Der wirtschaftliche Abschwung hat den russischen Fußball erreicht. Betroffen sind vor allem kleinere Clubs.

In Russland muss alles immer eine Nummer größer sein – auch im Sport und dort insbesondere im Fußball. Zumindest galt das für die Zeit vor dem Einsetzen der Finanzkrise. Geld spielte eine wesentliche Rolle, aber nicht im herkömmlichen Sinne des Sparens, denn nichts und niemand war den mit scheinbar unerschöpflichen finanziellen Mitteln ausgestatteten Clubs teuer genug. Da konnte es schon passieren, dass der Preis für einen gewünschten ausländischen Profispieler mit zwei Millionen Dollar als zu niedrig empfunden wurde und das Geschäft deshalb nicht zustande kam – Qualität muss schließlich ihren Preis haben.

Günstig einzukaufen, empfanden Sportfunktionäre eher als Peinlichkeit, wegen der man sich vor den Kollegen schämen musste. Der Spor­tagent Wladimir Abramow verpasste ihnen wegen ihrer an die High Society erinnernden Allüren die Bezeichnung »Damen beim Empfang«.

Mit dem Schrumpfen der Öldollarvorräte ­kamen auch die russischen Allmachtsphantasien auf dem Sportmarkt zu einem vorläufigen Ende. »Wir lassen es nicht mehr zu, dass sie immer fetter werden. Eine Milliarde (Rubel, umgerechnet etwa 22,5 Millionen Euro, U.W.) für einen Fußballer zu zahlen, ist unzulässig«, empörte sich der Vorsitzende des russischen Rechnungshofs, Sergej Stepaschin, bereits Ende vorigen Jahres. Gemeint waren jene russischen Konzerne, die sich mit der Bitte um Finanzhilfen an den Kreml gewandt hatten, aber gleichzeitig für ihre hohen Ausgaben im Sportbereich bekannt waren.

»Gazprom will nicht, dass ich weggehe, deshalb steht kein Wechsel an«, hatte der Stürmer Andrej Arschawin von Zenit St. Petersburg noch im Sommer 2008 gesagt. »Gazprom braucht kein Geld.« Der russische Gasmonopolist und Sponsor des Petersburger Clubs trägt heute allerdings an einer Last von Kreditrückzahlungsforderungen in Milliardenhöhe, und nun scheinen selbst kleinere Summen willkommen. Nach einigem Hin und Her wechselte Arschawin folgerichtig Anfang Februar zu Arsenal London, für die stolze Summe von 18,3 Millionen Euro. Sein Vertrag läuft bis 2012.

Alle führenden russischen Clubs, ob Zenit, Spartak, Moskwa, ZSKA oder Dynamo, hängen im Wesentlichen von den Konzernen Gazprom, Lukoil und Nornikel ab, die alle im Verlauf der Wirtschaftskrise herbe Einbußen ­hinnehmen mussten. Sinkende Rohstoffpreise wirken sich aber natürlich auch auf die Steu­ereinnahmen aus. Gerade Fußballvereine aus der Provinz trifft dies besonders hart, da sie viel mehr als die großen hauptstädtischen Clubs auf Haushaltsgelder angewiesen sind. Ohne ­finanzkräftige Sponsoren sind russische Fußballvereine praktisch nicht überlebensfähig, denn es mangelt an alternativen Einnahmequellen.

Im Vergleich zu anderen Sportarten hat sich der russische Fußball in den vergangenen Jahren zwar stärker kommerzialisiert, dennoch brachten Übertragungsrechte für Spiele oder Werbung selbst den beliebtesten Mannschaften nur einen Bruchteil der benötigtes Geldes ein. Und eine Steigerung dieser Einnahmen ist nicht zu erwarten. Noch im Vorjahr boomte die russische Werbebranche wie kaum eine andere, nun verzeichnet sie allein in Zeitungen und Zeitschriften Einbrüche bis 30 Prozent.

Anfang Februar stellte der Trainer des Fußballclubs Krylja Sovetov aus Samara, Leonid Slutskij, die Prognose auf, dass aufgrund der Wirtschaftskrise viele Vereine mit herben Verlusten rechnen müssen. Slutskij hält einen Rückfall des russischen Fußballs in das Sche­ma der neunziger Jahre für denkbar, als in einer Liga Mannschaften auf völlig unterschied­lichem Leistungsniveau spielten. »Clubs, die über ein Finanzpolster verfügen, werden wie ­zuvor Top-Spieler einkaufen, deren Preis nicht sinken wird«, versicherte der Fußballtrainer der ­Tageszeitung Sport-Express. »Aber der Kreis dieser Vereine wird erheblich kleiner. In erster Linie fallen die finanzschwachen Clubs heraus.«

Wobei sich die Krise noch längst nicht mit aller Wucht auf den russischen Fußball ausgewirkt habe. »Ich denke, dass wir gegenwärtig ihre Dimension noch gar nicht einschätzen können«, sagte Slutskij dem Sport-Express. »Schließlich hat niemand mit einer solchen Entwicklung der Ereignisse gerechnet, und wir können wohl kaum voraussagen, was im Einzelnen weiter pas­sieren wird.«

Für den ehemaligen Erstligaclub Metallurg aus Lipetsk bedeutete die Finanzkrise bereits den erzwungenen Abstieg. Die Sponsoren konnten die erforderliche Summe für einen Verbleib in der ersten Liga langfristig nicht mehr aufbringen und entschieden sich für einen Wechsel in die zweite. Andere Vereine, wie der im Moskauer Umland beheimatete Club Reutow, sahen sich gezwungen, sich vom Profifußball zumindest vorübergehend zu verabschieden oder die Aufnahme gar nicht erst zu beantragen. Die Erstligisten Chimki und Saturn, die eben­falls in Vororten der russischen Hauptstadt angesiedelt sind, versuchten, ihre Finanzprobleme nun mit einer Vereinigung abzumildern.

Doch selbst in Krisenzeiten finden sich optimistische Stimmen. Der Generaldirektor des Moskauer Fußballclubs Spartak, Valerij Karpin, ist sich jedenfalls sicher, dass sein Verein das mit 65 bis 70 Millionen US-Dollar für 2009 veranschlagte Budget komplett einspielen wird. Mehr noch, Spartak denkt nicht einmal daran, den geplanten Bau eines neuen eigenen Stadions aufzuschieben. »Wegen der Krise kann es sogar sein, dass alles schneller vorangeht«, sagte Karpin Mitte März. Mit der Wirtschaftskrise seien die Baukosten schließlich von etwa 750 Mil­lionen Dollar auf die Hälfte gesunken. Die Erklärung dafür ist einfach: In den Zeiten des von Öldollars angeregten Baubooms, als die Nachfrage das Angebot überstieg, verlangten Bauunternehmer einen sagenhaften Aufschlag von bis 50 Prozent der eigentlichen Kosten. »Jetzt reicht es, wenn wir fünf Prozent draufschlagen.« Spartak versucht allerdings, den Preis noch weiter nach unten zu drücken, und führt derzeit Verhandlungen mit einer chinesischen Firma. In der engeren Auswahl stehen außerdem Unternehmen aus Deutschland und der Türkei.

Derweil platzen in Russland wegen der Krise bereits erste Termine im internationalen Sportkalender, wenn auch nicht im Fußball. Anfang April hätte im nordrussischen Murmansk mit der »Tour de Barents« der Auftakt zu einem inter­nationalen Skilanglauf-Turnier in fünf Etappen stattfinden sollen. Die anderen Veranstaltungsorte befinden sich in Norwegen und Finnland. Doch knapp einen Monat vor dem Turnier traf nach Angaben von Norwegens Langlaufidol Vegard Ulvang, dem Initiator der Tour, die Nachricht aus Murmansk ein, dass die russische Seite die Kosten für die Hotelunterbringung der Turnierteilnehmer nicht aufbringen könne. Da war es bereits zu spät für eine andere Lösung. Nun soll der nächste Versuch 2010 gemacht werden.

In Russland war man über diese Absage äußerst verwundert. Der Leiter des Murmansker Gebietskomitees für Sport, Nikolaj Kozhuchow, wies jegliche Verantwortung von sich, denn der lokale Sponsor, die Kolsker Bergbaugesellschaft, sei trotz gesunkener Nickelpreise all seinen Verpflichtungen in voller Höhe nachgekommen. Auch die Gebietsregierung habe an den Wettbewerbsplänen festgehalten. Trotzdem dürfte sie jetzt beruhigt sein. Zumindest das Einsparen öffentlicher Gelder wird nun wohl krisenbedingt in Mode kommen.

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung Jungle World

Kommentare

1 Kommentar zu “Russland: Die Krise und das Kicken”

  1. Blick Log » Finanzkrise und Fußball: Über volle VIP-Logen und leere Kassen am 04.16.09 01:37

    […] wegen der Vermarktung der TV-Rechte. Mit den Auswirkungen der Finanzkrise auf Russland hat sich Ute Weinmann intensiv auf sportswire.de befasst. So ist dort zu lesen, dass alle führenden russischen Clubs, ob Zenit, Spartak, Moskwa, […]

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