Jul
22
Auch nach den Äußerungen von Ballack-Berater Michael Becker über schwule Kicker bleibt die Outing-Premiere eines Stars aus. Wenig verwunderlich, denn das, was dem oder den ersten bekennenden Schwulen in der Bundesliga drohten würde, ist ziemlich unschön. Und mit “ich streichel Dich blutig” recht gut beschrieben.
Was ein medialer Knaller hätte werden sollen, ist mit erstaunlicher Geschwindigkeit verpufft. Im Rahmen einer WM-Reportage hatte Spiegel-Autor Alexander Osang in einigen Zeilen angemerkt, dass ihm zwei Monate vor der Weltmeisterschaft in Südafrika „ Michael Becker, der Manager von Michael Ballack,” erzählt habe, welche deutschen Spieler angeblich schwul seien.“
Und nicht nur das. Becker, so Osang weiter, habe „… am Rande des Abschiedsspiels von Bernd Schneider in Leverkusen“ öffentlich, und zwar „inmitten einer Traube von Spielerberatern und Journalisten im Bayer-Clubhaus“ angekündigt, „dass es einen ehemaligen Nationalspieler gebe, der die ‚Schwulen-Combo’ demnächst hochgehen lassen würde…“ Einen überraschend für die WM nominierten Spieler bezeichnete Becker gegenüber dem Spiegel-Schreiber als „halbschwul“, ohne genau zu erklären, was das denn nun sein solle – anscheinend fand er allerdings, dass dieses Wort gut zum von ihm angedeuteten Tatbestand einer wie auch immer gearteten Schwulenverschwörung in der Nationalmannschaft sei.
Auf die Idee, dem Ballack-Manager zu sagen, dass es ihn einen Scheißdreck angehe, wer welche sexuellen Präferenzen hat, war anscheinend keiner der Anwesenden gekommen, vermutlich, weil man es sich mit ihm und dem von ihm vertretenen „El Capitano“ nicht verderben wollte, schließlich war es damals noch nicht zum folgenschweren Foul von Boateng gekommen.
Und auch nach der Veröffentlichung der Becker-Zitate bleib das riesengroße Echo aus. Insgesamt fand man die Äußerungen des Ballack-Beraters zwar pflichtgemäß daneben, aber eine Diskussion um Schwulenfeindlichkeit im Fußball und im Sport generell fand nicht statt.
Nun kann man davon ausgehen, dass in jeder Sportredaktion bekannt ist, welcher Kicker zumindest des örtlichen Profivereins schwul ist – dass sich die ansonsten nicht besonders zimperliche Branche gleichwohl nicht traut, Namen zu nennen, liegt einfach nur daran, dass man befürchtet, die guten Kontakte zum Star und anschließend zum Verein zu verlieren. Umso mehr drängt man darauf, dass sich der oder die Spieler doch bitte selbst outen mögen, sozusagen als Startschuss, um endlich alles, was man weiß und so lange zurückgehalten hat, in lange Artikel packen zu können.
Warum sich sich bislang nicht nur im Fußball, sondern in allen Mannschaftssportarten weltweit bis hin zum American Football noch kein aktiver Spitzenspieler geoutet hat, könnte daran liegen, dass der große Karriereknick die Folge sein könnte. Sportler haben nur sehr wenig Zeit, in ihrer Profession Geld zu verdienen und selbst wenn Vereine wie Werder Bremen und der FC St. Pauli ihre Profis ermutigten, sich zu ihrem eventuellen Schwulsein zu bekennen, heißt das noch lange nicht, dass ein in der Champions League spielender europäischer Spitzenverein sich angesichts seiner eher konservativen Fans nicht doch im Zweifel für einen heterosexuellen Star entscheiden würde. Schließlich hat kein Club Lust, es sich mit seinen zahlenden Anhängern zu verderben oder gar angesichts eventueller schwulenfeindlicher Äußerungen durch die Supporter Negativ-Schlagzeilen zu machen.
Woraus folgt: Man outet sich in allen Sportarten bislang in aller Regel erst dann, wenn die aktive Karriere vorbei ist. Und wenn man, ganz wichtig, nicht weiter im Fußball, Football, Handball und den ganzen anderen Mannschaftssportarten als Trainer, Berater, Vermittler arbeiten möchte.
Dabei müsste, zumindest in den westlichen Ländern, kein aktiver Sportler Angst vor negativen Schlagzeilen haben, wie vielfach angenommen wird. Weder „Bild“ noch eines der anderen Boulevardmedien würde „Skandal! Superstar X ist schwul“ titeln – gleichwohl ist zu befürchten, dass ein sich outender Spitzen-Spieler die Konzentration auf die Karriere zunächst vergessen könnte.
Den unweigerlich einsetzenden Medien-Hype kann man vermutlich am besten mit der Phrase „Ich streichel dich blutig“ umschreiben – das einfühlsame Verständnis der wohlmeinenden Öffentlichkeit würde die Privatsphäre des sich outenden Sportlers, nennen wir ihn X, und die seines Lebensgefährten Y gleich dazu, empfindlich verletzen.
Während Bild und Co alles daran setzen werden, das glückliche schwule Paar via Home Stories ins Bild zu setzen, in denen „exklusiv Spieler X und sein Lover Y ihr Liebesnest zeigen“ und unter anderem die Sitzecke mit dem Vermerk, hier mache Y es seinem X nach Bundesliga-Spieltagen so richtig gemütlich und verwöhne ihn nach Strich und Faden, präsentiert wird (man muss wirklich sehr hoffen, dass ein Spieler, der sich outet, keinen Whirlpool besitzt, der dann mit Bildunterschriften wie „Hier frönen wir unserer prickelnden Leidenschaft“ versehen würde), würden seriösere Tageszeitungen ausgedehnte Statements zum Thema Diskriminierung erwarten. Andauernd. Gleichzeitig häuften sich die Talkshow-Einladungen, wo X und Y bitte über ihr Leben plaudern sollen. Und außerdem dürfen sie fortan auf keinem Christopher Street Day-Wagen fehlen (überall, nicht bloß in ihrem Heimatort).
Natürlich könnte der sich outende Bundesliga-Spieler es bei einer dürren Pressemitteilung belassen und mitteilen, sich nun aber wieder aufs Kicken konzentrieren zu wollen. Wer glaubt, dass eine solche Strategie aufgehen könnte, hat allerdings in den letzten 20 Jahren weder Zeitungen gelesen noch den Fernseher angemacht. Und so Regel Nummer 1 des Medienbusiness nicht mitbekommen: Wer sich komplett verweigert, wird bestraft, egal ob schwul oder hetero. Denn mit den einschlägigen Boulevardzeitungen und –Programmen nicht zu reden, klappt nur dann, wenn man dann eben andere Publikationen und Sendungen bedient, was für unseren imaginären Spieler X dann doch nur wieder ähnlichen Stress bedeuten würde.
Solche Unannehmlichkeiten vorausahnend wird immer wieder das so genannte Gruppen-Outing gefordert, im Klartext also eine konzertierte Aktion aller schwulen Profis, die gemeinsam unter einem griffigen Titel wie „Wir sind schul, na und?“ auftreten. Das setzt allerdings voraus, dass beispielsweise alle homosexuellen Erstliga-Kicker voneinander wissen, dass sie Männer lieben. Und dass man einander über die Vereinsgrenzen hinweg mag und vertraut, was in einem Geschäft mit Milliardenumsätzen eher unwahrscheinlich ist.
Der sich mit Outinggedanken tragende Profi X sich seinen Schritt wird sich die Sache auch weiterhin sehr genau überlegen. Und die vielen ungeschriebenen Geschichten über ihn bleiben da, wo sie hingehören.
Der Text erschien zuerst in der Wochenzeitung Jungle World