Nach langer sportlicher Orientierungslosigkeit steht der HSV vor einer schwierigen Saison.

Vor gut einem Jahr gab Dietmar Beiersdorfer auf beim HSV. Der Sportchef quittierte nach Differenzen mit dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann den Dienst und heuerte bei RedBull an. Der HSV erlebte eine turbulente Saison, schien zunächst auf der Siegerstraße und erreichte am Ende doch keines der Saisonziele mehr. Mit der kommenden Spielzeit sollte alles besser werden. Mit neuem Trainer und neuer sportlicher Leitung wollten Vorstand und Aufsichtsrat das Ruder herumreißen und wieder Spitzenfußball bieten.

Keine Qualifikation für den Uefa Cup, aber vor St. Pauli

Kurz vor dem Saisonbeginn steht nun fest: Daraus wird nichts. Die Vorbereitung verlief mäßig. Chelsea wurde in einer Showveranstaltung knapp geschlagen, gegen Schalke und Cottbus blieb man chancenlos. Schwerer als die bloßen Ergebnisse wiegt die Hilf- und Sorglosigkeit, mit der Trainer und Mannschaft auftreten. Mit Rost, Ze Roberto und van Nistelroy leistet man sich drei Stammspieler, die ihre stärksten Jahre hinter sich haben und zudem ihr letztes Jahr für den HSV absolvieren. Der “Mittelbau” um Trochowski und Jarolim scheint weiter überfordert und den Jüngeren wird allzu selten eine Chance gegeben. Als Hoffnungsträger gelten die Dauerverletzten der letzten Saison: Jansen und Elia. Ohne sie wird nicht viel gehen beim HSV. Zwar wird man sich den noch unerfahrenen Lokalrivalen FC St. Pauli vom Halse halten können, die Qualifikation für die europäischen Wettbewerbe ist bei einer ähnlich starken Konkurrenz wie im Vorjahr allerdings ausgeschlossen.

Hoffmann gerät in Bedrängnis, Reinhardt und Veh setzen sich durch

Besonders eng wird es für den Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann. Er bestimmt maßgeblich die Personalpolitik im Verein und hatte im vergangenen Jahr auch die Verantwortung für die Spielertranfers übernommen. Dabei kann er mittlerweile eine beeindruckende Liste von Misserfolgen und Pleiten vorweisen: Die Trainer Stevens und Jol gingen freiwillig, noch bevor Beiersdorfer als Sportchef aufgab. Die euphorisch angekündigten Stars Affelay und Siegenthaler waren schon vor Vertragsbeginn wieder weg und die wahrlich hoch gehandelten Transfers Berg und Rozehnal wurden nach nur einem Jahr schon wieder aus dem Kader aussortiert.
Mit dem an seine Grenzen gestoßenen Vorgesetzten Hoffmann werden es Trainer Veh und der unverbrauchte Sportchef Reinhardt zwar nicht leicht haben, doch beide sind nunmehr unverzichtbar und werden über die Saison hinaus ihre Chance bekommen. Hoffmann wird hingegen in den kommenden Monaten den Kopf für die sportliche Misere hinhalten müssen. War er bislang nur in einer Minderheit des Vereins umstritten, kam es in der Sommerpause erstmals darüber hinaus zu öffentlicher Kritik durch die Altvorderen und Ex-Präsidenten Krohn, Klein und Hunke.

Die große Unbekannte: die Finanzen

Eine große Rolle in der Diskussion um Hoffmann spielte dessen Investorenmodell, mit dem Sponsoren dem Club zu frischem Geld verhelfen und im Gegenzug Anrechte auf zukünftige Transfererlöse erwerben. Bis zu 15 Millionen Euro will Hoffmann bislang so eingeworben haben. Wurde bislang vor allem diskutiert, ob der Club auf diese Art und Weise seine sportliche Unabhängigkeit an Pirvatinvestoren abgegeben würde, die auf schnelle Rendite drängen, so stellt sich mittlerweile eine ganz andere Frage: Wozu benötigt der HSV das frische Geld? Bei den Tranfers halten sich Einnahmen und Ausgaben ungefähr die Waage. Werden also laufende Kosten aus dem neuen Kapital beglichen? Oder hat sich der Verein im letzten Jahr sogar übernommen und muss eine negative Bilanz kaschiert werden? Sollten sich diese Befürchtungen bewahrheiten, wäre die Vorstandstätigkeit Hoffmanns in Hamburg nicht mehr vermittelbar und der HSV hätte den nächsten Skandal.

Die Fanszene stabilisiert sich und gewinnt an Einfluss

Mit dem ausbleibenden sportlichen Erfolg wird die Euphorie um den HSV nachlassen. Die Event-Konsumenten und die vom Verein geschröpften Tageskartenkäufer bleiben zu Hause. Eine Abwanderung zum Lokalrivalen St. Pauli wie den 80er und 90er Jahren wird es allerdings nicht geben. Die “Marke” HSV ist noch zu fest etabliert und St. Pauli keine sportliche Konkurrenz. Den organisierten Fans um den Supporters Club kommt diese Entwicklung zu Gute. Ohne Störfeuer von den konsumorientierten Stadionbesuchern und ohne zeitraubende “Rathausmarkt” Kampagnen können sich die Aktivisten der Vereinspolitik widmen. Die Themen liegen auf der Hand: der Stadionausbau, der Umgang mit Polizeiwillkür und Stadionverboten sowie die Fortsetzung der Diskussion um die Kommerzialisierung des Sportvereins. Die Szene wird sich so aus sich selbst heraus inhaltlich stärken und so an Attraktivität auch gegenüber dem ungeliebten Lokalrivalen gewinnen.

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