Jul
29
Mittlerweile gehört es während der Fußballsaison schon dazu, dass die montäglichen Schlagzeilen nicht nur von Siegen und Niederlagen, Traumpässen und verdaddelten Großchancen, sondern auch von Ausschreitungen handeln.
Tatort sind allerdings nicht länger die Bundesliga-Stadien, sondern die Spielstätten unterklassiger Vereine – der Rassismus ist ganz unten angekommen.
Im Gegensatz zu früheren Jahren, als sich nahezu jeder Profiverein mit gewalttätigen Hooligans herumschlagen musste, die ihren Ehrgeiz Spieltag für Spieltag darein setzten, die „Dritte Halbzeit“ gegen den Anhang des jeweils gegnerischen Vereins für sich zu gewinnen, finden die Prügeleien und Beleidigungen allerdings nicht mehr abseits der bekannten Arenen statt, sondern in Stadien von unterklassigen Clubs.
Grund für das vermehrte Auftauchen von Nazi-Schlägern bei Dorfvereinen wie Altglienicke, das nach antisemitischen Krawallen gegen die Spieler von Makkabi Berlin in die Schlagzeilen geriet, ist ausgerechnet das entschlossene Vorgehen von DFB und Profivereinen gegen Rassismus und Antisemitismus in den Stadien, wo mittlerweile zum Beispiel die Polizei die Fans auch auf das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole oder verbotener Mode-Labels hin kontrolliert.
Dieses Engagement wurde von Politik und Öffentlichkeit sehr gelobt, weniger Thema ist dagegen allerdings, dass das Problem nur verdrängt wird und Nazis nun vermehrt bei den Spielen unterklassiger Vereine auftauchen. Und dort ideale Bedingungen vorfinden, denn neben chronischem Geldmangel, der jeden Zuschauer begrüßenswert macht, herrscht in den meisten Clubs auch ein mindestens äußerst konservatives Grundklima.
Nicht nur in Deutschland, der schwedische Ex-Nationaltorhüter Magnus Hedmark erklärte vor einigen Monaten die Tatsache, dass sich selbst in dem als liberal geltenden skandinavischen Land noch kein Fußballer bisher als schwul geoutet hat, damit, dass die Intoleranz gegenüber allem, was nicht ins einfache Weltbild passe, in der Kabine sehr hoch sei. Und damit, dass “Fußballspieler und Funktionäre ganz hartnäckige Herdentiere sind, die einfach immer alles so machen, wie man es eben immer schon gemacht hat, von Generation zu Generation.”
Populistische Parolen finden in einem solchen, sich weitgehend selbst überlassenen Umfeld leicht Anklang.
Polizeiliche Präventivmaßnahmen, in den oberen Ligen selbstverständlich dazugehörend, finden im Amateurfußball kaum statt, wie Tuvia Schlesinger, Hauptkommissar bei der Berliner Polizei und Vorsitzender des jüdischen Fußballclubs Makkabi Berlin, weiß. “Der Aufwand, der allein schon an den Wochenenden bei Spielen der ersten drei Ligen und bei brisanten Partien sogar in der Oberliga betrieben wird, ist natürlich immens. Und verursacht dem Steuerzahlen Kosten, Woche für Woche, während die Vereine an den Spieltagen viel Geld verdienen. Wenn man akzeptiert, dass dies in den großen Stadien so sein muss, dann muss man sich aber überlegen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass sich das Problem in die unteren Ligen verlagert.”
Für die kleinen Vereine entstünden dadurch kaum aus eigener Kraft lösbare praktische Probleme, “wie soll so ein Club, mit vielleicht 500 Mitgliedern, geeignete Leute für den Ordnungsdienst finden und sie bezahlen? Und wie sollen solche Leute, die nicht geschult sind und weder gelernt haben, wie man sich psychologisch geschickt in brenzligeren Situationen verhält, noch über die rechtlichen Aspekte Bescheid wissen, mit entschlossenen, unter Umständen sogar gewaltbereiten Störern umgehen?” Außerdem, so Schlesinger weiter, “besteht ja durchaus die Gefahr, dass die einzigen, die freiwillig Ordner werden wollen, gerade Nazis sind”.
Kurz nach der friedlichen Fußball-WM in Deutschland hatten die Makkabi-Spieler bei einem Spiel gegen den Ligakonkurrenten Altglienicke hautnah erlebt, dass das Kickerfest keineswegs dazu geführt hatte, dass Rassismus und Gewalt für alle Zeiten aus den Stadien verschwunden waren. Ungefähr 20 Neonazis spulten das komplette Repertoire antijüdischer und rassistischer Sprechchöre und Lieder ab, riefen Beleidigungen und drohten mit Gewalt – während die andern Zuschauer und die Glienicker Vereinsführung damit beschäftigt war so zu tun, als hörten sie nur die ganz normalen Hintergrundgeräusche eines ganz normalen Fußballspiels. Wie auch der Schiedsrichter, eigentlich durch die DFB-Statuten verpflichtet, Hassgesänge zu unterbinden und das Spiel notfalls abzubrechen.
Von den Berlinern um Hilfe gebeten, gab der Referee vor, keine Ahnung zu haben, wovon sie denn eigentlich redeten. In der 78. Minute wussten sich die Makkabi-Spieler schließlich nicht mehr anders zu helfen als das Spielfeld zu verlassen.
Nachdem Makkabi die Vorfälle öffentlich gemacht hatte, zeigte sich rasch, dass sie kein Einzelfall waren, wie Schlesinger berichtet. „Die als türkisch geltendenVereine oder Clubs mit migrantischem Hintergrund erleben Ähnliches Woche für Woche, auf allen Plätzen. Für die, die in den höheren Ligen spielen und demnach auch in die neuen Bundesländer reisen müssen, ist es an der Tagesordnung, in übelster Art und Weise beschimpft zu werden.”
Wie ekelhaft sich der Hass auf alles, was anders ist, dort äußert, berichtete der Vereinsvorsitzende des Berliner Fußballvereins Türkiyem letztens in einem Interview von einem Spiel in Neuruppin, kurz nachdem zwei Spieler von Türkiyem bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren. Die Gedenkminute endete damit, dass “im Publikum Jubel einsetzte: “Tschüss Ali, zwei weniger, jawohl”
Nicht zuletzt durch solche Vorfälle aufgeschreckt, reagierte nun auch der DFB.
Appelle und sozialpädagogische Maßnahmen nutzen gegen entschlossene Rassisten kaum, deswegen setzt man vermehrt auf Strafen, die die Vereine an ihrer empfindlichsten Stelle treffen.
Mitte April wurde zum Beispiel der Hallesche FC zuvor dem Sportgericht des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) wegen antisemitischer Schlachtrufe seiner Fans im Spiel gegen den FC Jena verurteilt. Zum nächsten Heimspiel durften nur 1000 Zuschauer kommen, außerdem wurden drei Punkte abgezogen. Aber auch der FC Jena erhielt eine Strafe in Höhe von 500 Euro, denn er hatte die judenfeindlichen Rufe nicht an die Ordner des Heimteams weitergemeldet, was nach Paragraph 16, Absatz 8 der Spielordnung des NOFV mittlerweile vorgeschrieben ist.
Und so sind nun die Vereine in der Pflicht, gegen Gewalttäter vorzugehen. Gegen Naziparolen anzugehen erfordere allerdings auch ein bisschen persönlichen Mut, weiß Schlesinger. Ein wichtiger Zeuge für die Verhandlung vor dem Verbandsgericht sei so eigentlich ein Zeuge gewesen, der in einem anonymen Leserbrief an die örtliche Fußballzeitung nicht nur die Darstellung der Makkabi-Spieler bestätigt, sondern sogar noch um wichtige Details ergänzt hatte. “Er schilderte unter anderem, dass der Schiedsrichter von dieser Nazi-Gruppe mit den Worten “Heil, mein Führer!” begrüßt wurde”. Der Mann, dessen Identität Schlesinger bekannt ist, sei jedoch “nicht zu bewegen gewesen, eine Aussage zu machen. Und das heißt: Er hatte Angst, pure Angst.”
Aber selbst wenn die Angst überwunden und Nazis auch in den unterklassigen Stadien entschlossen bekämpft werden, bedeutet das nicht, dass Rassisten plötzlich komplett verschwinden. Man müsse in diesem Punkt realistisch bleiben, sagt Tuvia Schlesinger und zugeben, dass „ein härteres Durchgreifen in den unteren Ligen auch wiederum nur eine Verdrängung ist, denn da sind diese Leute dann ja immer noch, an ihrer Gesinnung wird sich dadurch natürlich nichts ändern.”
Aber es sei einfach wichtig, “ihnen keine Bühne zu bieten. Denn wenn man diese Entwicklung nicht aufhält, dann bleiben die ganz normalen Fußball-Zuschauer einfach weg, weil sie sich nicht jedes Wochenende irgendwelchen Gefahren aussetzen wollte. Dann würde der Sport den Nazis gehören, und sie hätten gewonnen.”
Dieser Text erschien zuerst im Magazin von Amnesty International