Jan
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Das nicht gerade würdige Hin- und Her, ob Caster Semenya, die amtierende Weltmeisterin im 800-Meter-Lauf, starten darf und was der ihr vom Weltleichtathletikverband aufgezwungene Geschlechtstest ergeben wird, legt ja die Frage nahe, wie es denn bislang so war mit Trans- und Intersexuellen im Leistungssport. Neu ist das Phänomen nämlich nicht.
Für die Jungle World, die einen lesenswerten Schwerpunkt zum Theme „Sport, Sex und Gender“ vorgelegt hat, habe ich eine kleine Chronik des Thema vorgelegt:
Wenn die Medaille mehr als zwei Seiten hat
Als Betrüger beschimpft, sexistisch verhöhnt. Trans- und Intersexuelle im Sport gab es schon immer. Beleidigt werden sie immer noch. Eine unvollständige Chronik aus der Welt von Sport und Gender.
von martin krauss
Da musste der Spiegel aber mal so richtig lachen. »Bei den UdSSR-Meisterschaften in Tallinn«, berichtete das Blatt im Jahr 1969, »überfielen Rivalinnen Tamara Press und halfen gewaltsam beim Striptease nach«. Die sowjetischen Leichtathletinnen Tamara und Irina Press wurden in der Sportöffentlichkeit gerne hämisch die »Press-Brothers« genannt. Irina war 1960 Olympiasiegerin im Hürdensprint, 1964 im Fünfkampf. Tamara war 1960 und 1964 Olympiasiegerin im Kugelstoßen und Diskuswerfen. Die Press-Schwestern, aus einer jüdischen Familie im ukrainischen Charkow stammend, waren kräftig gebaut, was angesichts ihrer Sportarten nicht so verwunderlich war. Aber immer hing ihnen – und hängt ihnen bis zum heutigen Tag – der Verdacht an, sie seien keine Frauen. In einem Aufsatz über »Virilisierung von Mädchen und Frauen« formulieren die deutschen Dopinggegner Brigitte Berendonk und Werner Franke etwa: »der (die) russische Mehrkämpfer(in) ›Irina‹ Press«. Nachgewiesen wurde den Press-Schwestern ein, wie es dann gerne heißt, »falsches Geschlecht« aber nie – weder von den Konkurrentinnen, die Tamara Press überfielen, noch von den internationalen Sportverbänden.
Einen Nachweis hätten die Press-Schwestern mit dem 1966 eingeführten Geschlechtstest erbringen können. Das war ein Schaulaufen nackter Sportlerinnen vor einer Kommission, die nach Augenschein entschied, ob das Frauen waren, die sich vor ihnen präsentieren mussten. Bis zum Jahr 2000 gab es diese entwürdigende Prozedur. Noch im Jahr 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta haben acht Sportlerinnen den Geschlechtstest »nicht bestanden«.
Die Press-Schwestern beendeten 1966 ihre Karriere und entgingen so dem Geschlechtstest. Ähnlich war es bei der rumänischen Hochspringerin Iolanda Balas, der sowjetischen Weitspringerin Tatjana Tschelkanowa und der sowjetischen Mittelstreckenläuferin Maria Itkina. Sie alle nahmen nach 1966 nicht mehr am Wettkampfgeschehen teil. Das wurde quasi als Eingeständnis des »falschen« Geschlechts gewertet. Dass es auch andere Gründe für ein Karriereende geben kann, unter anderem den, sich nicht einer demütigenden Geschlechtsteilbeschau unterziehen zu wollen, wurde, soweit sich das aus der Sichtung von Zeitungsarchiven sagen lässt, nie thematisiert.
Was immer mitschwingt, wenn anhand von Personen wie den Press-Schwestern über Trans- oder Intersexualität im Sport diskutiert wird, ist die Unterstellung des Betrugs: Ein physisch stärker gebauter Mann schliche sich unfairerweise in die Frauenkonkurrenz, weil er da leichter gewinnen könne. Dieser Betrugsverdacht rückt Transsexuelle in die Nähe von Dopern, zumindest in die Nähe dessen, was gemeinhin den des Dopings verdächtigen Sportlern unterstellt wird. Ihnen allen wird eine »nicht natürliche« Leistungssteigerung nachgesagt. Noch im Jahr 2009 lobten die deutschen Sportsoziologen Andreas Singler und Gerhard Treutlein: »Im Vergleich zu den zögerlichen Antidopingbemühungen der siebziger und achtziger Jahre ist es aus heutiger Sicht sehr erstaunlich, wie energisch das Problem der ›Zwitter‹ im Frauensport angegangen wurde.«
Die Verknüpfung von der Doping- und der Transgenderthematik über den Betrugsvorwurf ist bezeichnend. Denn bei aller Vielfalt der Transgender-Erscheinungen, die sich in der Sportgeschichte zeigen lässt, gab es genau das nie: Betrug. Nicht nur ein Beweis fehlt, sondern auch jedes halbwegs ernstzunehmende Indiz eines bewussten Betrugs. Die Fälle, in denen inter- bzw. transsexuelle Sportler oder Sportlerinnen bekannt wurden, tragen im Gegenteil stattdessen oft Züge großer persönlicher Tragik.
Stella Walsh ist der vermutlich früheste dokumentierte Fall von Intersexualität im Spitzensport. Walsh war mit einem Amerikaner verheiratet, lebte in den USA, startete aber bei den Olympischen Spielen 1932 und 1936 für ihr Geburtsland Polen: Gold- und Silbermedaillen sowie Weltrekorde dokumentieren ihre Ausnahmestellung. Im Jahr 1980 wurde sie als 69jährige alte Dame bei einem Raubüberfall als unbeteiligte Passantin erschossen. Bei der Obduktion stellte man männliche Geschlechtsmerkmale fest.
Zdena Koubková war eine tschechische 800-Meter-Läuferin, die 1934 bei den Frauen-Weltspielen – eine Art Vorolympiade für Frauen – Weltrekord lief. Später ließ sie sich operieren und ging als Mann namens Koubek durchs Leben. Titel und Rekorde, obwohl auch nach den Maßstäben der Sportverbände von einer Frau erzielt, wurden Koubek aberkannt.
Gleichfalls in den dreißiger Jahren aktiv war die deutsche Hochspringerin Dora, später Heinrich Ratjen. In dem Film »Berlin 36«, der vom Schicksal der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann erzählt, fungiert Ratjen als die von den Nazis protegierte Konkurrentin. Während in dem Film die Geschichte erzählt wird, die Nazis hätten den Mann Heinrich gezwungen, sich als Frau Dora auszugeben, legen jüngere Recherchen nahe, dass die NS-Führung über Ratjens Intersexualität nichts wusste. Und er selbst ahnte es nur. Als Ratjen 1938 verhaftet wurde, berichtete er der Polizei: »Von meinem elften oder zwölften Lebensjahr an kam mir schon das Bewusstsein, dass ich kein Mädchen, sondern ein Mann war. An meine Eltern habe ich aber niemals die Frage gestellt, warum ich als Mann Frauenkleider tragen muss.« Ratjen war Opfer einer Fehldiagnose der Hebamme. Die NS-Sportführung sorgte für die Rückgabe von Medaillen und Ratjen verpflichtete sich, »mit sofortiger Wirkung keinerlei Sport mehr zu treiben«.
Ewa Klobukowska, polnische Medaillengewinnerin im 100-Meter-Sprint bei den Olympischen Spielen 1964, musste ihre Medaille zurückgeben: Nachträglich hatte man neben zwei X-Chromosomen auch ein Y-Chromosom bei ihr festgestellt. Ähnlich war es im Jahr 2006 bei der Inderin Santhi Soundarajan: Sie gewann bei den Asienspielen 2006 Silber, aber als herauskam, dass sie einen männlichen Chromosomensatz hat, wurde sie disqualifiziert. Soundarajans Fall ist besonders tragisch: Sie wurde als Betrügerin beschimpft und hatte keine Chance, sich zu wehren. »Ich komme aus einer armen Familie, und niemand gab mir mehr Arbeit«, wurde Soundarajan zitiert. »Meine ganze Familie litt, als die Leute begannen, mich mit vorwurfsvollen Augen anzusehen, und mich behandelten, als wäre ich eine Betrügerin.«
In Deutschland bekannt ist vor allem der Fall Andreas Krieger. Als Heidi Krieger wurde er für die DDR 1986 Europameisterin im Kugelstoßen. Die langjährige Verabreichung von Anabolika hatte bei Krieger zu Virilisierung geführt. 1997 ließ sich Krieger operieren. Die EM-Medaille stiftete er dem Verein »Doping-Opfer-Hilfe«, der seither eine »Heidi-Krieger-Medaille« verleiht.
Die Liste von Sportlerinnen, die in irgendeiner Weise und aus sehr unterschiedlichen Gründen das Gefühl hatten, im falschen Körper zu leben, ist lang, ihre Aufzählung bleibt unvollständig: Sin Kim Dan aus Nordkorea war 1964 Weltrekordhalterin im 400- und 800-Meter-Lauf, doch ein Südkoreaner meldete sich und sagte, sie sei sein verloren geglaubter Sohn. Bei dem Österreicher Erik Schinegger, der 1966 als Erika Schinegger im alpinen Skisport Abfahrtsweltmeisterin wurde, waren die Geschlechtsteile nach innen gewachsen. Er ließ sich operieren und beendete die Sportkarriere. Sein Leben wurde 2005 verfilmt: »Erik(a), der Mann, der Weltmeisterin wurde«.
Ebenfalls bekannt ist die australische Profigolferin Mianne Bagger, die erst 2004 – ihre Geschlechtsumwandlung war 1995 – die Lizenz als Golferin erhielt. Michelle Dumaresq ist eine Mountainbikerin aus Kanada. 1996 ließ sie sich operieren, seit 2001 tritt sie bei Frauenwettbewerben an. Andrea Paredes de Roth ist eine chilenische Tennisspielerin. Ihre OP war im Jahr 2000, ihr Profidebüt gab sie 2009 – da war sie 38 Jahre alt. Auch im Tennisprofigeschäft aktiv war Renée Richards. Nach Erfolgen im Männertennis ließ sie 1975 eine OP durchführen und wollte schon 1976 an den US-Open der Frauen teilnehmen. Das wurde untersagt, aber sie kämpfte juristisch und war ein Jahr später, 1977, dabei. Nach ihrem Karriereende war sie unter anderem als Coach der mehrfachen Wimbledonsiegerin Martina Navratilova tätig. Richards’ Leben wurde unter dem Titel »Second Serve« verfilmt.
Juristisch erfolgreich war auch María José Martinez-Patino, eine spanische Hürdenläuferin. Bei ihr kam es 1986 zum Nachweis von XY-Chromsomen, und der Verband wollte, dass sie stillschweigend ihre Karriere beendet. Sie klagte auf Fortsetzung – nach zweieinhalb Jahren hatte sie Erfolg. Nong Toom, eine thailändische Thaiboxerin, die noch aktiv ist, musste sehr lange im Männerprofisport Erfolge erzielen, um die von ihr gewünschte OP finanzieren zu können. Auch ihr Leben wurde verfilmt: »A Beautiful Boxer« heißt der Film.
Im deutschen Sport gab es in den vergangenen Jahren einige Fälle inter- bzw. transsexueller Sportler und Sportlerinnen, die alle die Schlussfolgerung nahelegen, dass man die einfache Vorstellung der Sportfunktionäre, ein Mensch müsse entweder Mann oder Frau sein, sonst sei er gar nichts, endlich über Bord werfen sollte. Die Triathletin Nicole Schnass etwa hatte Erfolge in den Männerkonkurrenzen. 2007 ließ sie sich operieren, und seit 2009 tritt sie bei Frauenwettkämpfen an. Die intersexuell geborene Tennisspielerin Sarah Gronert wurde 2008 als Teilnehmerin an Frauenwettbewerben wegen ihrer angeblichen Maskulinität angegriffen: Sie habe einen viel zu starken Aufschlag und überhaupt sei sie zu breit gebaut, lauteten die Anwürfe. Gronert beendete ihre Profikarriere, nahm sie aber 2009 wieder auf. Um die Vorwürfe zu entkräften, legte sie gynäkologische Befunde vor.
Am bekanntesten dürfte in Deutschland Balian Buschbaum sein. Als Yvonne Buschbaum gehörte er zur Weltspitze im Stabhochsprung, unter anderem gewann er Medaillen bei Europameisterschaften. Buschbaum beendete 2007 die Karriere und gab gleichzeitig sein »Coming Out« bekannt. Auch weil die Hormonbehandlung ihn in Konflikt mit den rigiden Antidopingregeln brachte, trat er nicht mehr an. Dabei könnte er: Seit 2004 erlaubt auch das Internationale Olympische Komitee den Start von Transsexuellen, und zwar wenn die Geschlechtsumwandlung oder -anpassung »vollständig« vollzogen ist. Diese Regelung beinhaltet allerdings immer noch entwürdigende Kontrollen – bei den Geschlechts- und auch bei Dopingtests.
Und von der Sportöffentlichkeit, die sich seit den Vergewaltigungshumoresken des Spiegel gegen Tamara Press aus dem Jahr 1969 kaum weiterentwickelt hat, ist immer noch nichts zu erwarten. »Müsste die Olympiade um eine Woche verlängert werden, weil ein drittes Geschlecht an den Start ginge?« und »Würde das gemischte Doppel beim Tennis zum Triple?« höhnte die Welt im Jahr 2007.
aus: Jungle World, Nr. 2/2010, vom 14.1.2010
Kommentare
1 Kommentar zu “Transsportwesen”
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