Die Bedeutung des Derbysieges des FC St. Pauli über den Hamburger SV am vergangenen Mittwoch ist kaum zu überschätzen. Es gibt viele Derbys und sicher sind auch einige davon traditionsreicher oder wichtiger als das in Hamburg, aber es gibt wohl kaum eines, bei dem zwei Teams mit derart großer Anhängerschaft aufeinander treffen, das in der Vergangenheit so unglaublich einseitig gewesen ist.

Überhaupt erst ein einziges Mal hatte der FC St. Pauli gegen den HSV in einem Pflichtspiel gewinnen können und das war im September 1977, also vor mehr als 33 Jahren. Die Mehrzahl derjenigen, die am Mittwoch in der Gästekurve der Arena im Hamburger Nordwesten standen, dürfte da noch nicht einmal geboren gewesen sein. Diese lange Durststrecke ist in der Tat ziemlich außergewöhnlich, haben Derbys doch ähnlich wie Pokalspiele , so eine allgemein akzeptierte Fußballweisheit, ihre eigenen Gesetze. Zwar ist der Hamburger SV eindeutig der Verein mit den größeren Erfolgen und dem deutlich dickeren Portemonnaie und hat von daher quasi ein Abonnement auf die Favoritenrolle, doch gibt es auch andere traditionsreiche Derbys mit äußerst ungleichen Gegnern, und keines von ihnen hat eine derart einseitige Geschichte wie das zwischen dem Stadtteilclub und dem Verein vom Rothenbaum.

Im derbi barceloní etwa konnte Espanyol den FC Barcelona bereits 34 mal schlagen, was häufiger ist als die beiden Hamburger Teams überhaupt gegeneinander gespielt haben. Der letzte Erfolg Espanyols liegt sogar nur weniger als drei Jahre zurück. Es war übrigens ein Auswärtssieg. Etwas länger warten musste Atlético im derbi madrileño auf einen Sieg über Real Madrid, aber auch hier liegt der letzte Triumph deutlich weniger lang zurück. Am 30.10.1999 war das. Auch hier war es ein Auswärtssieg. Selbst Torino muss nur bis 1995 zurückblicken für den letzten Erfolg über den großen Rivalen Juventus. Es war, wer würde es anders vermuten, ein Auswärtssieg…

Viele Derbys sind sogar ausgesprochen ausgeglichen. Das Old Firm gewannen die Rangers bis dato 156 , Celtic 141 Mal. Beim New Firm gewann 34 Mal der FC Kopenhagen, 27 Mal konnte Brøndby gewinnen. Das derby della lanterna sah 29 Mal den U.C. Samdoria als Sieger, während Genoa C.F.C. immerhin 21 Mal gewinnen konnte. Eine Liste, die sich beliebig fortsetzen ließe… Noch viel auffälliger jedoch ist, dass eigentlich alle Derbys eine sehr wechselvolle Geschichte haben. Üblicherweise gewinnt mal das eine, mal das andere Team. Das Hamburger Derby ist da eine absolute Ausnahme. Auch jetzt noch, denn ein Sieg alle 33 Jahre ist noch immer eine eher bescheidene Statistik.

Wenn nun in den Hamburger Lokalmedien geschrieben wird, dass der Jubel von Torwart Benedikt Pliquett möglicherweise überzogen war, weil dieser Mladen Petric veralbert habe und gegen eine Eckfahne mit HSV-Raute getreten hat, dann fehlt dort offenbar die Sensibilität dafür, wie außergewöhnlich der Erfolg des FC St. Pauli eigentlich wirklich war. Außerdem wird dabei offenbar vergessen, dass es eben jener Petric war, der im Hinspiel am Millerntor den späten Ausgleich für seinen Verein erzielt und damit den Braun-Weißen ordentlich die Laune verhagelt hatte. Auch die Diskussionen innerhalb der St. Pauli-Fanszene, ob denn die von Ultras gezündeten Bengalos im Fanblock super, okay oder das wirklich Allerletzte waren, wirken befremdlich. Sind ein paar Feuerwerkskörper denn wirklich auch nur halb so wichtig wie der erste Sieg im Hamburger Derby seit einer halben Ewigkeit? Wer diese Frage mit ‘ja’ beantwortet hat auf jeden Fall ein grundlegend anderes Verständnis als ich davon, was es bedeutet Fußballfan zu sein. Ich persönlich halte es da eher mit einem nicht ganz unbekannten Fan des FC St. Pauli, der in der Berliner Astra Stube nach dem Abpfiff nur noch einen einzigen Satz heraus bekam aber den immer wieder: „Das ist das Schönste auf der Welt!“

Der Autor ist seit 16 Jahren Anhänger des FC St. Pauli und hat nach Abpfiff geweint.

Kommentare

7 Kommentare zu “St. Pauli und der Derbysieg – Ein Kommentar”

  1. nedfuller am 02.18.11 11:16

    Unsportliches Verhalten ist also zu rechtfertigen, wenn es solch eine Vorgeschichte gibt? Weil es ein Derby ist?

    Nein, ganz bestimmt nicht. Freuen sollen sich die Gewinner, aber den Gegner verhöhnen, daß ist unsportlich, wenn nicht gar asozial.

    Nachtreten kann nur der Sieger, der Verlierer ist schon getretten genug!

    (Der Autor des Kommentares ist seit 24 Jahren HSV Fan und hat nach dem Abpfiff nicht geweint.)

  2. St. Pauli und der Derbysieg – Ein Kommentar « fussball von links am 02.18.11 13:44

    […] sich ein interessanter Kommentar zum Derbysieg des FC St. Pauli über den Hamburger SV und zwar [hier]. Hier ein Auszug: Die Bedeutung des Derbysieges des FC St. Pauli über den Hamburger SV am […]

  3. St. Pauli und der Derbysieg « jan tölva am 02.18.11 13:47

    […] Auf SportsWire gibt es einen Kommentar zu mir zum Derbysieg des FC S. Pauli über den Hamburger SV am Mittwoch und zwar [hier]. […]

  4. Sebastian am 02.20.11 09:56

    Ist “nach Abpfiff geweint” das “nach Diktat verreist” von Fußballfans? Wenn man es als Autor nicht schafft, die Emotionen im Text zu transportieren, dann braucht es nicht diese Regieanweisung zum Schluss.
    Außerdem wird niemanden zu einem besseren Fan, weil man schon soundsolange dabei ist. So ein Derby kann Fans am Allerwertesten vorbei gehen, die schon seit 30 Jahren ins Stadion gehen und andere elektrisieren, die erst vor kurzem auf den Verein aufmerksam geworden sind.

  5. nedfuller am 03.07.11 18:05

    Wie schön, das niemand hier auf Kommentare antwortet, dann kann ich mir das ja das nächste Mal sparen.

  6. Elke Wittich am 03.07.11 18:25

    @nedfuller: Dein Kommentar ist aus mir unbekannten Gründen als Spam eingestuft worden, aber nun hab ich ihn gefunden und freigelassen 🙂

  7. Titus am 12.07.11 07:10

    Herzlichen Dank, super Artikel!

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