Jul
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Jetzt haben wir den Salat. Kakà wurde an Real Madrid verscherbelt, Maldini hört auf, Ancelotti wurde zu Chelsea komplimentiert und die einzigen Neuzugänge bis jetzt sind ein paar 17- und 18-jährige für die Jugendmannschaft. Der Verein wurde einem Nicht-Trainer, Leonardo, anvertraut, dessen Aufgabe vornehmlich darin besteht, den Mund zu halten, keine Transfers zu fordern und am Ende der nächsten desaströsen Saison alle Schuld auf sich zu nehmen. Unabhängig von den offiziellen Verlautbarungen der Vereinsoberen sprechen wir von einer veritablen Revolution: Ein ehemaliger Topclub, eine der stärksten Marken der Fußballwelt wird sich selbst überlassen.
“Versicherung, Treibstoff und Mechaniker für Berlusconis Privat-Helicopter (Privatausgaben) kosten jährlich so viel wie eine Dreifamilienhaus in Trapani oder eine Einzimmerwohnung in St. Moritz.”
Erste Resultate zeigen sich auch schon: Nach mehreren Wochen Vorverkauf steht die Anzahl der erneuerten Dauerkarten bei ca. 400. Wohlgemerkt: In der ersten Phase der Dauerkartenkampagne haben sich ca. 400 von 50.000 Abonnierten der letzten Saison für eine Erneuerung ihres Platzes entschieden. Eine Tatsache, die AD Adriano Galliani vor einigen Tagen zu der Phrase veranlasste, dass die Fans die neue Situation verstehen werden und die “entwickeltsten” (“più evoluti”) unter ihnen bereits verstanden hätten. Es zeugt schon von einigem Mut und sagt einiges über das Verhältnis zwischen Tifoseria und Vereinsführung aus, wenn der sichtbare Protest der Fans gegen Lügen, Verschleierungen und Versenkung des einst glorreichen AC Milan mit der evolutionären Rückständigkeit der Fans begründet wird.
Nun, ich zieh mir die Jacke nicht an und dann schauen wir mal auf die Fakten. Der Eigner des AC Milan Fininvest hat also entschieden, dass der Verein keine roten Zahlen mehr schreiben darf, die Bilanz muss also am Ende jedes Geschäftsjahres ausgeglichen sein. Der Verein trägt sich also selbst. Gut, verständlich, niemand kann gezwungen werden, jährlich mit dutzenden von Millionen Euros einen Fußballverein zu sponsoren, dessen Image und Webewirkung der offensichtlich in Italien unangreifbare und über keinen noch so widerlichen Skandal stolpernde Berlusconi nicht mehr braucht, um seine Macht zu festigen.
Der AC Milan ist für Silvio Berlusconi, dem weder Scheidung, noch Feste mit halbnackten 18-jährigen in seinen Villen, noch Beziehungsgerüchte zu Noemi, noch die Besetzung des Parlaments mit Models, noch Flüge von “Freundinnen” auf Staatskosten, noch Prostituierte etwas anhaben können, mittlerweile unnötig geworden. Und also schlägt das Herz nicht mehr für den Verein, als dessen glühendster Fan er sich seit Mitte der 80er Jahre gerierte, den er 20 Jahre lang mit finanziellem Einsatz an die Weltspitze geführt hat – und von dem er einen unbezahlbaren Image-Schub erhalten hat, der ihn an die unbestrittene Spitze des Landes katapultiert hat.
Jetzt, als sowieso unbestrittener Sonnenkönig, wird das wertlose Hobby aufgegeben.
“Nur, um euch eine Idee zu geben. Berlusconis jährliche Kosten für die Rasenpflege seiner Villen entsprechen dem, was eine durchschnittliche italienische Familie einmal im Leben für eine Immobilie ausgeben würde: 200.000 Euro.”
Jetzt haben wir aber Krise und wir Fans werden gebeten zu verstehen, dass die Millionen nicht mehr fließen können wie gewohnt. Aha, Krise. In den Jahren 2007 und 2008 bezog Silvio Berlusconi persönlich 330 Millionen Euro an Dividenden aus seinen Holdings – Früchte eines Gewinns, in dem die Verluste des AC Milan maximal als von der Steuer abschreibbare Gewinneinbußen auftauchten. Lächerliche Gewinneinbußen im übrigen, verglichen mit den Gesamteinnahmen des Imperiums. Das Flaggschiff des Berlusconi-Imperiums mit seinen Anteilen an Mondadori, Mediaset, Mediolanum, Milan, Medusa etc. wird auf 10 Milliarden Euro geschätzt. Überhaupt: Der AC Milan gehört der Fininvest, ein Konglomerat, das seinerseits von verschiedenen Holdings kontrolliert wird:
Holding Italiana Prima (1.)
Holding Italiana Seconda (2.)
Holding Italiana Terza (3.)
Holding Italiana Quarta (4.)
Holding Italiana Quinta (5.)
Holding Italiana Ottava (8.)
Holding Italiana Quattordicesima (14.)
Holding Italiana Ventitreesima (23.)
8 Finanzholdings kontrollieren also die Fininvest, ihrerseits Inhaber des AC Milan. Die Holdings “Prima”, “Seconda”, “Terza” und “Ottava” haben als einzigen Investor Silvio Berlusconi. Diese bedeuten einen Anteil von 63 % an der Fininvest, Berlusconi ist also bei weitem der Mehrheitsaktionär der Fininvest, der auch die meisten Dividenden kassiert. Die anderen 4 Holdings (“Quarta”, “Quinta”, “Quattordicesima”, “Ventitreesima”) kontrollieren die weiteren 37 % der Fininvest. Die “Quattordicesima” (14.) hat 3 gleichberechtigte Aktionäre, die 3 Kinder mit seiner in Scheidung befindlichen Frau Veronica, die verbleibenden 3 Holdings gehören Berlusconis Kindern aus erster Ehe, Marina und Piersilvio. Die letzte gehört Veronica Lario selbst.
(Quellen: Corriere della Sera 19.06.2009, Corriere della Sera 04.05.2009)
Wohlgemerkt, ich rede nur von der Fininvest, nicht etwa von dem weiteren Vermögen, das der Berlusconi-Clan in der Welt verteilt hat zwischen Villen, Immobilien, Aktienbesitz und Finanzbeteiligungen.
Nun, es ist offensichtlich, dass die Kinder Marina und Piersilvio, ihrerseits an der Spitze der Fininvest selbst, die Verluste des AC Milan als unnötige Ausgaben betrachten und diese vermindern wollen. Gedrängt wird auf entsprechende Maßnahmen seit bereits 2 Jahren, die Auswirkungen z.B. auf den Transfermarkt, sind auch seit 2007 evident. An dieser Stelle kommen die Gerüchte um einen Verkauf des AC Milan oder einer Minderheitsquote an “die Araber” ins Spiel, eine Übereinkunft mit der Finanz- und Immobilienholding von Mohammed bin Rashid Al Maktoum, in England “Big Mo” genannt. Entsprechende Kontakte zum Verkauf einer Quote am AC Milan wurden in einem Nebensatz von Ernesto Bronzetti, Transfermarktkonsul des AC Milan für Spanien, indirekt bestätigt, als dieser über den Verkauf Kakàs berichtete:
“Was Kakà angeht, war die Hoffnung, der Brasilianer könnte bei Milan bleiben, aus einer Situation am 27.05. geboren, sehr lebendig und in voller Entwicklung, die der rotschwarzen Gesellschaft frisches Kapital garantiert hätte.”
“Per quanto riguarda Kakà, la speranza che il brasiliano potesse restare nel Milan nasceva da una situazione in quel momento, parliamo del 27 maggio, molto viva e in piena evoluzione, che avrebbe potuto garantire nuovi capitali alla società rossonera.”
(Ernesto Bronzetti, 09.06.2009)
Es wurde oder wird also tatsächlich mit Rashid Al Makhtoum verhandelt, Emir von Dubai, Premierminister und Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate, dessen Sohn beim Palermo-Spiel mit Galliani im Stadion San Siro gesehen wurde, vor dem Spiel sogar beim Rasenrundgang im Blitzlichtgewitter. Verbindungen zwischen Al Makhtoum bestehen, darauf hatte ich ja des öfteren bereits hingewiesen: Eine weitere Gesellschaft der Emirate, die Abu Dhabi Investment Authority, hält bereits 2,04 % der Mediaset-Aktien und möchte diesen Anteil erhöhen. Im Detail sahen die Vertragsverhandlungen vor, dass die ADUG (Abu Dhabi United Group, Immobilien und Tourismus) 35-40 % der Anteile am AC Milan übernimmt, die derzeit zu 99,99 % in den Händen der Fininvest liegen. Ein von der BNP Paribas garantierter Deal, der ca. 400 Mio Euro in die Kassen des AC Milan gespült hätte. Gleich inbegriffen wäre eine Option gewesen, für weitere 600 Mio Euro den Rest des Vereins zu übernehmen.
Mithin: 1 Milliarde Euro sollte sich die ADUG den AC Milan kosten lassen und noch am 27. Mai verhandelte man. Neue Spieler, neues Stadion…
Nun, der Deal wäre für Berlusconi steuerlich hervorragend gewesen und der AC Milan hätte endlich sein neues Stadion bekommen (Stil Emirates Stadium in London). Gerüchte besagen, dass bereits Pläne vorliegen für ein Multifunktions-Stadium in Mailand, Zona Fiera, für ca. 80.000 Besucher. Vorgestellt soll das Projekt worden sein durch die “Hydra Properties”, einer der operativen Arme von “Big Mo”, der in der Person des Finanziers Sulaiman Al Fahim den Deal abgewickelt und die zukünftigen Investments organisiert hätte.
Die Spieler, heißen Sie nun Kakà, Pato, Pirlo oder Seedorf und ihre möglichen Transfers haben vor diesem Hintergrund nun wirklich keine ernsthafte Bedeutung mehr. Höchstens als Symbol: Der Verkauf Kakàs manifestiert einerseits endgültig das komplette Desinteresse Silvio Berlusconis an seinem einstigen Lieblingsspielzeug, andererseits bedeutet er eben auch einen Ausverkauf des Tafelsilbers. Meiner Meinung nach bedeutet der Transfer von Kakà nicht, dass Berlusconi in Zeiten der Krise am Verein festhält und ihn nicht an die ADUG verkauft – viel eher sehen wir hier eine Aushöhlung des Kapitals, des Transfers der Erlöse zur Fininvest (als nun auch geldwerte Kompensation für vergangene Investments) und die Vorbereitung für einen kompletten Rückzugs Berlusconis aus dem AC Mailand. Viele der derzeitigen Äußerungen lassen sich nämlich fast nur noch so interpretieren, dass Berlusconi die Fans willentlich verärgern und gegen seine Person aufbringen will: eine Situation in der ein Verkauf dann wohlwollend akzeptiert wird. Und was wäre Schlitzohr Berlusconi da lieber, als bei der Gelegenheit auch noch das Tafelsilber zu Geld zu machen.
Krise? Sicher, für uns Fans. Es geht hier nicht um irgendwelche Verluste, diese sind für die Familie Berlusconi vermutlich geringer als die Kosten für die diversen Feste mit eingekauften jungen Mädchen in der Villa Certosa. Es geht darum, dass Silvio Berlusconi den Verein nicht mehr als Image-Schleuder braucht und sich sein doch angeblich so glühend für den Verein schlagendes rotschwarzes Herz sich erstaunlich kalt anfühlt.
Ich weise hier nur darauf hin, dass das vielbeschworene Finanzloch beim AC Milan, der im letzten Geschäftsjahr 65 Millionen Euro Verlust machte, die durch die Fininvest “ausgeglichen” werden mussten, sich natürlich steuerlich bemerkbar machten: Aus einer 65 Millionen Rechnung werden bei einer Gewinn erwitschaftenden Holding nach Abzug von Steuern eben nur noch 35 Millionen Verlust. Und dann gehören Berlusconi eben “nur” 63 % an der Fininvest, d.h. von den 35 Millionen betreffen ihn ja nur ca. 22 Millionen. Klar und selbstverständlich, dass man Kakà – bei allein 330 Mio Dividendeneinnahmen aus einem Investment in 2 Jahren – dringend verkaufen musste. Der arme Mann hatte ja gar keine andere Chance!
Alles deutet darauf hin, dass sich Silvio Berlusconi auf einen Rückzug aus dem AC Milan vorbereitet und bei der Gelegenheit noch schnell seine vergangenen Investments zu Geld macht. Denn seinen Starspieler zu verkaufen, das traute sich nicht einmal Skandalpräsident Giusy Farina, der den Verein in die Serie B steuerte und sich höchstens damit einen Namen machte, dass er selbst die Möbel aus Milanello auf den Gebrauchtwarenmarkt warf.
Dann schauen wir einmal. Aber viel Grund für Optimismus sehe ich nicht – die Zukunft ist deutlich mehr schwarz als rot.
“alegher, alegher che al bùs dal cùl’è sampàr neghér”
Kommentare
3 Kommentare zu “Quo vadis, AC Milan?”
great team, sad story.
Vielen Dank für die Hintergrundinformationen. Was für ein Drama !!! Berlusconi raus !!
[…] Quo vadis, AC Milan? : SportsWire // […]