Ultra-suspekt: Fans

von Elke Wittich

Der ideale Gesamtfan sitzt sittsam auf seinem teuren Tribünenplatz, ohne die Fußball-Show auf dem Rasen zu stören, konsumiert brav alles, was ihm vorgesetzt wird und macht dabei möglichst wenig Lärm. So wünschen sich die meisten Vereine ihre Kundschaft. Klappt aber nicht

Nachdem die Band von französischen Stalkerinnen verfolgt und angegriffen worden war, beschlossen Polizei und Tokio Hotel, dass künftig pro Konzert nur noch eine ganz geringe Anzahl von Franzosen die Konzerte der Teenie-Idole besuchen dürfen, und dies auch nur dann, wenn sie vorher ihre persönlichen Daten angeben und personalisierte Tickets erwerben, die keinesfalls weitergegeben werden dürfen.
Man muss die Jungs von Tokio Hotel nicht einmal besonders mögen, um festzustellen: Einen derartigen Bullshit wie das obige Szenario würde selbst diese Band niemals veranlassen. Nicht nur, weil es vollkommen grotesk wäre, Menschen aufgrund ihres Wohnorts von einer Veranstaltung auszuschließen, sondern auch, weil es in Zeiten sinkender Plattenverkäufe natürlich absolut idiotisch wäre, auf zahlende Zuschauer zu verzichten.
In einem anderen Segment der Unterhaltungsbranche sieht man die Sache mit dem Aussperren von Fans dagegen vollkommen anders. Am 15. März 2010 verfügte die Hamburger Polizei nach „einvernehmlichen Gesprächen“ mit dem FC St. Pauli, die meisten der 13 Tage später zum Auswärtsspiel ihres Vereins erwarteten Anhänger von Hansa Rostock nicht ins Stadion zu lassen. Aus Sicherheitsgründen sollten nur 500 statt der ursprünglich vorgesehenen 2000 Karten für die Gästefans zur Verfügung gestellt werden, eines der Tickets würde außerdem nur erwerben können, wer seinen Personalausweis vorlegen würde. „Anhänger des FC Hansa Rostock fallen bis in die jüngste Zeit bei Heim- und Auswärtsspielen durch besonders ausgeprägte
Gewaltbereitschaft auf. Dabei sind Angriffe auf “gegnerische” Fans und auch zunehmend auf Polizeibeamte die Regel”, hatte der Leitende Polizeidirektor Kuno Lehmann erklärt, es sei “seitens der Fußballanhänger beider Vereine immer wieder zu Gewalttätigkeiten gekommen, die nicht nur massive Polizeipräsenz erforderlich machten, sondern auch Gefahren für Leib und Leben sowie von Sachwerten darstellten.”
De facto wurde damit, so Kritiker der Entscheidung, eine ganze Gruppe unter Generalverdacht gestellt und unter Zuhilfenahme eines geografischen Kriteriums vom Spiel ausgeschlossen, was zu heftigen Diskussionen innerhalb der Fanszenen führte.
Die Rostocker Fans sind schließlich nicht unbedingt das, was man selbst als nur leidlich denken könnender Fußballvereins-Boss gern im eigenen Stadion haben möchte, schließlich gelten sie als rechtsradikal und gewaltbereit – und haben St. Pauli schon seit vielen Jahren zu ihrem Hauptfeind erklärt, immer wieder wurden die Hamburger Fans nicht nur verbal übelst attackiert, sondern auch körperlich angegriffen.
Hansa Rostock verzichtete, nach Rücksprache mit Fanvertretern, auf das Recht, 500 personalisierte Karten zu verteilen. Und während sich die einen freuten, dass ihnen Nazis im Stadion und später im Kiez erspart blieben, machten sich andere Sorgen, dass das Beispiel St. Pauli Schule machen könnte. So etwas wie ein Menschenrecht auf Fußballgucken existiert nämlich nicht, Vereine könnte, so die Befürchtung, in Zukunft nichts davon abhalten, unter Verweis auf Recht, Ordnung und Sucherheit gegnerische Anhänger einfach auszuschließen.
Im Unterschied zum Musikbusiness könnte man im Fußballgeschäft mittlerweile recht gut ohne richtig echte Anhänger vor Ort leben. Die Erlöse aus den Verkäufen der Fernsehrechte sowie das Merchandising und diverse Sponsorenverträge für alles vom Trikot bis zur Bande übersteigen die Gewinne, die man mit den Fans in der Kurve pro Saison erzielen kann, um ein Vielfaches – selbst dann, wenn die allesamt notorische Liebhaber überteuerter Bratwürste und unzureichend eingeschenkter bierähnlicher Plörre sind und gewohnheitsmäßig alles kaufen, was der Verein an neuen Devotionalien auf den Markt bringt. Viel mehr läßt sich mit denjenigen verdienen, die das Event Fußball in die Sitzplatzbereiche und VIP-Logen gelockt hat – dass die eher wenig zur Stimmung im Stadion beitragen ist ein vernachlässigenswerter Malus.
Der klassische Fan wird dagegen zunehmend als Problem gesehen. Er macht eine Menge nicht genormten Lärm, findet das vereinseigene Unterhaltungsprogramm für die Familien und die wichtigen Besucher meist lautstark Scheiße, tut nicht immer, was das Ordnungspersonal sagt und braucht überhaupt eine Menge Leute, die auf ihn aufpassen, flucht, gröhlt und schimpft gern und kann außerdem die Hätschelkinder unter den Zuschauern, die VIPS, nicht leiden.
Außerdem lässt er sich in seinem Tun nicht gern einschränken und beharrt auf seinen Fanrechten. Dazu gehört es, so zeigte sich schon kurz nach dem Beschluss von St. Pauli, auch das ungehinderte Besuchen von Fußballspielen. Das Blog „Fabulous Sankt Pauli“ fragte allerdings bereits: „Was sind eigentlich Fanrechte, auf welchen Gesetzesgrundlagen beruhen sie?”
Die Antwort lautet: Man weiß es nicht. Und es gibt kein Menschenrecht auf den Besuch eines Fußballspiels. Denn auch Vereine, die ein städtisches Stadion nutzen, also eine Spielstätte, die der Allgemeinheit gehört, haben das Recht, nicht jedes Mitglied dieser Allgemeinheit in die Arena zu lassen. Das Hausrecht, mit dem immer gern argumentiert wird, erlaubt es, aufgrund der Nutzungsordnung Personen auszuschließen. Sogar landesweit, der Bundesgerichtshof erklärte bundesweite Stadionverbote in einem Urteil aus dem letzten Jahr für rechtmäßig, solange sie nicht willkürlich und diskriminierend sind. Ein von Nazis geführter Verein – in Norddeutschland versucht man gerade, einen solchen zu schaffen, mit bislang allerdings nur wenig Erfolg – dürfte Ausländern den Zutritt zu Spielen immerhin nicht verbieten, weil der Ausschluss einer ganzen Bevölkerungsgruppe gesetzlich den Tatbestand der Diskriminierung erfüllen würde.
Im Fall von Hansa Rostock gab es zudem kein generelles Verbot für die Fans, das Spiel in Hamburg zu besuchen, schließlich war der Verkauf von 500 Tickets im Polizei-Plan vorgesehen.
Gleichwohl befürchten viele Fußballanhänger, dass mit dieser Verfügung eine Spirale in Gang gesetzt worden sein könnte und demnächst Dortmunder in Schalke oder St. Paulianer und Bremer beim HSV unter Verweis auf die allgemeine Sicherheitslage ausgesperrt werden könnten.
So ungeliebt wie heute haben sich Fans selbst zu den Hoch-Zeiten der Hooligans nicht gefühlt, als Stadionkatastrophen wie die von Heyssel, obwohl auf Polizeiversagen und teilweise sogar auf das Wirken der Nazis von der englischen NF zurückzuführen, unter Fußballgewalt sussummiert wurden. Damals wurde zwischen Fans und Hools durchaus getrennt, auch, weil die Unterscheidung zwischen gewaltbereiten und friedlichen Vereinsanhängern optisch so einfach war – hier die Jungs in den mit Emblemen und Wappen bestickten Kutten, da die mit teuren Markenklamotten bekleideten und oft selbst an knallheißen Sommertagen mit Regenschirmen ausgestatteten Freunde der 3. Halbzeit.
Und dann änderte sich alles.
Vorbild waren plötzlich nicht mehr die englischen Fußballfans, die lange Jahre stilprägend gewirkt hatten, sondern die italienischen Ultras, die schon seit den sechziger Jahren für ganz besondere Bilder der Fankurven gesorgt hatten. Ausgerüstet mit Pyrotechnik, Papptafeln und Schals übten die regelrechte Choreografien ein, die weit über das hinausgehen, was man aus deutschen Stadien kannte, wo oft schon das Absingen umgetexteter Chart-Hits plus ein bisschen leidlich rythmisches Klatschen zum Höhepunkt des Unterhaltungsprogramms gehörten.
Ultras, so erklärt der Leiter des Bremer Fanprojekts Thomas Hafke, „arbeiten manchmal tagelang an ihren selbst finanzierten Kurvenshows, die Hunderte, manchmal sogar Tausende Euro kosten können”. Was in Fernsehberichten von internationalen Begegnungen gern als “typisch italienische Stimmung” umschwärmt wird, wurde in deutschen Stadien allerdings mit Misstrauen gesehen. Und von den Vereinen kaum unterstützt, was zu einer Radikalisierung der oft jungen Fans führte, die sich unverstanden und grob missachtet fühlten.
Zwei Tage vor dem Spiel St. Pauli – Rostock machte allerdings eine ganz andere Begegnung Schlagzeilen. Nach dem Anpfiff des Matches zwischen Hertha BSC Berlin und dem FC Nürnberg stürmten vermummte Berliner Fans den Platz. Das, was in Fernsehberichten und Zeitungskommentaren durchgängig als verabscheuungswürdiger Gewaltausbruch bezeichnet wurde, war allerdings im Grunde nichts weiter als ein Platzsturm, verbunden mit verhältnismäßig geringen Sachbeschädigungen und keinerlei Gewalt gegen gegnerische Spieler und Trainer – was vielleicht daran lag, dass man schnell genug flüchten konnte, andererseits erklärten involvierte Hertha-Fans, es auch gar nicht darauf abgezielt zu haben, irgendjemanden anzugreifen.
Fußballbasierte Gewaltausbrüche finden mittlerweile ohnehin fast ausschließlich auf den von Vereinen der unteren Ligen bespielten Plätzen statt. Ein Grund für die Zunahme von Angriffen und rassistischen Beleidigungen im Amateurfußball ist ganz sicher die Verdrängung von Nazis und gewaltbereiten Fans aus den Bundesligastadien. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist ein Vorfall im Oktober 2009, bei dem es nur mit viel Glück lediglich einen Schwerverletzten gab. Nach nur zwei Minuten Spielzeit beim Auswärtsmatch in Brandis waren Spieler und Fans von Roter Stern Leipzig von Nazis überfallen worden, denen – dieser Punkt ist bis heute nicht geklärt – vielleicht von einem bei Brandis als Ordner eingesetzten Mann auf das Stadiongelände gelassen wurden. Während sich zwei anwesende Ordnungshüter darauf beschränkten, unbeteiligt durch die Gegend zu gucken, mussten die Leipziger bis zum Eintreffen weiterer Polizeikräfte ganz allein für ihre Verteidigung gegen den mit Latten und Eisenstangen bewaffneten Mob sorgen.
Die deutschen Roter Stern-Vereine wollen nun mit einer bislang einzigartigen Initiative namens „Love Sports, hate Neonazism“ dafür sorgen, dass Rassismus und Diskriminierung auch im Amateurfußball eingedämmt werden. Ihr Haupt-Ansatzpunkt ist unter anderem eine Neuregelung der Platzvergabe, bei der in den meisten Städten und Gemeinden die großen, finanziell besser gestellten Clubs bevorzugt werden. Für Freizeit-Vereine wie die Roten Sterne oder andere politisch aktive Mannschaften ist es besonders schwer, Trainingsmöglichkeiten zu erhalten.
Das Konzept der Roten Sterne sieht nun vor, „die Platzordnungen und Sportanlagennutzungsverordnungen um einen Passus zur Förderung von Sportvereinen erweitert wird, die zivilgesellschaftliche Standards umsetzen und sich dem Engagement gegen Diskriminierung widmen.”

Der Artikel erschien zuerst in konkret

Kommentare

3 Kommentare zu “Ultra-suspekt: Fans”

  1. Julius Martin am 05.14.10 11:59

    “Die deutschen Roter Stern-Vereine wollen…”

    Es befindet sich auch ein östereicher Verein unter uns… Roter Stern Praterstern!

  2. love sport - hate neonazism am 05.14.10 12:04

    […] [den gesamten Artikel lesen] Dieser Beitrag wurde am Friday, 14. May 2010 um 16:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Presse abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden. […]

  3. Journalisten – suspekt! « URS – Ultras Roter Stern am 05.14.10 18:44

    […] ihres Zeichen Journalistin u.a. für Jungle World und Jüdische Allgemeine, durfte mal wieder über ihr Lieblingsthema Fußball schreiben. Diesmal in der […]

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