ Ähnlich sehen das die OrganisatorInnen der Demo: Sie betonen, dass weitere Aktionen folgen sollen, und rufen alle interessierten Fans zur Mitwirkung auf.
Kommentare
4 Kommentare zu “Fankultur erhalten oder neu definieren?”
[…] Fankultur erhalten oder neu definieren? […]
[…] sowie während der Fandemo am 9. Oktober diesen Jahres in Berlin verdeutlichen ebenfalls, daß es Klärungsbedarf innerhalb der Ultràszene und den anderen Fangruppen bezüglich des eigenen Selbstverständnisses […]
[…] immer gegen Ultràs sein muß, diese aber durchaus kritisieren kann, hat Nicole Selmer in ihrem Beitrag zur Demo beim Ballesterer bewiesen. Es finden öffentliche, kritische und vor allem auch selbstkritische […]
[…] sowie während der Fandemo am 9. Oktober diesen Jahres in Berlin verdeutlichen ebenfalls, daß es Klärungsbedarf innerhalb der Ultràszene und den anderen Fangruppen bezüglich des eigenen Selbstverständnisses […]