Heute gibt es den zweiten Teil des Interviews mit Joachim Merz vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk. Merz ist dort Kampagnenverantwortlicher der Initiative “Fair Games – Fair Play”, die sich für bessere Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen in Südafrika einsetzt.

Wer ihn nicht gelesen hat und das nachholen möchte: Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.

Wie lange haben die Streiks im Durchschnitt gedauert?

Die kürzesten Streiks hatten Warnstreik-Charakter. Ein Tag, zwei Tage. Der längste Streik war der in Durban, der dauerte zwölf Tage.

Das sind ja relativ kurze Zeiträume.

Die Bauherren standen unter einem gnadenlosen Termindruck und mussten schnell zu Ergebnissen kommen. Daraus resultierte auch die Haltung des ANC. Offiziell hat sich die Regierung nie eingemischt. Aber natürlich haben die ANC-Vertreter durchblicken lassen, dass sie auf schnelle Einigungen hoffen, damit die Vorbereitungen zur WM nicht torpediert werden. Streiks verderben die Feststimmung, die man jetzt schon anzufachen versucht. Es soll die beste WM aller Zeiten werden, ein großes afrikanisches Fest. Man will zeigen, wozu das neue Südafrika fähig ist – und da passen Arbeitskämpfe natürlich nicht ins Bild.

Für die Arbeiter auf den Baustellen ist die Wichtigkeit des Projekts doch sicher mehr Chance als Hindernis, oder?

Für die Arbeiter ist ein idealer Moment, Forderungen zu stellen, genau dann, wenn die Weltöffentlichkeit aufmerksam ist. Und es ist nicht überraschend, dass der längste und erfolgreichste Streik in Durban im November 2007 genau zwei Wochen vor der Auslosung der WM-Qualifikationsgruppen in Durban stattfand. Das war ein exzellenter Moment. Wir wussten: Die ganze internationale Presse wird auf die Auslosung schauen. Die Gewerkschaften haben deshalb auch damit gedroht, die Auslosung zu stören. Und so kam es drei oder vier Tage vorher zu einer für die Arbeiter sehr vorteilhaften Einigung. Jeder Arbeiter hat 6000 Rand Bonuszahlungen bekommen. Das sind ungefähr 550 Euro, mehr als zwei Monatslöhne, die zusätzlich erkämpft wurden. Was aber fast noch wichtiger war: In dem gleichen Streik wurde durchgesetzt, dass die Subunternehmer ebenfalls die Mindestlöhne zahlen müssen.

War das auch gleichzeitig der größte Erfolg Ihrer Kampagne?

In Bezug auf die Arbeitsbedingungen ja , zusammen mit den erkämpften Transportzahlungen in Kapstadt. Allerdings haben die Gewerkschaften auch die eine oder andere Niederlage einstecken müssen. Insgesamt aber haben wir mehr geschafft, als wir zu hoffen wagten. So gab es auf einigen Baustellen Bonuszahlungen und Weiterbildungsmaßnahmen. Der Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit sind überall besser geworden, auch das als Ergebnis der Streiks. Die Arbeitsschutzbestimmungen auf den Stadionbaustellen überbieten mittlerweile sogar die europäischen Standards. Ein riesiger Erfolg ist auch, dass die Gewerkschaften im Laufe der Kampagne 10.000 neue Mitglieder gewinnen konnten. Das ist für Südafrika sehr viel. Es gibt dort eine Million Bauarbeiter, von denen bisher nur 100.000 gewerkschaftlich organisiert sind. Aber das Wichtigste, das die Kampagne erreicht hat, ist etwas ganz anderes.

Nämlich?

Die Kampagne sollte von Anfang an eine Bedeutung über die WM hinaus haben. Es war klar, dass es nicht nur darum ging, in Südafrika selber die Bedingungen auf dem Bau zu verbessern. Wir wollten eine Signalwirkung erreichen, auch über das Land hinaus – auch gegenüber der FIFA, gegenüber der Weltöffentlichkeit. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass die großen Sportverbände mit ihren Mega-Events riesige Gewinne einstreichen und ihnen die Situation derjenigen, die die Stadien bauen und damit dieses Event überhaupt möglich machen, nicht gleichgültig sein kann und darf. Die FIFA hat eine Verantwortung gegenüber den Arbeitern. An diese Verantwortung haben wir appelliert, da wollten wir die FIFA in die Pflicht nehmen – und das ist gelungen.

Wie genau haben Sie die FIFA in die Pflicht genommen und was waren die Resultate?

Eine Delegation von „Fair Games – Fair Play“ wurde vom FIFA-Präsidenten Joseph Blatter im März 2008 in Zürich empfangen. Blatter versprach, sich für die Anliegen der Kampagne einzusetzen und zukünftig gemeinsame Stadioninspektionen durchzuführen. Im März dieses Jahres waren wir in Südafrika, um mit einer Delegation die Stadien in Johannesburg, Kapstadt und Durban zu inspizieren. Nur in Kapstadt wurden wir vom arroganten Management des Baukonsortiums an der Inspektion gehindert – ein klarer Verstoß gegen Gewerkschaftsrechte. Es war das erste Mal, dass es bei der Vorbereitung einer sportlichen Großveranstaltung so eine Inspektion durch Gewerkschaften gab. Das werden wir auch in Zukunft bei anderen Veranstaltungen einfordern. Wir haben da einen Präzedenzfall geschaffen – und wir werden nicht hinter das zurückgehen, was wir erreicht haben. Die FIFA legte auch eine schriftliche Erklärung vor, sich für faire Arbeitsbedingungen bei den Infrastrukturbauten für die WM einzusetzen. Die Lobbyarbeit gegenüber dem Weltfußballverband hat sich also ausgezahlt.

Ist die Kampagne mit dem Ende der Stadionbauarbeiten in Südafrika im Dezember beendet?

Nein, die Vorbereitungen für Aktionen im Vorfeld der EM 2012 in Polen und der Ukraine laufen schon. Ebenso beschäftigen wir uns bereits mit den Olympischen Spielen 2012 in London und der Fußball-WM 2014 in Brasilien. Das sind Momente internationaler Aufmerksamkeit, die die Gewerkschaften nutzen müssen, um auf ihre Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit aufmerksam zu machen. Es ist ja nicht so, dass die Gewerkschaften als Splittergruppe eigene Anliegen auf Teufel komm raus durchsetzen wollen. Sie vertreten die legitimen Anliegen von Menschen, die sonst nicht gehört werden. Die eben nichts von einer noch so schönen WM haben, weil ihre Löhne zu niedrig sind. Die über den Tisch gezogen und ausgebeutet werden, die keine Perspektiven über die WM hinaus haben. Diese Leute brauchen eine Perspektive, diese Leute verdienen, fair behandelt zu werden. Nur dann werden Sport-Events auch Entwicklungsimpulse für die Länder selber. Sei das in Südafrika, in der Ukraine, in Brasilien oder sonst irgendwo auf der Welt.

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