Rassismus in der Serie A

von MisterAltravita

Heute morgen erreicht uns die Meldung, dass die alte Dame Juventus ihr nächstes Heimspiel der Serie A gegen Lecce am 3. Mai vor verschlossenen Türen austragen muss. Juventus Turin bereitet Einspruch gegen die Entscheidung des Sportrichters Gianpaolo Tosel vor. Aber was war passiert?

Samstagabend fand in der italienischen Serie A das sogenannte “Derby d’Italia” statt, Juventus gegen Inter. Zweiter gegen Spitzenreiter. Sportlich war der im übrigen grottenschlechte Kick, der 1:1 endete sicherlich nicht richtungsweisend, der Abstand bleibt 6 Spieltage vor Schluß bei 10 Punkten, die Meisterschaft ist seit längerem entschieden. Leider ist das Spiel im Turiner “Stadio Comunale” aus einem ganz anderen Grund in Erinnerung geblieben: weil praktisch 4/5 der Turiner Anhänger nichts intelligenteres einfiel, als den 18-jährigen dunkelhäutigen Inter-Angreifer Mario Balotelli durchgehend mit rassistischen Beleidigungen zu überschütten. Die heutige Urteilsbegründung zitiert die Minuten 4, 26, 35, 41, 42 der ersten Halbzeit und 11, 19, 22, 25, 30 der zweiten Halbzeit – wenn man unterstellt, dass so ein Gesang mehrere Minuten dauern kann, bleibt nicht viel Zeit zum Anfeuern der eigenen Mannschaft.

Affenlaute, Bananen-Anspielungen, “Wenn ihr springt, stirbt Balotelli”, “Es gibt keine italienischen Neger” und vieles mehr. “In tutti colori”, wie der Italiener sagen würde. Es fällt mir darum nicht schwer, dem Inter-Präsidenten Massimo Moratti voll zuzustimmen und ihn an dieser Stelle zu zitieren:

“Wenn ich im Stadion gewesen wäre, hätte ich zu irgendeinem Zeitpunkt meinen Platz auf der Tribüne verlassen, wäre auf den Platz gegangen und hätte die Mannschaft zurückgerufen. Denn es gibt eine Grenze für alles. […] Diese Sprechchöre kamen aus dem gesamten Stadion mit einer derartrigen Überzeugung, dass man den Eindruck hatte, die wären stolz und glücklich, sie zu singen. Das ist schrecklich, das alles geht weit über das Spiel und das Ergebnis hinaus, über die geschossenen und vergebenen Tore.”

Ich stimme zu, dass Balotelli ein Provokateur und respektloser Unsympath ist. Die Wut der Roma wegen seines geschundenen Elfmeters ist nachvollziehbar, ich habe auch Balotellis armselig-kindische Geste gegen Cristiano Ronaldo im Champions-League-Hinspiel gegen Manchester United nicht vergessen, als er den Weltfussballer mit einer lässigen Handbewegung zum Aufstehen aufforderte. Gerade weil mir so viele Gründe gegen Balotelli als Fußballer und Mensch einfallen, finde ich es um so erbärmlicher, dass den Juve-Fans ganz offensichtlich die Phantasie fehlt, den Spieler wegen etwas anderem als seiner Hautfarbe zu schmähen. Moratti weiter:

Offensichtlich wächst eine gewisse Gewöhnung an den Rassismus. Geht alles gut? Ist alles normal? […] Ich habe mir sofortige Entschuldigungen seitens des Verbandes und der Juve gewünscht, nicht mir oder Inter gegenüber, sondern für den Jungen, für was er in Turin durchmachen musste. Bis jetzt habe ich nichts gehört. Ich habe auch gedacht, dass das Spiel vielleicht vom Schiedsrichter unterbrochen würde: da habe ich mich getäuscht, nichts zu machen.”

Stattdessen dokumentiert die Berichterstattung zunächst grösstenteils Beschwichtigungen wie Torwart Gigi Buffon, der zwar Beleidigungen gehört hat, allerdings nichts rassistisches und überhaupt solle der Junge mal aufpassen, dass er mit seinem Verhalten nicht das Publikum provoziert. Zusammengefasst: Der soll sich mal nicht wundern. Etwas anderes hätte ich von einem bekennenden Faschisten nun auch nicht erwartet – beklemmend ist, dass Zehntausende mitmachen. Wie gesagt, Balotelli wird auffällig unsympathisch wahrgenommen und dass die gegnerischen Tifoserien auf ihn einschießen, hat er sicherlich zu einem guten Teil sich selbst zuzuschreiben. Wieso sich der Hass dann aber nicht gegen Balotelli den “Provokateur” richtet, den “Schwalbenkönig”, den “Großkotz” mit der “albernen Frisur”, sondern nun gegen das einzige Merkmal, das überhaupt gar nichts mit irgendwas zu tun hat – seine Hautfarbe – ist ein armseliges Beispiel für den Rechtsruck in italienischen Stadien.

Mittlerweile hat sich Juves Präsident Cobolli Gigli zu einem Statement durchgerungen, der die rassistischen Anfeindungen verurteilt, unter deutlichem Hinweis darauf, dass es sich selbstverständlich nur um einen kleinen Teil der Anhängerschaft handelte. Das hört sich Samstag aber anders an. Vermutlich haben die aufrechten Demokraten das Spiel ja im Fernsehen verfolgt.

Fabrizio Bocca von der Repubblica forderte schon am Montag ein deutliches Zeichen: Die Juventus-Kurve gehört geschlossen und die Spiele des nächsten Spieltags sollen mit 15-minütiger Verspätung beginnen – als Zeichen dafür, dass hier eine ganz klare Grenze der Zivilgesellschaft überschritten wurde. Der Italienische Lizenzspielerverband wird “sich zusammensetzen” und kündigt “nach eingehender Beratung” “drastische Forderungen” an. Dabei geht es nicht darum, Stadionfans den Maulkorb zu verpassen, Beschimpfungen und Beleidigungen gehören – zumal in einem Derby – zum Stadionrepertoire. Es geht nicht darum, Herrn Balotelli einen Persilschein auszusprechen. Es geht darum, dass wenn es denn sein muss, Balotelli genauso behandelt wird, wie jeder andere Fußballer auch. Rassismus gehört aber nirgendswohin, auch nicht ins Stadion und gegen diese grenzenlose Brunzdummheit muss ein Zeichen gesetzt werden. Nicht dass sich der Eindruck noch weiter vertieft, die Einteilung von Menschen nach Hautfarbe wäre normal. Denn die medial millionenfach verbreitete Normalität rassistischer Beleidigungen gegen einen Sportler dunkler Hautfarbe führt im Umkehrschluß dazu, dass auch non-verbale Gewalt gegen den nächsten pakistanischen Rosenverkäufer gedeckt wird.

Zu ernsthaften – und nicht nur symbolischen – Sanktionen wird es sicherlich nicht kommen. Warum denn auch in einem Staat, in dem Faschisten mehrheitlich an der Regierung teilnehmen? In einem Staat, in denen Spieler wie Buffon, di Canio oder Milans Torhüter Abbiati sich problemlos und offen zum Faschismus bekennen. In einem Fußball, dessen Kurven mittlerweile weitgehend stramm rechtsorientiert organisiert sind. In einer Liga, in der selbst systematische Schiedsrichterbestechung oder massives Doping auf Vereinsebene normalerweise mit einem erhobenen Zeigefinger geahndet wird. Eher typisch ist das Verhalten von Schiedsrichter Farina. Keinesfalls hatte der nämlich das Spiel abgebrochen oder auch nur für ein paar Minuten unterbrochen. Er hätte den Kapitän zu sich rufen können, damit der mäßigend auf sein Publikum einwirkt. Ich brauche nicht erwähnen, dass die Spieler natürlich auch selbst nicht auf die Idee gekommen sind, irgendetwas zu sagen. Ja, das war schon nicht nett, aber das soll jetzt bitte nicht überbewertet werden. Ist doch immer so. Und außerdem soll der Balotelli sich nicht mal so anstellen.

Schade, dass Moratti nicht in Turin war, um seine Mannschaft aus dem Spiel zu nehmen. Schade, dass auch die anwesenden Offiziellen, Spieler und Trainer keinen Anlaß gesehen haben, einzuschreiten. Wo sind denn die geifernden Funktionäre, die nach immer neuen Terrorgesetzgebungen rufen, wenn mal irgendwo eine Rauchbombe abgelegt wird oder eine Fackel hochgehalten? Wo ist denn die Presse, die im Fall von Pyrotechnik immer prompt den Untergang des Abendlandes beschwört? Gut, Antonio Materrese, Chef der Lega Calcio, zeigt sich selbstverständlich ausreichend bestürzt und kündigte “drastische Maßnahmen” an und nun wird ja vermutlich auch ein Spiel ohne Publikum stattfinden. Nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass man die Partie besser nicht unterbrochen hätte, wäre doch “das Risiko gewalttätiger Ausschreitungen” der Curva und Konflikte zwischen “pfeifenden” und “nicht pfeifenden” Zuschauern zu groß.

Auch Giancarlo Abete, Chef des italienischen Fußballverbandes FIGC findet Worte, die Vorfälle “aufs schärfste” zu verurteilen. “Mi scuso come deve fare chi ha responsabilità.” – “Ich entschuldige mich, wie es von jemandem in verantwortlicher Position erwartet wird.” Um dann sofort zu erklären, dass die FIGC selbstverständlich keine Schuld träfe, das Problem über den Fußball hinaus ginge und Schiedsrichter und Offizielle und Sportgerichtsbarkeit selbstverständlich alle eine korrekte Arbeit abgeliefert hätten. Absurderweise besteht die Möglichkeit, ein Serie A-Spiel abzubrechen, wenn rassistische Spruchbanner gezeigt werden – eine solche Möglichkeit sieht das Regelwerk nicht vor, wenn die Beleidigungen “nur” zehntausendfach gesungen werden. Ist ja klar, dass Fußballer während des Spiels besser lesen als hören.

Balotelli hat mehrfach Schuld auf sich geladen: Er ist schwarz und er ist Italiener. Als solcher spielt er in der U21-Nationalmannschaft und als solcher wird er vermutlich schon bald bei offiziellen Länderspielen der ersten Mannschaft “Fratelli d’Italia” mitsingen. Squadra Azzurra, Stolz der gebeutelten Nation. “Non esistono negri italiani” – “Es gibt keine italienischen Neger” war einer der Slogans von Turin. “Die Polizei will nun mit Hilfe von Videoaufnahmen die Krawallmacher ermitteln” erfreut uns T-Online. Das könnten diesmal ziemlich viele werden…

Kommentare

2 Kommentare zu “Rassismus in der Serie A”

  1. Laura am 06.08.09 12:40

    Bei solchen Ereignissen und denen wie gestern (dass eine Partei eines solchen Idioten, der sich mit Minderjährigen vergnügt, was mehr als wiederlich ist und auf Staatskosten Parties auf Sardinien feiert, in das europäische Parlament gewählt wird), schäme ich mich für mein Land.
    Wie sehr ich mir doch auch wünsche, dass Moratti im Stadion gewesen wäre, obwohl ich ihm das nicht zugetraut hätte – ihm wären doch dann viel zu viele Moneten durch die Lappen gegangen.
    Und gegen den zweiten Vorwurf von Moratti muss ich intervenieren:
    Ranieri hat ganz klar nach dieser Partie gesagt, dass die Mannschaft mit solchen Leuten nichts zu tun hat und es genug Spieler gab die Balotelli ihre Unterstützung ausgesprochen haben. Natürlich war Buffon da nicht dabei – dass der nicht ganz rund lauft in letzter Zeit wissen wir ja alle.

  2. MisterAltravita am 06.08.09 12:53

    Idioten gibt’s überall, mal weniger offensichtlich, mal mehr, da brauchst du dich wirklich für nichts zu schämen. Es ist nur eben so, dass bei bestimmten Minderheiten schon ein einzelner viel zu viel wäre und es sind ja bei weitem nicht nur Juventini…

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