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Yuri Foreman ist der erste israelische Profiboxweltmeister. Er ist der erste jüdische Boxweltmeister seit 27 Jahren. Und er ist der erste Boxweltmeister, der gerade ein Rabbinatsstudium absolviert und in spätestens zwei Jahren als Rabbiner wirken wird.
Darüber habe ich für die FAZ einen Artikel verfasst, Harter Box-Weltmeister und einfühlsamer Rabbi: „Der boxende Rabbi – das macht Foreman für die Öffentlichkeit interessant, doch er selbst tut so, als gäbe es da keinen Grund zur Nachfrage. Mit leicht genervtem Unterton sagt er: ‘Ich schlage ja nicht wild um mich, sondern ich betreibe meinen Sport sehr ernsthaft. Es ist vielmehr so, dass mir mein Judentum bei meinem Sport hilft. Ich kann mich besser konzentrieren, zu mir zu finden.’ Aber warum will er nicht bloß ein religiöser Boxer bleiben, warum muss es der Beruf des Rabbiners sein? ‘Das Rabbinatsstudium ist für mich die ganz große Chance, das Judentum zu studieren. Das gibt mir sehr viel.’ Dass die Regeln, die für einen orthodoxen Juden gelten, ihn bei der Ausübung seines Sports behindern könnten, glaubt er nicht. Den Schabbat beispielsweise, den wöchentlichen Ruhetag, hat er bislang immer gehalten. ‘Die Kampfabende sind ja nicht samstags tagsüber, sondern abends.’“ Weiter heißt es: “Der Sporthistoriker Mike Silver, der eine Ausstellung über jüdisches Boxen kuratiert und gerade ein Standardwerk zu diesem Thema vorgelegt hat, sieht gar eine Renaissance des jüdischen Boxens: ‘Durch die drei werden sich mehr Leute über diese jüdische Erfahrung im Boxen bewusst, und das sollte auch gelehrt werden als Teil des jüdischen Immigrationserlebnisses.’ Foreman wünscht sich mehr jüdische Boxer. ‘Wir müssen viel mehr gegen antisemitische Stereotype tun: zum Beispiel, dass Juden schwächlich seien.’“
Außer in der FAZ ist auch in der Jüdischen Allgemeinen ein Bericht von mir zu Foreman erschienen: Historische Schläge. In der JA hatte ich im September bereits ein Interview mit dem Boxer, der parallel zur Sportkarriere ein Rabbinatsstudium absolviert (bitte runterscrollen).
Und weil mir dünkt, dass es zu begründen ist, warum die Religion und ein nachsportlicher Berufswunsch eines Profiboxers von Belang sein sollen (sie sind es ja üblicherweise zu Recht nicht), kopiere ich einen Kommentar, den ich in der aktuellen Ausgabe der JA veröffentlicht habe in Sportswire. Da versuche ich zu erläutern, warum der Umstand, dass es eine ganze Reihe erfolgreicher Boxer gibt, die a.) aus der früheren Sowjetunion stammen, b.) in den USA leben und c.) Juden sind, sportsoziologisch interessant ist: Es sagt etwas über die Situation von Juden in der amerikanischen Gesellschaft aus. Hier gibt es den Kommentar als epaper: Durchschlagende Wirkung. Und hier reinkopiert:
Durchschlagende Wirkung
von Martin Krauß
Es gibt wieder jüdische Boxweltmeister! Yuri Foreman wurde es am Samstag, Dmitriy Salita kann es im Dezember werden. Wer akzeptiert, dass Sport mehr ist als bewegte Muskelmasse, kann an diesem Beispiel viel lernen.
Im Amerika des vergangenen Jahrhunderts waren immer solche Profiboxer besonders stark, deren soziale Gruppe gerade vor dem Aufstieg stand: erst die Polen, dann die Juden, die Italos, die Schwarzen und dann die Hispanics. Aus den USA, dem Land, das mit Joe Louis oder Muhammad Ali die prägendsten Boxer hervorbrachte, kommt aber schon seit geraumer Zeit kein Schwergewichts-Champ mehr. Heute heißen die Titelträger, für die Norman Mailer das schöne Bild vom »großen Zeh Gottes« fand, Klitschko und haben einen Doktortitel.
Auch in anderen Gewichtsklassen setzen sich mittlerweile die Boxer aus der früheren Sowjetunion durch. Oft leben sie in den USA, gar nicht so selten sind sie Juden und wie Foreman und Salita Orthodoxe. Sie zählen zu einer Sozialgruppe, die sich trotz guter Ausbildung durchschlagen muss. Und die sich wegen guter Ausbildung durchschlagen kann. Nicht nur im Ring.
(aus: Jüdische Allgemeine, Nr. 47/09 vom 19. November 2009)