Official Replay

von Boris Mayer

Bei der Diskussion um den Videobeweis im Fußball geht es den einen um “andere Sportarten” und “Fairness”, auf der anderen Seite will man “die Seele des Fußballs” erhalten. Doch niemanden scheint so wirklich zu interessieren, wie so ein Beweis überhaupt in der Praxis aussehen könnte. Und wie er in anderen Sportarten gehandhabt wird

Was im Deutschen gleich zu Beweiskraft hochgejubelt wird, wird im Englischen unter den Bezeichnungen Official Replay oder ganz einfach auch als Instant Replay geführt. Es liegt noch keine Wertung darin, zum Monitor zu gehen und eine Überprüfung einzuleiten, denn in den Sportarten, in denen Schiedsrichter Zeitlupen ansehen, um eine Entscheidung vielleicht abzuändern, versuchen sie lediglich, mit Hilfe der Aufnahmen einen eindeutigen Beweis dafür zu finden, dass ihre ursprüngliche Entscheidung falsch war. Es gibt also erst dann einen Beweis, wenn die Entscheidung umgeworfen wird – hingegen braucht es keinen, um sie beizubehalten.

Wissen muss man auch, dass die FIFA Zeitlupen schon vor 40 Jahren als den Feind, den es zu bekämpfen gilt, sah – und das nicht nur während des Spiels. 1970 beschloss das International Football Association Board die Fernsehverantwortlichen zu bitten, keine Zeitlupen von Szenen zu zeigen, die die Entscheidungen des Schiedsrichters in Frage stellen könnten. Die Begründung dafür war damals die gleiche, mit der sich die FIFA heutzutage gegen die Videoanalyse durch Schiedsrichter während dem Spiel sträubt – das menschliche Element mit seinen Fehlern sei die Seele des Fußballs und müsse deshalb erhalten bleiben.

In vielen anderen Sportarten gibt es aber schhon lange Videoscreening während des Spiels, wieso bleibt dann die Haltung der FIFA unverändert? Haben die anderen Sportarten vielleicht einfach keine Seele? Oder nur eine andere Einstellung zu technischem Fortschritt oder gar zum Thema Seele?
Um das zu entscheiden, muss man sich näher damit beschäftigen, wie, wann, ob und warum der Video-Entscheid in diesen anderen Sportarten eingeführt wurde und wie er weiter verwendet wird.

Basketball in der NBA
In der Saison 2002/03 wurde mitten in den Playoffs – nach einer falschen Entscheidung, den letzten Wurf kurz vor Ende der Spielzeit als Treffer anzuerkennen – das Official Replay eingeführt. Allerdings lediglich für eine einzige Situation: Die Schiedsrichter müssen seitdem feststellen, ob ein Ball schon die Hand des Spielers verlassen hat, wenn die Uhr auf 0,0 Sekunden tickt – also nur am Ende eines Spielabschnitts.
Erst in der Saison 2007/08 wurden die Vorschriften um weitere mögliche Einsatz-Situationen erweitert, es durften auch Schlägereien und krasse Fouls, die die direkte Hinausstellung eines Spielers zur Folge hatten, überprüft werden.
Eine Saison später kam noch die Überprüfung dazu, ob es sich um einen Zwei- oder Drei-Punkte-Wurf handelte. Eine wirklich lange Tradition ist das nicht.
Dazu kommt: Es dürfen nur solche Situationen überpüft werden, in denen das Spiel sowieso angehalten ist.

Eishockey in der NHL
Im Eishockey beschränkt sich die Anwendung auf Situationen, in denen sich der Puck im Tor befindet. Überprüft werden kann, ob das Tor vorher verschoben wurde, ob das Drittel vorher abgelaufen war, ob der Puck wirklich ganz über der Torlinie war, ob Hand oder Fuß eingesetzt wurden, um den Puck in das Tor zu bewegen, ob ein hoher Stock im Spiel war oder ob der Puck vom Schiedsrichter selbst abgefälscht wurde.
Es geht also nur darum, eigentlich gegebene Tore wieder abzuerkennen und diese Überprüfungen können auch nur von einem der Schiedsrichter initiiert werden.

American Football in der NFL
American Football ist eigentlich schon wieder ein Spezialfall. Spielunterbrechungen gibt es ständig, ein Spielzug dauert oft nur 10 Sekunden. Deshalb bietet sich in dieser Sportart auch an, sehr viel mit Videobeweisen zu arbeiten. Das Spiel ist so schnell, dass es hier auch nicht nur drei Schiedsrichter gibt, es sind gleich sieben auf dem Feld verteilt, dazu kommt als achter Referee noch der Video Official. Aber selbst im American Football ist nicht alles überprüfbar, es gibt eine festgelegte Liste von Schiedsrichterentscheidungen, die anfechtbar sind. Mehr noch, man hat hier die Review des Viedeomaterials als Spannungselement aufgegriffen. Der Coach jedes Teams kann pro Spiel zwei Mal einen Spielzug überprüfen lassen, allerdings verliert das Team, wenn die Schiedsrichter ihre Entscheidung nicht ändern, ein Timeout. In den letzten zwei Minuten einer Halbzeit jedoch kann das Ansehen der Zeitlupen nur vom Replay Official eingeleitet werden.
Diese Regelungen existieren seit 1999 und wurden seitdem nur verändert, um dem Videobeweis etwas mehr Dramatik zu verleihen und die Sache damit für den Zuschauer interessanter zu machen. Machte sich der Coach am Anfang beispielsweise noch mit einem Summer beim Schiedsrichter bemerkbar, wirft er nun für alle sichtbar ein rotes Stück Stoff auf das Spielfeld
Allerdings hatte man von 1982 bis 1992 schon einmal ein Official Replay System, das aber dann für sieben Jahre ersatzlos wieder abgeschafft worden war.

Nicht verschweigen darf man auch, dass es auch im Feldhockey, Tennis, Rugby, Cricket, Baseball, Rodeo und Motorsport das Überprüfen von Videos durch Schiedsrichter gibt.

In allen diesen Sportarten gibt es eine Gemeinsamkeit darin, wann der Videobeweis eingesetzt werden kann: Das Spiel oder der Wetkampf ist sowieso unterbrochen. Nur im Falle des Motorsports läuft das Rennen weiter, dort wird praktisch nur nachgesehen, ob es nachträgliche Zeitstrafen oder einen Ausschluss gibt.

Im Fußball jedoch existiert ein Spielfluss, der nicht einfach unterbrochen werden kann. Das nicht gegebene Tor von Lampard könnte gemäß den Regelungen in den oben angeführten Sportarten nicht überprüft werden, das Spiel lief ja weiter und man kann nie mehr als eine Situation zurück gehen.
Was würde man denn machen, wenn so ein Tor nicht gegeben wird, aber im Gegenzug fällt ein Kontertor. Muss man dann das Kontertor anulieren? Oder bleibt es auch bestehen? Muss man die 20 Minuten dann nochmal oben drauf satteln, die es bis zu einer Unterbrechung dauerte und in denen das Spiel hin und her ging? Oder eliminiert man schon den Konter, indem man mal kurz abpfeift, zum Videogucken bittet und dann, falls der Ball doch nicht drin war, halt mit Schiedsrichterball auf der Torlinie weiter macht?

Natürlich ist nichts davon möglich, dem Lampard-Tor wäre man durch den so genannten Videobeweis kein Stück näher gekommen, es fehlt die Unterbrechung.
Anders sieht es natürlich bei dem Abseitstor von Tevez aus. Die Unterbrechung war da, man hätte gemütlich fernsehen gehen können, erkannt, dass es Abseits war und dann auf Freistoß entscheiden und weiter spielen können.
Dennoch sind auch in einem solchen Fall negative Auswirkungen zu befürchten: Der Schiedsrichter, der sich ja sehr bewusst ist, dass eine Torentscheidung überprüfbar ist, eine Entscheidung kein Tor zu geben allerdings nicht, könnte dann im Zweifelsfall erst mal das Tor geben – der Videobeweis wird es ja schon richten. Oder das Abseits erst einmal nicht pfeifen, wenn sie treffen, schaut man sich das Video an.
Übertrieben? Nein. In der NFL haben Profischiris solche Gedankengänge schon zugegeben.

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