Sternzeichen gegen Rechts

von Elke Wittich


In Leipzig existiert ein dezidiert linker Szene-Verein, der eine erstaunlich große Fangemeinde hat und dessen erste Mannschaft immerhin in der Bezirksklasse spielt. Vor allem bei Auswärtsspielen bekommt es der Rote Stern Leipzig aber immer wieder mit rechter Gewalt zu tun. Jetzt geht der Verein gemeinsam mit anderen Roten Sternen mit einer Kampagne gegen Nazis in die Offensive.

Dass es in Leipzig einen Fußballverein namens Roter Stern gibt, erfuhren viele Menschen außerhalb Leipzigs erst am 24. Oktober 2009, als die Nachricht von einem brutalen Überfall während eines Auswärtsspiels des Vereins im nahe Leipzig liegenden Städtchen Brandis bekannt wurde. Kurz nach dem Anpfiff »stürmten 50 vermummte Nazis mit Eisenstangen, Pyros und allerlei anderen Utensilien den Platz«, hatte damals ein Augenzeuge der Jungle World berichtet. Die trotz Warnungen vor dem Match nur mit vier Beamten an Ort und Stelle vertretene Polizei hatte sich hilflos gezeigt, so dass Anhänger und Spieler von Roter Stern gezwungen waren, sich selber gegen die bewaffneten Angreifer zu wehren.
Die Bilder hasserfüllter Nazis, die gezielt Jagd auf Spieler und Fans der Leipziger machten, wurden in den großen Magazinsendungen ebenso gezeigt wie in Zeitungen und Blogs. Die Täter waren schnell ermittelt, nicht zuletzt, weil zumindest einige von ihnen bereits einschlägig vorbestraft sind.
Ende Februar wurde der erste Täter nach nur einem Prozesstag zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt, der 23jährige muss wegen gefährlicher Körperverletzung für zwei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Der Mann aus Görlitz hatte seit November in Untersuchungshaft gesessen. Er war nach einer kurz zuvor erfolgten Verurteilung wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung auf Bewährung frei. In Brandis sei er nur zufällig gewesen und dann aus Neugierde mitgelaufen, hatte sich der bekennende Neonazi verteidigt. Und auch das Foto, das zu seiner Identifizierung führte, sei purer Zufall, denn die Holzlatte, die er in der Hand hatte, sei an ihm vorbeigeflogen und er habe sie bloß aufgefangen.
Nicht nur der Prozess zeigt, was man bei Roter Stern schon lange weiß: Der Verein ist zur Zielscheibe organisierter Nazis geworden, die es nicht ertragen können, dass die Leipziger alle zwei Wochen bei Auswärtsspielen im Umland nicht nur Fußball spielen, sondern auch zeigen, dass Rassismus und dumpfe Vorurteile nicht notwendigerweise zum Fußball dazugehören. Vor allem jugendlichen Fans wird durch den Roten Stern seit seiner Gründung im linken Stadtteilzentrum Conne Island 1999 eine coole Alternative präsentiert.
Inzwischen wurde am 19. März ein zweites Urteil im Fall Brandis gesprochen. Ein 25jähriger ehemaliger NPD-Stadtratskandidat wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Er hatte Anhänger des Roten Stern mit einer Eisenstange angegriffen. Insgesamt sind zehn Anklagen erhoben worden. Was immer die Angreifer in Brandis dazu bewogen hatte, sich im Pulk und mit Schlagwerkzeugen bewaffnet auf den Weg zu machen, sie haben auf jeden Fall das Augenmerk wieder einmal darauf gelenkt, was auf den Fußballplätzen der ostdeutschen Provinz und rund herum Wochenende für Wochenende geschieht.

Der rote Stern, dessen fünf Zacken für die fünf Erdteile bzw. die fünf Finger einer Hand stehen, war 1917 während der Oktoberrevolution zum Symbol der Kommunisten geworden. 1920 wurde ein sowjetisches Luftschiff auf den Namen »Krasnaja Swesda« (Roter Stern) getauft, die Zeitung des sowjetischen und später des russischen Verteidigungsministeriums heißt ebenfalls Roter Stern. Im Internet trug der Browser der Firma Mozilla demonstrativ das Symbol, schließlich war man angetreten, das Quasi-Monopol von Microsoft zu durchbrechen, was damals ein durchaus revolutionäres Vorhaben war.
Zu den ältesten Fußball spielenden Roten Sternen gehört der Pariser Red Star Football Club 93, der bereits 1897 gegründet wurde, damals als Red Star Club Français. Einer derjenigen, die mit diesem Verein Pariser Arbeitern die Möglichkeit zum Kicken geben wollten, war Jules Rimet, später Präsident des französischen Fußballverbandes und der Fifa sowie Erfinder der Fußballweltmeisterschaften. Revolutionär war dieser Verein allerdings nicht, denn zu seinen Zielen gehörte es auch, die antiklerikale Stimmung, die sich in der Bevölkerung breit gemacht hatte, zu bekämpfen. Der bekannteste und wohl auch erfolgreichste Verein mit rotem Stern ist sicherlich der 1945 gegründete, damals jugoslawische, heute serbische Verein Roter Stern Belgrad.
In der Bundesrepublik sollte es noch viele Jahrzehnte dauern, bis ein Verein den Namen Roter Stern trug. In den siebziger Jahren hatten im Westen vor allem studentische Fußballfans plötzlich genug vom Muff unter den Trikots, sie wollten lieber selbstbestimmt Fußball spielen, als sich den Spaß am Spiel durch den vielerorts noch militärisch anmutenden Trainingsdrill und die spießige Grundstimmung verderben zu lassen. Hauptsächlich in Universitätsstädten gründete man eigene Vereine und versuchte, sich in Bunten Ligen, also Freizeitligen, zu organisieren. Die Namen der Clubs hatten nichts mehr mit denjenigen zu tun, die früher von der nationalistisch-patriotischen Gesinnung der Vereinsgründer kündeten. Statt Viktoria und Germania nannte man sich beispielsweise Aachen Traktor Flüssig und Partisan Eifelstraße, was zu ungeahnten Schwierigkeiten führen sollte.
Dem DFB missfielen diese Namen nämlich sehr, man wollte diese suspekten Vereine keinesfalls aufnehmen. Bundesweit bekannt wurde der Fall des 1982 gegründeten Kasseler Clubs Dynamo Windrad, dem zunächst der hessische Fußballverband und später auch der DFB die Anerkennung versagte. Der Name, so teilten die Fußballfunktionäre mit, ähnele »zu sehr den Gepflogenheiten des Ostblocks«, eine Sicht der Dinge, die sogar vom Bundesverfassungsgericht geteilt wurde. Hätte sich der Verein »Teutonia Atomstrom« genannt, hätte es sicher kein Problem gegeben, schrieb die Frankfurter Rundschau Jahre später.
1991 wurde Dynamo Windrad, nachdem der Verein als Politikum zwischenzeitlich immer wieder demonstrativ von verschiedenen Ostblockländern zu Freundschaftsspielen eingeladen worden war, schließlich vom DFB anerkannt. Vorausgegangen war eine offizielle Beschwerde beim Verband, da nun Dynamo Dresden in der ersten Bundesliga spiele, obwohl doch das Bundesverfassungsgericht seinerzeit einschlägig geurteilt habe. Der Verband antwortete darauf nicht, sondern schickte lediglich einen Mitgliedsantrag.
Auch wenn sich die Roten Sterne heute manchmal ähnlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sehen, beispielsweise wenn es um die Nutzung von Plätzen geht, so wirken die Probleme der damaligen Bunten Ligen angesichts von Drohungen und gewalttätigen Naziübergriffen heute schon fast ein wenig lächerlich. Unter dem Titel »Love sport, hate neonazism« veröffentlichten vor kurzem zehn Roter-Stern-Vereine ihre Forderungen an den DFB, die deutsche Fußballiga DFL und die Politik. Mittlerweile hat sich auch Türkiyemspor Berlin der Initative angeschlossen. Statt der »üblichen großen Transparente mit den hübschen Absichtserklärungen«, die als Reaktion auf Naziübergriffe gewohnheitsmäßig folgten, bevor man zur Tagesordnung übergehe, müssten nachhaltige Lösungen her. Zivilgesellschaftliches Engagement im Sport sei schließlich »eine der besten Präventivmaßnahmen gegen Diskriminierungen jeglicher Art«, wie Julius Martin, Pressesprecher von Roter Stern Berlin, erklärt.
Gefordert wird daher unter anderem, dass die Verbände sich »an die eigenen Regularien halten« müssen. Das klingt banal, doch dass dies häufig nicht der Fall ist, hatte Roter Stern Leipzig erst kürzlich erfahren müssen, als das wegen des Überfalls abgebrochene Spiel gegen Brandis nicht etwa für die Gastmannschaft gewertet wurde, sondern wiederholt werden musste. Eine weitere Forderung ist das Verbot politischer Symbolik in den Stadien und auf den Fußballplätzen, das häufig diejenigen trifft, die sich mit Transparenten gegen Rassismus und Diskriminierung im Fußball engagieren. »Diese politischen Symbole dürfen nicht verboten werden, sondern sollten eine willkommene Botschaft für ein solidarisches Miteinander sein«, heißt es dazu.
Die Roten Sterne haben sich auch Gedanken darüber gemacht, wie man »Vereine, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Homophobie im Fußball engagieren, belohnen kann«. Pressesprecher Julius Martin skizziert das Problem, das die meisten kleinen, selbst organisierten Vereine nur zu gut kennen, anhand eines Beispiels: »Roter Stern Halle muss 250 Euro im Monat für sein Trainingsgelände zahlen«, denn Übungsplätze sind in fast allen Städten und Gemeinden rar, weshalb die Vereine der Freizeitligen sich meist selber um geeignete Locations kümmern müssen. Gerade für die Sterne ist es allerdings kaum möglich, viel Geld aufzubringen, die Mitglieder sind meist Studenten oder Azubis ohne nennenswertes Einkommen.
»Allgemein gibt es die Tendenz, dass kommunale Sportanlagen größeren Vereinen zugesprochen werden, die dann die Betriebskosten tragen und kleine Clubs dann nicht mehr zum Zuge kommen«, beschreibt Martin die Situation. Viele dieser größeren Vereine gingen allerdings nicht aktiv gegen Diskriminierungen vor, »die Mindeststandards, die sich in der Gesellschaft durchgesetzt haben, sollten im Sportbereich auch endlich eingehalten werden«, fordert man. Oft genug würden beispielsweise homophobe Sprüche selbst im Mannschaftskreis toleriert oder ausländerfeindliche Sprechchöre nicht sanktioniert. »Es sagt doch schon viel aus, dass es eine Ehrung für Zivilcourage im Sport nicht gibt, sondern alle Auszeichnungen auf Fair Play beschränkt sind«, findet Martin.
Bei der Platzvergabe sollten daher nicht länger die Größe eines Vereins und sein sportlicher Erfolg ausschlaggebend sein, sondern man solle »Platzordnungen und Sportanlagennutzungsverordnungen« um einen Passus erweitern, wonach Sportvereine gefördert werden, »die zivilgesellschaftliche Standards umsetzen und sich dem Engagement gegen Diskriminierung widmen«.
Dieses Engagement findet bei den Roter-Stern-Clubs in aller Regel nicht nur auf dem Platz statt, man veranstaltet auch vereinsinterne Fortbildungen oder hält »Argumentationstrainings« gegen rechte Parolen ab, wie Martin erklärt. Man wisse übrigens sehr wohl, dass es auch eine Menge anderer kleiner Vereine gebe, die ähnlich arbeiteten, nur eben keinen Stern im Namen trügen, darauf lege man Wert. »Wir wollen das alles ja nicht bloß für uns durchsetzen, sondern etwas erreichen, das allen, die im Kampf gegen Nazis aktiv sind, zugute kommt«, betont der Pressesprecher.
Und er freut sich darüber, dass die Initiative schon eine unvermutete Wirkung hatte. Bisher waren die Vereine, die den Roten Stern im Namen trugen, nicht durchgängig miteinander vernetzt gewesen. Als die Berliner ihren Club gründeten, hatten sie zwar die Unterstützung der Leipziger Kollegen, auf deren Satzung man unter anderem aufbaute. Nun aber hat sich das durch die Gründung einer Fangemeinschaft geändert, mittlerweile existieren darin schon 22 ähnliche Vereine. »Ein schöner Nebeneffekt ist, dass wir am 3. Juli in Berlin-Weißensee den ersten Roter-Stern-Cup ausrichten«, freut sich Martin.
Vielleicht kommt dann mit Volker Beck auch ein prominenter Unterstützer der Kampagne als Zuschauer vorbei. »Wenn die sportliche Auseinandersetzung zu Hass und Gewalt wird und antisemitisches, rassistisches und homophobes Verhalten den Platz dominiert, dürfen wir kein Auge zudrücken«, hat der grüne Bundestagsabgeordnete seine Unterschrift für die Kampagne begründet.

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung Jungle World

Kommentare

1 Kommentar zu “Sternzeichen gegen Rechts”

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