Gestern abend gegen 19.30 Uhr fällte das Jugendgericht in Catania nach achtstündiger Beratung sein lang erwartetes Urteil gegen den Catania-Fan Antonino Speziale: 14 Jahre wegen Totschlags. Verhandelt wurde wegen des Todes des Polizisten Filippo Raciti beim Sizilianischen Derby zwischen Catania und Palermo am 02. Februar 2007. Richter Nino Minneci und seine Kammer sind offenbar davon überzeugt, dass der Tod des Polizisten direkte Folge eines Gewaltakts des damals minderjährigen Speziale war.

Vorgeworfen wurde ihm, ein gemeinsam mit anderen Ultràs aus der Verankerung gerissenes Waschbecken, bzw. dessen metallenen Unterbau, auf Raciti geworfen zu haben. Ein daraus folgender Leberparenchymschaden hätte den Tod des Opfers hervorgerufen.

Die Beweisführung stützte sich auf die Aussagen von insgesamt 30 Zeugen. Der am 30. September 2008 begonnene Prozess versuchte an 22 Verhandlungstagen, Licht in die Vorgänge beim Derby zu bringen. Leider hatten die im und um das Stadion angebrachten Kameras den gesamten Verlauf der Auseinandersetzungen gefilmt, nur von der Tat selbst konnten erstaunlicherweise keine Aufnahmen gefunden werden. Antonino Speziale gab in seiner polizeilichen Aussage den Wurf auch durchaus zu, bestand aber darauf, “niemanden getroffen” zu haben. Auch die Zeugen, auch niemand von Racitis Kollegen, hatten den Wurf direkt gesehen, an dem Raciti – Stunden später – verstorben sein soll. Speziales Verteidiger Giuseppe Lipera fasste das seinerzeit so zusammen:

“Der Punkt ist aber ein anderer. Wenn Raciti einen tödlichen Schlag abbekommen hat, bemerkt das niemand. Nicht einmal er selbst.”
“Ma il punto è un altro. Se Raciti subisce un colpo mortale, nessuno se ne accorge. Neanche lui.”

Schon die Höhe des gewählten Strafmasses lässt keinen Zweifel daran, dass an der Uniform Racitis gefundene Farbreste von einem Polizeifahrzeug, Zeugenaussagen, der Polizist wäre beim Zurücksetzen eines Einsatzwagen von eigenen Kollegen erfasst worden, ein im Krankenhaus festgestelltes Baritrauma durch eine in der Nähe explodierte Papierbombe mit nachfolgendem Herzstillstand oder andere Einwände der Verteidigung nicht berücksichtigt wurden. Nach Aussagen des Leiters der Notaufnahme Sergio Pintaudi stellt die Verletzung einer Lebervene keinen Widerspruch zum konstatierten Fehlen äußerer Verletzungszeichen dar. Das in hohem Bogen geschleuderte Waschbecken hat offensichtlich nur innere Verletzungen hervorgerufen.

Der Tod des Polizisten Filippo Raciti führte seinerzeit zur massiven Verschärfung der Gesetzgebung gegen gewaltbereite Fußballfans. Trotz allem kulminierte das Jahr 2007, das mit dem sizilianischen Derby schon schlecht begonnen hatte, mit den Todesschüssen auf den Lazio-Anhänger Gabriele Sandri im November. Hier erschoss der Polizist Spaccarotella über zwei Autobahn-Fahrspuren hinweg den im abfahrenden Auto sitzenden Tifoso. Auch hier lautete das Urteil auf Totschlag. Nur das Strafmaß gegen den offensichtlich nach Erwachsenenstrafrecht abgeurteilten Staatsdiener fiel naturgemäß geringer aus: 6 Jahre Haft für einen auf ein ohne jegliche Gefahrensituation auf ein fahrendes Auto abgegebenen gezielten Pistolenschuss ins Genick. 14 Jahre für einen Jugendlichen, der an den Gewalttaten teilgenommen hat, dessen direkte Tatbeteiligung oder auch nur die exakte Todeursache aber im Prozessverlauf durchaus Fragen aufwarfen.

Die Verteidigung Speziales hatte auf Freispruch plädiert, weil der Angeklagte die Tat niemals zugegeben hatte (wohl den Wurf, nicht aber den Treffer) und auch keine ausreichenden Beweise vorlägen. Bereits in einem Vorverfahren war der Catania-Fan wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu 2 Jahren Haftstrafe verurteilt worden, die er mittlerweile abgesessen hat. Somit war seine Beteiligung an den Auseinandersetzungen bereits bewiesen, bestraft und archiviert. Nach der Urteilsverkündung kündigte Speziale an, in Berufung zu gehen:

“Ich bin sicher, unschuldig zu sein. Das ist ein Komplott, aber ich gebe nicht auf. Mit meinem Anwalt werden wir in Berufung gehen.”
“Sono sicuro di essere innocente. C’è un complotto, ma non mi arrendo. Con il mio avvocato faremo appello.”

Giá. Nach dem Tod Gabriele Sandris aus Polizistenhand fegte ein Sturm der Entrüstung durch Italiens Stadien. Nach dem Tod Racitis wurde der Spielbetrieb der Serie A komplett eingestellt, der tragische Tod Sandris sah keinerlei solche Maßnahmen vor. Im Juli letzten Jahres wurden die gezielten Todesschüsse des Polizisten Spaccarotella als Fahrlässigkeit mit 6 Jahren bewertet, der Fussballfan Speziale sieht sich nach einem Waschbeckenwurf mit 14 Jahren Jugendstrafe (!) wegen Totschlags (die urprüngliche Anklage lautete auf Mord) konfrontiert. Meinen seinerzeitigen Kommentar zum Urteil beendete ich mit dem Satz:

“Zudem möchte ich mir nicht vorstellen, wie das Urteil ausgefallen wäre, wenn der Ultrà Gabriele Sandri unter gleichen Umständen den Polizisten Luigi Spaccarotella erschossen hätte.”

Jetzt haben wir eine Ahnung.

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