Jetzt hat es begonnen.
Es wird bespielt, das “Bird`s Nest”.
Keine Website kein Bericht, kein Artikel, in dem nicht darauf hingewiesen wird, daß das neue Nationalstadion von Peking `von der Bevölkerung “liebevoll”[!] bird`s nest genannt wird´.
Besonders wichtig ist es offensichtlich, in jedem Bericht das Adverb “liebevoll” unterzubringen. die Menschen in China lieben ihr Nationalstadion also und sie begegnen ihm “liebevoll”, das wird uns mitgeteilt, das muß uns im Sinne der Verharmlosung und Vermenschlichung eines menschenfeindlichen Regimes und seines Festivals mitgeteilt werden.
Wir müssen doch endlich verstehen, daß die Menschen in China ihr Stadion lieben, ihre Olympiade und ihre Regierung.

Bauen am Schlachtfeld

Ein Großteil der Bevölkerung wird sich begeistern lassen von den olypmischen Spielen, von der Präsenz und der Bedeutung Chinas in der Welt. Ein Teil der Bevölkerung profitiert von grösserer ökonmischer und damit einhergehend konsumierbarer Freiheit.
Nach der Meinung von Meinhard von Gerkan “gibt es in China heute den höchsten Grad der freien Entfaltung für jedes Individuum”…”trotz aller noch verbliebenen unschönen Dinge.”
Diese etwas im Nebensatz untergegangenen “Dinge”, verniedlichend als die “verbliebenen unschönen” charakterisiert, sind z.B. Folter, politische Morde, Zwangsumsiedlungen, Zwangssterilisierungen, Verschwindenlassen von Regimekritikern und vieles mehr.
Herr von Gerkan ist ein ausgesprochen bekannter und guter, deutscher Architekt, der ganze Städte in China plant, ebenso wie das neue Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens. Er wird also in unmittelbarer Nähe jenes Platzes bauen auf dem die friedliche Demokratiebewegung 1989 und mit ihr tausende gewaltloser Demonstranten massakriert und von Panzern schlicht und blutig überrollt wurden. Dieser Umstand hat, wie es scheint, keinerlei Bedeutung für seinen Entwurf oder seine Entscheidung einen solchen zu machen und umzusetzen. Jedenfalls lässt er keinen Gedanken an diesen nicht unbedeutenden Punkt in der jüngsten Geschichte des (Bau-)Platzes hören.

5000 Jahre Geschichte

Man dürfe doch die “5000 Jahre” chinesischer Kulturgeschichte nicht vergessen und sich nicht nur auf die letzten Jahrzehnte konzentrieren, wird uns in diesen Tagen immer wieder gesagt. Nur sind diese letzten Jahrzehnte aber eben die letzten Jahrzehnte und nicht solche, die lange vergessen, weit hinter uns liegen. Die Akteure der letzten Jahrzehnte sind noch am Leben, dieselbe Partei regiert noch das Land und mit ihr viele Personen, die sich schuldig machten.
Daß die “5000 Jahre” zuvor von unendlicher Friedfertigkeit und Demokratiebegeisterung geprägt gewesen wären, kann man, wie bei wohl keinem anderen Volk der Welt, auch nicht sagen.
Was eine lange Geschichte von Licht und Schatten uns also über einen heutigen milderen Umgang mit einem Regime sagen soll, welches die Menschen drangsaliert und quält, das ist schwer nachvollziehbar.
Gemeint ist wohl jedenfalls stille zu schweigen und Kritik nicht zu äussern, sondern alles, bitte schön, etwas freundlicher zu sehen, ein wenig nachsichtiger zu sein.

Liebevoll im Volksmund

Kommen wir mal zum “liebevoll Bird`s Nest” genannten Stadion zurück:
Ein wenig albern ist dieses Andichten des “liebevollen” Namens “im Volksmund” schon hinsichtlich des Wettbewerbsbeitrags, in dem bereits von einem Vogelnest gesprochen wurde. Berichte aus dem Jahre 2003 erwähnen bereits, daß das Stadion “an ein Vogelnest erinnern” soll. Bei der “liebevollen” Titulierung durch den “Volksmund” handelt es sich also um schlichte Legende, deren Aussage sein soll, das Volk nimmt Olympia und sein Stadion liebevoll auf.
Was Architekten in ihrer Ausbildung unter anderem zu beherrschen lernen ist die Dampfplauderei, das Verkaufen von Ideen, auch abstrakter und auch mal weit hergeholter Natur, die Begeisterung über sich selber und diese Eigenbegeisterung anderen Menschen zu vermitteln.
In diesem Fall geht die Begeisterung leider über das eigene Werk hinaus. Ebenso wie durch die Sportfunktionäre werden durch die Architekten die Grenzen der Begeisterung über das menschenfeindliche chinesische Regime hin ausgedehnt und dieses nahezu kritiklos mitbejubelt.

Vogelnest oder Gefängnis

Die sich weiter aufdrängende Frage lautet übrigens: Warum soll das Olympiastadion aussehen wie ein Vogelnest?
Symbolarchitektur muß bekanntlich keinen Grund haben, sie muß nur funktionieren, von den Journalisten verstanden und den Menschen so überzeugend verkauft werden, daß die Symbolik gedankliches Allgemeingut wird.

Nicht die Architektur an sich ist das Thema, der Punkt der Kritik, das Stadion ist spektakulär und ästhetisch ausgesprochen gut gelungen, Thema soll viel mehr das gedankenlose Dahergequatsche der Kulturschaffenden, in diesem Fall dem der Architekten, sein.
Ein anderes Bild drängt sich nämlich auf, eines von Gitterstäben und Stacheldraht.
Allgemein ist das “Bird`s Nest” als Name aber schon jetzt so tief im Bewußtsein verankert, daß andere Assoziationen kaum noch möglich sind.
Und jetzt beginnt das Bild schief zu hängen. Ein Vogel in einem Nest aus Stacheldraht holt sich einen blutigen Hintern und wird nicht glücklich!

Olympiastadien sollten schon vorher eine gewisse Geisteshaltung zum Ausdruck bringen. Augenfällig die Gegensätze bei zweimal meisterhafter Architektur, der von 1936 in Berlin und jener von 1972. Das Stadion in München sollte demokratische Transparenz und friedliche Leichtigkeit symbolisieren, Deutschland wollte endgültig in die Völkerfamilie zurückkehren und sich auf der dazugehörenden Party entsprechend präsentieren.

Soll man für Dikatoren bauen

Unter Architekten aktuell gerne diskutiert werden Schlossneubauten und die Frage:”Soll man für Dikatoren bauen?”
Das Verhältnis zwischen Despoten und Architekten war schon immer ein besonderes. Architekten fühlten sich von der Macht angezogen, von der Macht zu verwirklichen, was immer sie aufs Papier brachten. “Ich baue in China vor allem aus baukulturellen Gründen, denn es ist ja unbestritten, daß das Land mit Abstand den grössten Freiraum für avangardistische Architektur bietet.” (Meinhard von Gerkan, 2008)
Die Despoten faszinierte es, sich in Stein, Beton oder Stahl verewigen zu können. Jede politische Macht ist vergänglich, jedes Weltreich zerfiel, aber seine gebauten Zeugnisse werden Jahrhunderte später besichtigt.
Bisweilen schwang sich der Dikator selbst auf, beschloss die Architektur zu beherrschen und entwarf sein Vermächtnis.
Daß man dafür von Architektur nicht die geringste Ahnung haben mußte, das hinderte manchen nicht. Nicolae Ceauşescu liess sich potemkinsche Dörfer errichten, Kulissen wurden nach seinen Ideen herbeigeschafft, da ihm das Vorstellungsvermögen fehlte. Dazu wurde ihm ob seines Genius geschmeichelt. Bei der Jagd scheuchte man ihm das Wild vor die Flinte. Dann wurde ihm geschmeichelt. Auf seinen Baustellen wurden gigantomanische Kulissen im Zuckerbäckerstil gezimmert.

Nicht einmal vor Demokraten macht dieser Spleen halt. Francois Miterrand etwa entfesselte in Paris eine Bautätigkeit wie seit Jahrzehnten nicht. Obgleich sein Selbstverständnis häufig als das eines “Sonnenkönigs” karikiert wurde, war er doch Demokrat, wenn auch äusserst machtbewußt.
Bei seiner Baubegeisterung hinterliess er teilweise großartige Architektur, die von Architekten erdacht, von Handwerkern verwirklich und doch in seinem Auftrag realisiert wurde. Er hat es geschafft, ein kleines bißchen Unsterblichkeit im Stadtbild.

Architekten als Weltverbesserer (?)

Es gab eine Zeit, das sahen sich die Architekten als Akteure im Kampf für eine bessere Welt, sie vergaloppierten sich auch in der ein oder anderen Theorie und wußten schon immer am besten, was gut für die Menschen und ihre Städte sei.
Manches von dem war schon ein zwei Jahrzehnte später das Gegenteil von dem, was sie vorher gepredigt hatten, aber sie sahen sich immerhin selbst in einer Verantwortung und intellektuell gefordert beim Themenkomplex Weltverbesserung.
Heute lassen sich die Global Player unter den Archtekten vom Geld, von der Macht und von den grenzenlosen Spielräumen treiben.
Wo mit Städten wie Chandigarh in Indien oder Brasilia noch grössere Ideale zu Bauwerken werden sollten, da scheinen die heutigen Planstädte in China nur noch den Idealen von Effizienz und Vermarktbarkeit zu dienen.
Sicher stellen die Städte gerade in China eine neue Dimension von Nachhaltigkeit, baulicher und stadtplanerischer Qualität dar, diese kommen aber nur einer kleinen erfolgreichen Oberschicht zugute. Damit liegen sie voll auf Parteilinie, deren Strategie es zu sein scheint, eine willfährige elitäre Bevölkerungsschicht zu fördern, die dann mit ihrem Erfolg und ihrer Freiheit für die Welt ein chinesisches Feigenblatt und für die Chinesen allgemein ein Vorbild abzugeben, daß ihnen die Möglichkeit der Freiheit vorgaukelt.
Gerade dies ist das Gegenteil dessen, was die Architekten und Stadtplaner der Vergangenheit häufig zu erreichen versuchten. Damals versuchten sie die Wohnqualität und damit das Leben für die Massen, die Arbeiter und die, sprachlich gesehen, berüchtigten, “kleinen Leute” zu verbessern.

Wofür steht das Nationalstadion von China?

Soso, ein Vogelnest soll es also sein.
Ein Vogelnest aus Gitterstäben und Stacheldraht?
Wäre die Assoziation eine andere, stünde es irgendwo auf der Welt?
Ist diese eher ein Rückschluss auf das, was man über Politik und Lage der Menschenrechte in China weiß?
Was war zuerst da, das Wissen oder die Assoziation?

Wo sich die Architekten Herzog und de Meuron vielleicht noch Transparenz vorstellten, bleibt doch der Eindruck von Gefängnisstäben und Stacheldraht.
Wer spielt hier wem einen Streich, die Wahrnehmung dem Verstand, oder andersrum?

Haben Herzog und de Meuron hier ihre Meinung zum chinesischen Staat Bauwerk werden lassen oder schwebte ihnen die Leichtig- und Friedfertigkeit eines Taubennestes vor, Illustration des bestehenden Systems oder der Hoffnung auf ein anderes?
An der Qualität der Architektur von Herzog und deMeuron zu zweifeln gibt es keinen Grund und auch hier sehe ich kein schlechtes Bauwerk, aber das Gerede über ihre Arbeit ist der Schwachpunkt so vieler Architekten. Sie pendeln zwischen Selbstüberschätzung, verkopfter Selbstinterpretation und Eigenlob.

Hurra, Nischen!

“Nischen” habe er schaffen wollen, so Herr Herzog gegenüber dem Spiegel, “nichts so leicht einsehbar”.
Sollte man solche Nischen für wesentlich halten im Aufstand einer Bevölkerung, so frage ich mich doch, ob Peking, eine Stadt mit 16 Millionen Einwohnern, auf einer Fläche von 17.000 Quadratkilometern wohl bisher einen Mangel an Nischen gehabt hätte, in denen man den Aufstand planen könnte. Da haben die Regimekritiker sicher auf die Nischen in einem Olympiastadion gewartet.
Sogar als “Trojanisches Pferd” möchte der Architekt das Stadion nun verstanden wissen. “Das Stadion selbst ist aber eher wie ein Berg mit ganz unterschiedlichen Routen und Pfaden, wo man sich auf ungewohnte Weise begegnet.” (Jacques Herzog)
Na, ein Ignorant, wem jetzt nicht spätestens der systemsprengend subversive Charakter des Bauwerkes verständlich wird.

Hätte er es doch bei seinem verständlichen und ehrlichen Statement belassen: “Nur ein Idiot hätte Nein gesagt”.
Ja, klar, denn wann eröffnet sich einem schon die Möglichkeit zum Entwurf eines Olympiastadions.
Wozu muß die eigene kleine Legende darum gewoben werden, warum nicht wenigstens ehrlich, wo es “moralisch” schwierig wird?

Ingenhoven liegt quer…

Sympathisch und doch leider etwas ungelenk ist die Kritik von Herrn Ingenhoven, einem weiteren weltweit tätigem, bekanntem und gutem deutschem Architekten, der sagt, er hätte und würde nicht für totalitäre Regime bauen oder für undemokratische Staaten ohne Respekt vor den Menschenrechten.
Ein komplizierter Standpunkt aufgrund einer komplexen Welt, man macht sich folglich immer angreifbar. Allein aber, der Wunsch sich zu positionieren und reflektiert Problem und Standpunkt zu diskutieren ist inzwischen schon eine beachtenswerte Ausnahme.

…Speer in gewisser Weise auch.

Die Saarbrücker Zeitung schreibt über den Diskussionsbeitrag Albert Speers zum Thema folgendes:

“Unterdessen hat sich der Städteplaner Albert Speer, in die Diskussion darüber eingeschaltet, ob Architekten auch für eine Diktatur wie China bauen sollten. “Ich halte die Forderung, in China nicht zu bauen, für Blödsinn. Das ist eine typisch deutsche Anmaßung”, sagte er dem Kunstmagazin art. Eine Grenze ziehe er jedoch bei Militärdiktaturen. […] Repräsentationsbauten wie das chinesische Olympiastadion sehe er nicht als Mittel der Propaganda.[…]”

Herr Speer macht einen feinen, und doch nicht nachvollziehbaren Unterschied zwischen einfacher Diktatur und Militärdiktatur. Für letztere würde er den 4B nicht schwingen. Gut wenn man klar nachvollziehbare und voneinander abgegrenzte Feindbilder sein eigen nennen kann. Hätte er gesagt, daß er für jeden baue, der ihn bezahlt, dann wäre das noch eine Haltung, die man nicht mögen muß aber verstehen kann, so wird eine ideologisch abenteuerliche Konstruktion daraus.
Ferner kann er im Olympiastadion “kein Miitel der Propaganda” erkennen. Das überrascht insofern schon, daß die Olympischen Spiele ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk bis ins Detail exakt geplanter politischer Propaganda darstellen. Wenn ein zentrales Element in dieser Inszenierung das Olympiastadion ist, dann ist eine solche Aussage einigermassen weltfremd.

Verantwortung des Architekten (?)

Man sollte nicht die Architekten in eine Verantwortung zu zwingen versuchen, die sie nicht schultern können, aber man sollte sie auch nicht aus jeglicher entlassen, schon garnicht aus der sich selber auch einmal zu überdenken und ihre Tätigkeit einer adäquaten Selbstkritik auszusetzen.

Kommentare

2 Kommentare zu “Vogelnest aus Stacheldraht”

  1. Chris am 08.12.08 00:29

    Daniel Libeskind zum Thema:
    “I won’t work for totalitarian regimes… I think architects should take a more ethical stance.”

  2. BetBoyzz am 08.13.08 12:35

    Jeder ist doch letztlich verantwortlich für sein Wirken oder welche Aufgabe hat Geschichte? Dazu passt auch bestens ein Zitat von Georg Orwell: “Leute die durch Geld und Kanonen vor der Wirklichkeit geschützt sind, hassen die Gewalt zu Recht und wollen nicht einsehen, das sie Bestandteil der modernen Gesellschaft ist und das ihre eigenen zarten Gefühle und edlen Ansichten nur das Ergebnis sind von Ungerechtigkeit, gestützt durch Macht.”

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