Sissi und der Sport

von Elke Wittich

Was in der dreiteiligen Sissi-Serie nicht vorkommt: Die österreichische Kaiserin Elisabeth – eigentlich: Sisi – gehörte zu den ersten Frauen, die bewußt und regelmäßig Sport trieben

Kaiserin Elisabeth von Österreich, meistens ebenso kurz wie falsch “Sissi” genannt, ist heute noch durchaus ein Popstar. Es gibt Sisi-Musicals, -Filme, -Ausstellungen und -Pralinen sowie mehrere Fanclubs, ihr Bild im deutschsprachigen Raum ist jedoch bis heute von Matuschkas “Sissi”-Trilogie mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm in den Hauptrollen geprägt.

Die österreichische Kaiserin war allerdings weit entfernt davon, eine charmante, unbeschwerte Frau zu sein. Mit 16 wurde sie mit einem ungeliebten Mann verheiratet (“Dem Kaiser von Österreich gibt man keinen Korb”, hatte ihr die Mutter erklärt), am österreichischen Hof fühlte sie sich einsam und von ihrer Umwelt, die hauptsächlich aus dem österreichischen Adel bestand, verachtet und entwickelte eine Reihe psychosomatischer Krankheiten (u.a.. Magersucht). Aber Sisi war nicht nur depressiv, zu ihren immer wieder, allerdings nur am Rande beschriebenen Eigenschaften gehört auch ihre Sportlichkeit.

Heute sind sportive Monarchieangehörige gar nicht selten. Der verstorbene norwegische König Olav V., von seinem Volk “Skikönig” genannt, nahm sogar als Segler an olympischen Sommerspielen teil, ebenso wie sein späterer Amtskollege, Schwedens Carl Gustav.

Als erste Prinzessin war die englische Anne Mitglied einer olympischen Equipe, sie startete in der relativ gefährlichen Disziplin Military, bevor sie schließlich IOC-Mitglied wurde. Auch andere Prinzessinnen reiten Turniere, allerdings weitgehend ohne internationalen Erfolg: Die norwegische Märtha Luise und die schwedische Kronprinzessin Viktoria etwa, andere beschränken sich darauf, wie Lady Diana im dekorativen Outfit Aerobic-Kurse zu besuchen oder auf Segelyachten herumzuliegen.

Damals allerdings wurden sporttreibende Frauen überhaupt nicht gern gesehen: In einem 1855 erschienenen Band über “Die weibliche Turnkunst” schreibt der Verfasser: “Dem Weib ist die Lebenssphäre im engen Kreis der Familie angewiesen.” Dabei hatte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. schon im November 1847 für die Berliner “Central-Bildungs-Anstalt für Lehrer in den Leibesübungen” 1520 Taler genehmigt, von denen 224 ausdrücklich für zwei dort tätige Turnlehrerinnen vorgesehen waren.
Am 27. September 1851 erschien die Frauen-Zeitung mit dem Untertitel “Ein Organ für höhere weibliche Interessen”. Im Paragraphen eins ihrer Satzung stand: “Die Zeit der Rache ist gekommen! Im überwallenden Gefühl unserer angestammten Kraft ergreifen wir mutig die Waffen gegen die Erzfeinde unseres Geschlechts. Unsere Walstatt ist der Turnplatz. Dort, unter Gottes freiem Himmel, im Angesicht des Tages, entbieten wir offenen und ehrlichen Kampf der Trägheit, Verweichlichung und Entartung der Frauenwelt.”

Erst 1887 allerdings gründete sich in Deutschland der erste Frauen-Turnverein “Thusnelda”. Sieben Jahre später wurde auf dem deutschen Turnfest in Breslau zum ersten Mal das Frauenturnen in der Öffentlichkeit vorgestellt. An der ersten neuzeitlichen Olympiade 1896 in Athen durften Frauen jedoch noch nicht teilnehmen. Dabei belegen archäologische Funde, unter anderem von Sieger-Amphoren, daß z.B. im Jahr 21 n.Chr. eine Frau namens Kassia bei der 200. Olympiade das Wagenrennen gewonnen hatte.

Die modernen Frauen erhielten erst 1900 in Paris olympische Starterlaubnis – in den Disziplinen Golf und Tennis, 1912 durften sie auch in den Schwimmdisziplinen antreten.

Die 1837 geborene Elisabeth war in für eine Adelige des letzten Jahrhunderts ungewöhnlicher Umgebung aufgewachsen. Der Vater, Erzherzog Max von Bayern, erzog seine Kinder für damalige Verhältnisse ungewöhnlich repressionsfrei zu sozialer Verantwortung und Offenheit und gewöhnte sie schon früh an sportliche Betätigungen. Alle konnten reiten, fechten, schwimmen, wanderten gern und konnten dies auch ohne Rücksicht auf das Protokoll tun – die Familie hatte mit dem Hofleben kaum etwas zu schaffen – , wann immer sie wollten. Denn dieser Zweig der Wittelsbacher gehörte zum richtigen Adel kaum dazu, sogar die vorgeschriebene Mitgift für Sisi fiel nur deswegen einigermaßen reichhaltig aus, weil man alle Verlobungs- und sonstigen Geschenke des österreichischen Kaisers kurzerhand mit in die Listen aufnahm.

Am österreichischen Hof, an dem das strengste Zeremoniell aller damaligen Königshäuser herrschte, setzte Elisabeth ihre sportlichen Betätigungen fort. In den kaiserlichen Appartements der Wiener Hofburg hatte sie sich ein “Turn- und Toilettezimmer” einrichten lassen, in dem u.a. eine Sprossenwand installiert war. Das Fremden Blatt schrieb darüber in seiner Ausgabe vom 8. Dezember 1864 in einer klaren Falschmeldung: “Es dürfte gewiß von großem Interesse sein zu vernehmen, daß der Rittersaal in der kaiserlichen Hofburg zu einem Turnplatze eingerichtet ist. Es befinden sich dort alle Turngeräte: die Schwingel, Recke, Barren, Klettergerüste etc. Es turnen daselbst, beinahe täglich durch zwei Stunden, Se. Majestät der Kaiser und die Herren Erzherzöge, vom Hofstaate unter Anderen selbst der greise FM. Heß, sämmtlich im Turnkleide” – daß nicht die Männer am Hof, sondern die Kaiserin zwei Stunden pro Tag und außerdem auch noch allein turnte, konnte sich in der damaligen Zeit niemand vorstellen, noch viel weniger wohl, daß sie sich in jedem ihrer Schlösser einen solchen Turnsaal eingerichtet hatte.

Dabei waren die Österreicher von ihrer zunächst umjubelten Kaiserin schon bald eine Menge gewohnt. Elisabeth litt unter der formellen Atmosphäre am Hof, ihr Mann, Kaiser Franz-Joseph, wagte überdies nur selten, sich gegen seine Mutter Sophie durchzusetzen. Die ersten beiden Kinder waren Elisabeth schon bald nach der Geburt weggenommen worden, weil Sophie für deren Erziehung sorgen wollte. Elisabeth nahm jede Gelegenheit wahr, von Wien wegzukommen. So auch 1860, als sie, an einer angeblich schweren Lungenkrankheit leidend, für ein halbes Jahr zur Kur nach Madeira geschickt wurde. Bis heute ist die wirkliche Art dieser Krankheit nicht geklärt, denn Madeiras Klima ist für solche Leiden nicht besonders günstig, während es in Österreich hingegen gleich mehrere darauf spezialisierte Kurorte gab. Zu herzzerreißenden Abschiedsszenen kam es bei dem Kaiserpaar jedenfalls nicht: Franz-Joseph war zur Jagd nach Bad Ischl gefahren.

Der Elisabeth begleitende Hofstatt langweilte sich auf Madeira ganz entsetzlich: “Die Einwohner beiderlei Geschlechts sind von verbotener Häßlichkeit”, schrieb etwa Graf Nobili nach Hause. Sisi vertrieb sich die Zeit mit langen Fußmärschen und Tanzen und schrieb an ihren Wiener Vertrauten, den Grafen Grünne: “Wie sehr mir das ordentliche Reiten abgeht, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Das stundenlange Schrittreiten auf dem schrecklichen Pflaster hier, und dazu die furchtbaren Pferde, ist ärger wie gar nicht reiten.” Schon kurz nach ihrer Rückkehr an den Wiener Hof wurde Sisi wieder krank, woran auch ein weiterer Kuraufenthalt, diesmal auf Korfu, nichts änderte.

Zu ihren Lieblingsaufenthaltsorten gehörte das ungarische Schloß Gödöllö. Sisis Vertraute Ida Ferenczy war gleichzeitig die Vertraute ungarischer Liberaler, die für die Wiederherstellung der Sonderrechte Ungarns und seiner Verfassung in der k.u.k. Monarchie hinarbeiteten. Im Juni 1865 war Kaiser Franz-Joseph, auch auf Drängen seiner Frau, zum ersten Mal nach Budapest gefahren, hatte die dortige Militärgerichtsbarkeit aufgehoben und eine Amnestie für sogenannte Pressevergehen erlassen. Elisabeth, der in der “Ungarn-Frage” viel Einfluß zugeschrieben wurde, war in dem Land sehr beliebt. Und fuhr gerne dorthin, auch aus sportlichen Gründen: In Ungarn war “dreimal in der Woche Jagd”, wie Sisis Nichte, die Baronin Marie Wallersee, berichtet. Aber das reichte der Kaiserin nicht, sie ließ in Gödöllö eine Manege bauen, in der sie mit Zirkuspferden arbeitete. Gustav Hüttemann, ein ehemaliger Zirkusdirektor, unterrichtete Sisi dort im Dressurreiten: “Es bot einen reizenden Anblick, wenn Tante in ihrem schwarzsamtenen Kostüm ihren kleinen Araber rings um den Ring im Tanzschritt führte. Für eine Kaiserin war es freilich eine etwas ungewöhnliche Beschäftigung”, schrieb Wallersee und berichtet von einem Ausspruch der kleinen Tochter Elisabeths : “Onkel Luitpold, jetzt kann Mama auf dem Pferd schon durch zwei Reifen springen.”

Emilie Loiset, Kunstreiterin beim Zirkus Renz und ihre Kollegin Elise Petzold waren enge Freundinnen der Kaiserin. Weil die Jagdsaison, die auf Gödöllö nur knapp zwei Monate dauerte, der Kaiserin zu kurz war und sie zusätzlich die dortigen Parcours viel zu langweilig fand, ließ sie sich 1874 von ihrer Schwester, die ihr von der “englischen Reitjagd” ausführlich vorgeschwärmt hatte, nach England einladen. Unter dem Namen Gräfin Hohenems reiste Elisabeth inkognito, um politischen Schwierigkeiten vorzubeugen, im Sommer auf die Isle of Wight, wo zufällig auch Queen Victoria Urlaub machte. Deren Tochter Viktoria schrieb: “Den größten Teil des Vormittags verbringt sie schlafend auf dem Sofa. Sie diniert um vier, reitet den ganzen Abend ganz allein und niemals kürzer als drei Stunden und wird wütend, wenn etwas anderes geplant ist.”

Die gefährlichere englische Art zu reiten hatte Sisi imponiert, zu Hause in Wien und in Gödöllö nahm sie sofort mit ihrem englischen Reitlehrer Allen das entsprechende Training mit den viel höheren Hindernissen auf. In Wien war das nur auf dem Rennplatz Freudenau möglich, sofort strömten die Schaulustigen dorthin, um ihre Kaiserin beim Hindernisspringen zu beobachten. Wie die sportliche Sisi meistens beobachtet wurde. In einem Brief an ihren Mann berichtete sie ihm davon, öfter im Meer zu schwimmen, fügte aber vorsorglich hinzu: “Während ich bade, sind immer Marie Festetics und eine Frau im Wasser, damit die Zuschauer Ö nicht wissen, welche ich bin. Auch bade ich hier gegen meine Gewohnheiten in lichtem Flanell.”

Elisabeth verhielt sich als junge Frau aber nicht nur so, wie es die meisten Anorexie-Kranken heute immer noch tun. Das Rinderblut, das sie während eines gemeinsamen Mittagessens mit ihrem Ehemann hervorzog, ist auch heute noch bei Bodybuildern eine bekannte Sache. Ihre Bemühungen, Depressionen mit verstärkten körperlichen Anstrengungen zu vertreiben, stehen mittlerweile in jedem Lehrbuch, deswegen ist es wohl viel zu einfach, aus ihr rückblickend nur ein um seine Linie fanatisch besorgtes psychisches Wrack machen zu wollen. Denn Sisi war z. B. körperlich topfit, im Gegensatz zu den meisten der heutigen eßgestörten Frauen. Ihre Begleiter auf Wanderungen oder Ausritten stöhnten regelmäßig über das von ihr vorgelegte (und durchgehaltene) Tempo, bei dem sie oft nicht mithalten konnten: 1881 erklärte Hofarzt Dr. Widerhofer: “Die Landgräfin Fürstenberg kann derartige Touren ohne ernste Gefahr für ihre Gesundheit nicht mehr mitmachen.”

Sisi war weit davon entfernt, nur ein hilfloses Opfer zu sein, sondern versuchte, ihre Probleme selbst und allein zu lösen – die Beziehung ihres Mannes zu der Burgschauspielerin Katharina Schratt beispielsweise wurde von Elisabeth forciert. “So gut ist es, in dieser dunklen, traurigen Burg endlich ein glückliches Gesicht zu sehen, und der P-ka (Deckname Franz-Josephs) ist heute abend wirklich kreuzfidel”, schrieb sie an ihre Tochter Valerie über einen Besuch der auf “halb sieben” von ihr “bestellten Freundin”. In einem anderen Brief an die Tochter sagte sie über ihr Eheleben: “Es geht, da wir immer nur über die Freundin oder das Theater reden.”

Trotz dieser Kontrolle über ihr Privatleben versuchte Elisabeth, bis ins Alter hinein, ihre Figur zu erhalten, bis sie schließlich an Hungerödemen erkrankte – auf Auslandsreisen, so berichteten ihre Hofdamen, wurde jedoch “reichlich getafelt”. Dennoch blieb sie körperlich fit, ihr griechischer Vorleser Christomanos schrieb zu Neujahr 1892 über die damals 54jährige Kaiserin in sein Tagebuch: “Sie ließ mich heute vor dem Ausfahren nochmals in den Salon rufen. An der offenen Thüre zwischen dem Salon und ihrem Boudoir waren Seile, Turn- und Hängeapparate angebracht. Ich traf sie gerade, wie sie sich an den Handringen anhob. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid mit langer Schleppe und von herrlichen schwarzen Straußenfedern umsäumt. Ich hatte sie noch nie so pompös gesehen. Auf den Stricken hängend, machte sie einen phantastischen Eindruck, wie ein Wesen zwischen Schlange und Vogel. Um sich niederzulassen, musste sie über ein niedrig gespanntes Seil hinwegspringen. ‘Dieses Seil’, sagte sie, ‘ist dazu da, daß ich das Springen nicht verlerne.'”

Am 10. September 1898 wurde Kaiserin Elisabeth am Genfer See erstochen. Während wegen des Dreyfus-Prozeßes in Frankreich antisemitische Krawalle tobten, hatte die Kaiserin tags zuvor die Baronin Julie Rothschild besucht. Ihr Mörder, Luigi Lucheni, der eigentlich viel lieber den italienischen König Umberto umbringen wollte, aber nicht genügend Fahrgeld für die Reise dorthin hatte, erfuhr durch eine Zeitungsnotiz von Sisis Aufenthalt in Genf und lauerte seinem späteren Opfer vor dem Hotel Beau Rivage auf.

Nach ihrem Tod sagte der Generaladjutant Graf Paar Beichten zufolge über den Rest der Familie, “die Langeweile dort sei kaum auszuhalten…”

Kommentare

5 Kommentare zu “Sissi und der Sport”

  1. annisa am 12.28.08 02:04

    Die Kaiserin Elisabeth wurde im Jahr 1898 ermordet.

  2. Elke Wittich am 12.28.08 02:20

    Ja, stimmt – ich hab den Vertipper nun korrigiert, danke 🙂

  3. Leon Tischberger am 08.07.09 10:39

    Euren Blogg muss ich wirklich weiterempfehlen

  4. Dietmar Schulze am 04.26.10 21:03

    Sehr informativ, der Artikel. Aber der Vater Sisis war Herzog (!) Max in (!) Bayern. Den Titel Erzherzog gab es in Deutschland nicht und die Herzöge in Bayern entstammen einer Nebenlinie der Wittelsbacher, die damals schon Könige waren.

  5. Elke Wittich am 04.28.10 14:06

    Danke, das wusste ich nicht – Erzherzöge gabs nur in Österreich?

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