Nicht jedem reicht es, sein Lieblingsspiel stunden- oder tagelang am heimischen Rechner zu daddeln. Entsprechend gibt es eine Menge, gut dokumentierte Versuche, Games im wirklichen Leben nachzustellen.
Wer jeztzt an mittelalterliche Rollenspiele. denkt, irrt: Nachgespielt werden unter anderem The Sims, Pong und viele weitere Klassiker.

Im riesigen Saal der Universitätsbibliothek von Michigan herrscht die übliche Betriebsamkeit des akademischen Lehrbetriebs, alles scheint wie immer. Plötzlich jedoch werden die büffelnden Studenten aus ihrer Konzentration gerissen, ein lebensgroßer Pacman rennt johlend durch die Gänge und wird dabei von einem seltsam quakenden (“wakawakawakawa kawakawaka..”) Geist gejagt.
Manche beobachten das seltsame Treiben etwas fassungslos und leicht irritiert, andere dagegen können sich das Lachen nicht verkneifen. Nach kaum einer Minute ist der schräge Spuk vorbei.

Real Life Pacman

Dies ist nur eines von mehreren hundert Videos, die aufgelistet werden, wenn man beim Online-Portal Youtube „human“ bzw. „real life computergames” in die Suchmaschine eingibt.
Die skurillen Produktionen zeigen bekannte virtuelle Figuren aus elektronischen Spielewelten, die in der realen Welt als Wesen aus Fleisch und Blut agieren.
Und obwohl die meisten der Clips eher von hyperaktiven Jackass-Fans und studentischen Pranksters inszeniert worden sind und recht krude wirken, besitzen sie fast alle eine hohen Unterhaltungswert.
Aber nicht nur phantasievolle Spielsüchtige beschäftigen sich mit dem sogenannten “analog re-enactment”, aufwendigere Produktionen dieses Genres findet man an unterschiedlichsten Orten, in japanischen TV-Spielshows (Human Tetris) ebenso wie in der New Yorker Universität (Pac-Manhattan ) oder in Schweizer Kunstperformance-Stätten (Game Over Projekt)

Idee und Ausführung: Takeshi Kitano

Wie viele kuriose Ideen stammt auch die, Computergames im wirklichen Leben nachzuspielen, höchstwahrscheinlich aus dem technikbegeisterten Ursprungsland vieler Elektronikspiele-Klassiker, nämlich Japan.
Dort schuf in den in den Spätachtzigern der für seine knallharten Movies bekannte Filmregisseur Takeshi Kitano eine ebenso trashige wie blessurenreiche TV-Spieleshow names Takeshi’s Castle, dessen Grundidee die reale Umsetzung von Jump ’n’ Run-Computerspielen wie z.B. Super Mario war.
Etliche Jahre später wurde die Sendung dann auch in vielen Ländern der Welt eine Kult-Sendung (In Deutschland lief sie jahrelang im DSF) und machte wohl auf besonders eingefleischte Fans großen, bis heute nachwirkenden Eindruck.

Analoge Befreiungsbewegung für binäre Wesen

Dies ist jedenfalls eine mögliche Erklärung für die recht weite Verbreitung dieser leicht bizarren Freizeitgestaltung, die zumeist auch mit großem Enthusiasmus und Ausdauer betrieben wird.
Dabei steht für die Macher augenscheinlich der Spaß am schelmischen (Umkehr-)Spiel im Vordergrund, die meisten Inszenierungen sind zugleich Hommage und Persiflage, hier und da gibts auch mal satirisch-kritische Seitenhiebe.
Trotzdem kommt man beim Betrachten all dieser Dokumente des obsessiven Nachstellens binärer Spielewelten nicht umhin, einem tieferen Grund für dieses Tun zu vermuten. Vielleicht ahnen diese Analog-Aktivisten ja unbewußt, dass die zukünftige Menschheit es irgendwann mit gleichberechtigten (künstlich) intelligenten virtuelle Wesen zu tun haben wird, z.B. mit schlechtgelaunten Klempner-Roboter die wie Super-Mario aussehen.
Und so kann man die symbolische Freisetzung der gepixelten Helden auch schon als versöhnliche Geste, gegenüber den von endlos Wiederholungen zermürbten Kreaturen aus der binären Spielhölle sehen, auf subtile Art agiert hier sowas wie eine analoge Befreiungsbewegung virtueller Wesen.

Teil 2 erscheint morgen

Kommentare

2 Kommentare zu “Real life-Computergames. Teil 1: Analoge Befreiungsbewegung für binäre Wesen?”

  1. SF am 08.11.08 19:15

    Asimov hätte seine Freude daran…

  2. Guest, Judith: The Tarnished Eye · am 08.14.08 09:10

    […] News » News Real life-Computergames. Teil 1: Analoge Befreiungsbewegung für …2008-08-14 02:10:37Sims, Pong und viele weitere Klassiker. Im riesigen Saal der […]

blogoscoop