Cheers, mate! In einer kleinen Serie berichte ich über meinen Ausflug zu einem Spiel im Fußball-Mutterland. Lesen Sie im fünften und letzten Teil Anekdoten über Edel-Fans, die Stille im Stadion und Würstchen im Schlafrock

Das Stadion
Auf den ersten Blick macht das Stadion des Norwich City FC einen guten Eindruck. Englisch halt, etwas mehr als 26.000 Sitzplätze. Gewöhnungsbedürftig ist das „Holiday Inn“-Hotel, das in einer Kurve zwischen zwei Tribünen steht. Aus ihren Fenstern können die Hotelbesucher die Spiele verfolgen. Eine schöne Idee, die von den Gästen aber nicht angenommen wird. Nur zwei Besucher sahen sich das Spiel an.

Die Stadionshow
Vor dem Spiel lief „In the City“ von The Jam, es tanzten Cheerleaders, und in der Halbzeit sammelten Soldaten Geld für die Unterstützung von Weltkriegshelden. Kann man machen.
Irritierend waren die zwei Maskottchen von Norwich City. Neben dem aus Funk und Fanzines bekannten Captain-Canary-Kanarienvogeltollpatsch lief da auch eine Katze herum.

Dazu ein Interview, das ich im „Pizza Express“ mit dem Norwich-Fan Andy Lawn führte:

“Was war das denn für eine Katze?“
“Das haben wir uns auch gefragt, als die vor ein paar Jahren auftauchte.“
“Und?“
“Sie heißt Splat the Cat. Irgendein Sponsor hat die einfach aufs Feld geschickt.“
“Aber Katzen und Vögel vertragen sich doch gar nicht.“
“Das stimmt.“

Essen & Trinken
Die Fernsehköchin Delia Smith hält die Mehrheit an den Club-Anteilen, aber ums Catering hat sie sich seitdem bestimmt nicht gekümmert. Es gab Würstchen im Schlafrock und trockene Pies, die nur mit einem Schluck Carling-Bier zu ertragen waren. Blöd für alle, die ihre Pies im Stadion gegessen haben, denn das Bier durfte man nicht mit rein nehmen.

Die Edel-Fans
In Norwich ist der Stadionbesuch auch bei älteren Menschen beliebt. Vor allem die Damen pflegen einen ansprechenden Stil. Ich denke, dass die weiblichen Ü60-Fans vor jedem Spiel zum Friseur gehen und sich stundenlang Gedanken machen, welches praktische aber dennoch elegante Outfit für den Spielbesuch angemessen ist. Und so sahen wir jede Menge älterer Ladys, die an Margaret Rutherford und weitere mir namentlich nicht bekannte britische Schauspielerinnen aus den 50er- und 60er Jahren erinnerten. Als pfiffiges Extra trugen einige von ihnen einen grüngelben Schal, der durch sein fast schon provozierend traditionelles Design umso mehr die Eleganz seiner Besitzerinnen unterstrich. Nach dem Spiel holte ich mir auch so einen. Bei mir sieht der aber total beknackt aus.

Die Stimmung
Unter aller Kanone. Außer mal einem „Come On, City!“ kam da von den Heim-Fans so gut wie gar nichts. Am Ende des Spiels brachten die Fans ihren Unmut über das 2:2 mit einem kurzen „Boooh“ zum Ausdruck, binnen Sekunden war das Stadion leergefegt.

Dazu ein Interview, das ich am Ausgang mit dem Norwich-Fan Peter Dibble führte:

“Warum war es so still?“
“Weil unsere Erwartungen in diese Saison schon wieder nicht erfüllt werden. Seit Jahren wollen wir aufsteigen und nie klappt es. Das hat zu einer frustrierten bis gleichgültigen Grundstimmung geführt.“
“Bei den Gästen ist es ähnlich, und die waren manchmal ganz schön laut.“
“Ja? Ich habe nichts gehört.“

Das Spiel
Ach, naja. Es gab zwar eine rote Karte, einen Schwerverletzten und zwei kuriose Tore. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Verein dieses 2:2 am Ende der Saison nicht als DVD veröffentlichen wird. Besonders auffällig war die Leidenschaftslosigkeit, mit der einige Spieler von Norwich City über den Platz liefen.

Dazu ein Interview, das ich mit einer älteren Dame in „The Alexandra Tavern“ führte:

“Waren Sie auch beim Spiel?“
“Ja. Sie auch? Wie hat’s Ihnen gefallen?“
“Irgendwie haben die Norwich-Spieler nicht alles gegeben, oder?“
“Das ist richtig. Das liegt daran, dass unser Trainer so viele Leihspieler in die Mannschaft geholt hat. Die spielen hier nur ein paar Monate und sind dann wieder weg. Sie fühlen sich mit dem Club nicht verbunden und geben deshalb auch nicht immer hundert Prozent.“
“Aber Leroy Lita war der beste Spieler heute, und der ist auch ausgeliehen.“
“Ausnahmen bestätigen die Regel.“

Das war’s! Ich hoffe, Ihnen hat diese kleine Serie ein bisschen Spaß gemacht. Wenn ich mal wieder in die Niederungen des Fußballs reise, sage ich Ihnen gern Bescheid.

Kommentare

2 Kommentare zu “Reise zum Mittelmaß des Fußballs, Teil 5: Enjoy The Silence”

  1. Philip am 11.11.08 12:46

    Sehr gutes und pointiert geschriebenes Journal. Also gibt es sogar in englischen Stadien zuweilen dieses peinlich mulmige Gefühl der Stille gefolgt von Schmährufen, welches sich in Deutschland oft sehr schnell einstellt, sobald es auf dem Platz nicht läuft.
    An den Autor: bitte mehr über Höhen und Niederungen des Fußballs schreiben!

  2. Alf am 11.12.08 18:05

    Ein sehr schöner Ausflug nach England und besonders fein: die kurzen Interviews! Und im Stadion sammelten sie für Weltkriegshelden? Gibt es die denn überhaupt noch?

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