Robert Barclay Allardice war nicht der allererste, aber der zu seiner Zeit ganz sicher bekannteste Geher. Denn immerhin sorgte ein von ihm initiiertes Geh-Event dafür, dass die Briten am Ende des 18. Jahrhunderts fast den drohenden Krieg gegen Napoleon vergessen hätten.
Mit den heutigen Wettkämpfen hat das damalige Großereignis allerdings nur die Bewegung gemein: Allardice ging 1000 Meilen in 1000 Stunden.

Die Männer der Familie Allardice galten immer schon als besonders stark. Zeitzeugen beschrieben, dass zu ihren bevorzugten körperlichen Aktivitäten Bullenringen, das Tragen von Mehlsäcken mit den Zähnen und das Ausreißen von Bäumen gehörten. Der kleine, im Jahr 1777 geborene Robert beeindruckte seine daher zweifellos Einiges gewohnte Umgebung trotzdem bereits als Kind: Der Überlieferung nach spielte er am liebsten mit einem zweihändigen Schwert, das aufzuheben sogar die meisten Erwachsenen überforderte.

Mit 20 wurde der mittlerweile ziemlich große Robert mit einer speziellen Übung zum Pub-Star: Er schaffte es ohne erkennbare Mühe, ausgewachsene Männer mit einer Hand an die Theke zu tragen.
Auch später zeigte sich Captain Barclay, wie der Berufssoldat im Volksmund genannt wurde, sehr sportlich. Im Frühjahr 1809 ging er eine folgenschwere Wette ein, die nicht nur sein späteres Leben verändern sollte. Barclay erklärte James Wedderburn-Webster, dem Sohn eines reichen Kaufmanns, dass er ohne Probleme 42 Tage lang in jeder Stunde eine Meile gehen könne.

»1 000 hours, 1 000 miles, 1 000 guineas« sollte der Titel der Veranstaltung lauten, die dem Army-Captain im Erfolgsfall 1 000 Guineen, umgerechnet 20 Jahreslöhne, bringen sollte. Falls er es nicht schaffe, so war es ausgemacht, würde sein Vater die entsprechenden Schulden bezahlen.

Die Wette entsprach perfekt dem damals herrschenden Zeitgeist: Gehen über weite Distanzen war im Großbritannien des 18. und 19. Jahrhunderts ein beliebter Sport gewesen. Walking Events zogen viele Zuschauer an, die gern Eintritt für das Vergnügen zahlten, schwitzende Menschen am Ende ihrer Kräfte zu betrachten. Angehörige der Oberschicht waren zudem ohne weiteres bereit, große Summen auf Sieg oder Niederlage zu setzen – entsprechend gut wurden die Teilnehmer an solchen gemächlichen Rennen bezahlt.

Barclays selbst gestecktes Ziel bedeutete jedoch etwas noch nie Dagewesenes. Bereits im Vorfeld berichteten alle großen britischen Zeitungen von dem nahenden Ereignis, im Örtchen Newmarket wurde eine geeignete Strecke abgesteckt. Im Zielbereich stellten die Veranstalter eigens zwei Zelte auf, eines für diejenigen, die auf des Captains Erfolg setzten, eines, in dem diejenigen Platz nehmen sollten, die gegen ihn gewettet hatten.

Am 1. Juni startete Barclay zu seiner ersten Meile. Anfangs fiel ihm der Stunde um Stunde währende Gang wohl noch leicht, er schritt nach Angaben eines Augenzeugen »ruhig aus und ging gemächlich die erste halbe Meile bis zu dem Stock, der den Wendepunkt markierte, wo er dann wieder umkehrte«.

Nach einigen Tagen stellten sich jedoch erste Schwierigkeiten ein. Die zunehmende Müdigkeit versuchte Barclay mit Schlafmaximierung zu bekämpfen: Er teilte sein stündliches Pensum einfach auf. Kurz vor der vollen Stunde ging er seine erste Meile, kurz danach die nächste, so dass er anschließend anderthalb Stunden am Stück schlafen konnte.
Aber der Fußgänger hatte auch noch mit ganz anderen Widrigkeiten zu kämpfen. Zeitzeugen zufolge war das Wetter in diesem Frühsommer besonders instabil, Hitze und Regenperioden wechselten einander ab und verwandelten die Strecke zeitweise in eine rutschige Matschbahn. Die zudem des Nachts – Straßenlaternen sollten erst viel später erfunden werden – weitgehend unbeleuchtet und entsprechend unsicher war.

Eine andere Bedrohung für Barclays körperliche Unversehrtheit ergab sich aus der großen Wettleidenschaft der Briten. Barclays Rekordversuch hatte sich dank des massiven Medienechos rasch herumgesprochen und zog nicht nur tausende Zuschauer an, sondern auch Menschen jedweder Provenienz, die große Beträge auf den Ausgang des Events setzten.

Der damalige Prince of Wales wettete nach einem zeitgenössischen Artikel der Times gegenüber seinen Kumpels die für normale Bürger kaum noch vorstellbare Summe von 100 000 Guineen, heute mehr als 50 Millionen Euro, auf Barclays Sieg. Andere zogen nach, so dass der Ausgang der eigentlich rein sportlichen Wette für manche zur Existenzfrage wurde.

Angesichts der auf ihn gesetzten Summen fühlte sich der Sportler auf seinen Gängen schon bald nicht mehr sicher. Ihm war rasch klar, dass vor allem die Zuschauer, deren finanzielles Überleben vom Ausgang der Wette abhing, bei einem Anschlag auf ihn leichtes Spiel haben würden.

Nach eingehenden Beratungen mit seinem Team zog der berühmteste Geher des Königreichs nachts nur noch in der Begleitung eines exra gemieteten Bodyguards los, später bewaffnete er sich zusätzlich mit zwei Pistolen, die aber nie abgefeuert wurden.

Am 12. Juli, Punkt 15.13 Uhr, war es nämlich schließlich so weit: Unter dem Jubel der mehr als 10 000 versammelten und teilweise extra angereisten Zuschauer ging Barclay auf seine letzte Runde. 24 Minuten später überquerte er zum 1 000. Mal die Ziellinie – und ging von dort aus direkt ins Bett.

Während die anderen feierten – im einem Zelt begossen die Wettgewinner wie der Prince of Wales ihre Gewinne, im anderen trösteten sich die Gefolgsleute von Wedderburn-Webster mit viel Schnaps über ihre Niederlage hinweg –, schlief Barclay fest und traumlos und wurde zwischendurch lediglich zu den Mahlzeiten geweckt.

Acht Tage später war der nunmehr reiche Mann aber wieder völlig fit. Er begab sich in die Hafenstadt Rumsgate, um dort an Bord eines Marineschiffs gegen Napoleon in den Krieg zu ziehen. Seine vormals so gut sitzende Uniform sei ihm am Körper herumgeschlottert, notierte ein Chronist, aber ansonsten habe Captain Barclay frisch und voller Tatendrang gewirkt.

Er habe Glück gehabt, dass ihn die Einberufung nicht während des Rennens erreicht habe, schreibt ein anderer Zeitzeuge, denn »sonst wären alle Anstrengungen perdu gewesen«.

Dabei hatte Barclay schon in der Vorbereitung seines Ganges nichts dem Zufall überlassen. So war er zu seiner Zeit einer der Ersten gewesen, die für sich ein spezielles Training entwickelt hatten – wofür er öffentlich erst nach dem 1 000-Miles-Lauf anerkannt wurde. Im 1813 erschienenen Buch »Pedestrians« von Walter Thom durfte der berühmte Fußgänger ein ganzes Kapitel über seine Methoden verfassen.
Darin befürwortete er unter anderem »exzessives Schwitzen und den Gebrauch von Abführmitteln zur ›inneren Reinigung‹« und erklärte das Verzehren großer Mengen Fleisch zur unabdingbaren Voraussetzung für sportliche Höchstleistungen. Seine Tipps wurden von vielen Menschen befolgt, Barclay galt schließlich als Koryphäe – obwohl er einen ausgeprägten Hang zu exzessiv-ungesundem Essen und Trinken hatte.

Sein Wissen hatte der in Großbritannien berühmteste Sportler seiner Zeit schon kurz nach seinem gefeierten Erfolg und der gesunden Heimkehr aus dem Krieg nicht nur schriftlich weitergeben wollen: Barclay, der sich schon immer sehr fürs Boxen interessiert hatte, wurde Trainer von Tom Cribb, der in den Jahren 1807/08 als Boxchampion galt, zu einer Zeit, als das Boxen noch kaum reglementiert war und ohne Handschuhe ausgetragen wurde.

Irgendwann wurde dem immer noch geläufigen Helden das Trainerleben aber dann doch zu langweilig, im Alter von 50 Jahren wechselte Barclay in die Geschäftswelt.
Unter dem passenden Namen »Defiance« (Herausforderung) gründete er eine Postkutschenlinie zwischen Aberdeen und Glasgow. Das Unternehmen wurde bereits nach kurzer Zeit zum erfolgreichsten und verlässlichsten Verkehrsmittel Schottlands – zumal der Inhaber selbst gelegentlich auf dem Kutschbock saß.

Einmal, so ist es überliefert, fuhr er mit einer dringenden Eilbriefladung ganz allein von London nach Aberdeen. Drei Tage und drei Nächte war er unterwegs, ohne auch nur eine einzige Schlafpause einzulegen. Und kam selbstverständlich pünktlich an.

Sein Ende war nicht ganz so glücklich: Captain Barclay starb am 8. Mai 1854, nachdem er aufgrund eines Pferdetritts einige Tage lang gelähmt darnieder gelegen hatte.

Kommentare

2 Kommentare zu “Wer war eigentlich der erste Geher?”

  1. Janine Remmen am 12.27.10 01:04

    Hallo, der RSS fed Link ist tot. Ich wollt dir nur kurz Bescheid geben. Fröhliche Weihnachtstage und alles gute!!

  2. PetrAnnereiroguib am 10.30.11 06:41

    Wer ist nicht schwer , mir zu sagen , wie man ein Lesezeichen in das Profil , aber was dann e erhalten wird ?

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