Neu beziffert

von Alex Feuerherdt

Für viele Spieler ist ihre Rückennummer identitätsstiftend. Eine Anweisung der Fifa könnte deshalb womöglich zu schweren ­persönlichen Krisen führen. Eine kleine Zahlenkunde.

Da staunten Stadionbesucher wie Fernsehzuschauer nicht schlecht: Beim kürzlich ausgetragenen Länderspiel zwischen Deutschland und Belgien waren die Trikots der DFB-Fußballer, die ins Nürnberger Stadion einliefen, doch tatsächlich wie anno dunnemals von 1 bis 11 durchnummeriert! Lukas Podolski trug die »10« statt der gewohnten »20«, Philipp Lahm die »3« – bei der Europameisterschaft war es noch die »16« –, Thomas Hitzlsperger die »8« und nicht die »15«. Außerdem fehlte der Namenszug der Spieler auf den Hemden. Was war passiert, dass nicht wenige auf ihre Lieblingszahl verzichten mussten?

Hintergrund ist eine Anweisung der Fifa, die beim Deutschen Fußballbund (DFB) offenbar missverstanden wurde. Das Exekutivkomitee des Weltfußballverbands hatte bereits vor mehr als einem Jahr das Reglement für die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika verabschiedet. Darin heißt es unter anderem, in den WM-Qualifikationsspielen dürften nur die Rückennummern 1 bis 18 getragen werden. Eine Durchnummerierung der Startelf von 1 bis 11 ist jedoch nicht vorgesehen, und auch die Namenszüge sind nicht ausdrücklich verboten. Außerdem gilt die Regelung nicht für Freundschaftsspiele wie das der Deutschen gegen die Belgier.

Trotzdem wird der Fifa-Erlass auch künftig Konsequenzen für die DFB-Auswahl haben. »Bis zur WM 2010 wird nicht mehr der Name des jeweiligen Spielers auf dem Trikot stehen«, kündigte der Verband auf seiner Internetseite an. Zur Begründung hieß es: »Da erfahrungsgemäß das Aufgebot der DFB-Auswahl für ein WM-Qualifikationsspiel mehr als 20 Spieler um­fasst und der 18er-Kader erst 75 Minuten vor dem Anpfiff vom Bundestrainer dem Schiedsrichter gemeldet werden muss, ist eine kurzfristige Beflockung der Trikots mit den Namen der Spieler nicht mehr möglich.« Außerdem will man nun »in allen Länderspielen für die Anfangsformation die Nummern eins bis elf vergeben«.

Damit kehrt der DFB zu einer Zeit zurück, in der diese Durchnummerierung obligatorisch war und die Ziffern in aller Regel Hinweise auf die Position des jeweiligen Spielers gaben. Der Torwart trug stets die »1«, der Rechtsaußen die »7«, der Linksaußen die »11« und der Mittelstürmer die »9«. Die »5« war früher dem Mittelläufer und danach dem Libero vorbehalten, die »10« wies zunächst den halblinken Stürmer und später den zentralen Mittelfeldspieler aus, den Regisseur der Mannschaft also, der die Fäden zog. Vor allem mit dieser Nummer ist ein besonderer Glanz verbunden, denn sie wurde von Stars wie Pelé, Diego Maradona, Michel Platini und Bobby Charlton getragen.

Seit wann es die Rückennummern im Fußball überhaupt gibt, ist umstritten. Einigen Quellen zufolge kamen sie erstmals am 25. August 1928 in den Spielen des FC Arsenal gegen Sheffield Wednesday und des FC Chelsea gegen Swansea City zum Einsatz. Nach anderen Quellen wurden sie zuerst im englischen Pokalfinale 1933 zwischen dem FC Everton und Manchester City getragen, wobei die Spieler von Everton mit den Nummern 1 bis 11 und die Spieler aus Manches­ter mit den Nummern 12 bis 22 aufliefen. Gelegentlich heißt es, in Australien sei man sogar noch früher dran gewesen, nämlich 1911 beim »Australian-Football«-Spiel zwischen den Soccer-Teams Leichhardt und HMS Powerful in Sidney. International ist das Tragen von Rückennummern seit 1939 verpflichtend; in Deutschland wurden die Zahlen auf den Trikots mit Beginn der Spielzeit 1948/49 eingeführt.

Bis vor 13 Jahren trugen die Bundesligaspieler, die zur Anfangsaufstellung einer Mannschaft gehörten, stets die Nummern 1 bis 11. Das änderte sich jedoch mit Beginn der Spielzeit 1995/96. Nun erhielten alle Erstligaprofis für den gesamten Verlauf einer Saison feste Rückennummern, wie sie bis dahin nur bei Welt- und Kontinentalmeisterschaften üblich waren; außerdem wurde der Nachname der Fußballer auf die Trikots geflockt, je nach Club mal über und mal unter der Rückennummer. So wurde es auch international praktiziert, zumindest in den großen Ligen.

Seitdem treiben die Zahlenspielchen bisweilen die tollsten Blüten. Als beispielsweise Bixente Lizarazu in der Winterpause 2005 zum FC Bayern München zurückkehrte, den er ein halbes Jahr zuvor verlassen hatte, war seine »3« bereits an Lúcio vergeben. Also wählte der französische Welt- und Europameister kurzerhand die »69« – aus nachvollziehbaren Gründen: Er ist 1969 geboren und maß 1,69 Meter bei einem Körper­gewicht von 69 Kilogramm. Andreas Görlitz wiederum, Verteidiger beim Karlsruher SC, läuft mit der »77« auf – eine Anspielung auf die Band »Room 77«, deren Gitarrist er ist. Gar die »99« wählte Cristiano Lucarelli während seiner Zeit bei Livorno Calcio – ein Hinweis auf das Gründungsjahr des linken Fanclubs »Brigate Autonome Livornesi«. Der Marokkaner Hicham Zerouali hingegen, der zwischen 1999 und 2002 für Aberdeen spielte, ließ sich mit einer Sondererlaubnis des schottischen Ligaverbands die Null aufs Trikot drucken. Zeroualis Spitzname lautete nämlich »Zero«.

Doch bereits vor der Einführung der personalisierten Jerseys waren die Rückennummern für manche Kuriosität gut. Der niederländische Verband etwa vergab sie vor der WM 1974 in der alphabetischen Reihenfolge der Spieler, um Zwistigkeiten im Kader gar nicht erst aufkommen zu lassen. Auf diese Weise bekam etwa Keeper Jan Jongbloed die für einen Torwart ungewohnte »8«. Eine Ausnahme wurde nur für den unumstrittenen Star des Teams gemacht: Johan Cruyff durfte weiterhin mit der »14« auflaufen. Vier Jahre später folgte Argentinien dem niederländischen Beispiel, weshalb Feldspieler Osvaldo Ardiles die »1« trug und Torhüter Ubaldo Fillol die »5« erhielt. 1982 richtete sich die argentinische Mannschaft wieder nach dieser Regelung und machte nur für Diego Maradona eine Ausnahme: Er behielt seine geliebte »10«.

Die Neuregelung der Fifa für die WM-Qualifikationsspiele bis 2010 ist bislang übrigens durchweg auf Kritik gestoßen. Denn viele Spieler müssen von ihrer identitätsstiftenden Zahl Abschied nehmen, die Fans sind sauer, und auch bei den Sportartikelherstellern regt sich vernehmlicher Unmut. Kein Wunder: Der DFB-Ausrüster Adidas etwa hatte eine Million deutsche EM-Trikots verkauft; rund 80 Prozent davon waren mit einem Namen und einer Nummer versehen. Nun werden die Einnahmen aus dem Marketing wohl deutlich sinken. Sowohl der Sportartikelkonzern als auch der DFB wollen deshalb das Gespräch mit anderen Fußballverbänden sowie der Fifa suchen und darauf drängen, dass die Anweisung rückgängig gemacht wird.

Warum der Weltfußballverband diese Neuerung überhaupt beschlossen hat, ist bislang nicht bekannt geworden. Spötter munkeln allerdings bereits, Fifa-Präsident Sepp Blatter wolle womöglich jeglicher Kommerzialisierung, die nicht unmittelbar seinem Laden zugute kommt, einen Riegel vorschieben.

Der Beitrag erschien zuerst in der Jungle World vom 4. September 2008.

Kommentare

11 Kommentare zu “Neu beziffert”

  1. RedJan am 09.08.08 01:28

    ich bin ja nach wie vor der ansicht, daß derjenige spieler einer mannschaft, der am beschissensten gepielt hat, im nächsten die 00 tragen muß.

  2. Alex Feuerherdt am 09.08.08 01:31

    Man könnte auch Minuszeichen einführen…

  3. Elke Wittich am 09.08.08 01:36

    Man könnte ihn zur Strafe im folgenden Match auch gar nicht aufstellen 😛

  4. RedJan am 09.08.08 22:41

    als trainer der victoria muß ich da meinen kollegen john toshak zitieren: “Am Montag nehme ich mir vor, zur nächsten Partie zehn Spieler auszuwechseln. Am Dienstag sind es sieben oder acht, am Donnerstag noch vier Spieler. Wenn es dann Samstag wird, stelle ich fest, dass ich doch wieder dieselben elf Scheißkerle einsetzen muss wie in der Vorwoche.”

  5. Elke Wittich am 09.08.08 22:52

    Dann vielleicht, weil so ein Minuszeichen nicht so gut sichtbar ist, rote oder schwarze Zahlen?

  6. RedJan am 09.08.08 23:58

    nicht plakativ genug. wie wärs mit auf dem kopf stehenden zahlen? 6, 8 und 9 natürlich ausgeschlossen.

  7. Elke Wittich am 09.09.08 00:27

    Das ist eine hübsche Idee 🙂
    Vereine in akuter finanzieller Schieflage könnten ehrgeizigen Kickern in aktueller Formkrise natürlich anbieten, sich eine richtigrume Zahl zu kaufen, gegen eine großzügige Spende…
    Plus: Man kann den Fans die doppelte Anzahl Trikots verkaufen.

  8. RedJan am 09.09.08 21:19

    richtigrum-e/-er/-es, -e, -en (adj.)
    mein lieblingswort

  9. Elke Wittich am 09.09.08 23:38

    Fehlt nur noch ein schönes Wort für die Strafnummern auf den Trikots…

  10. RedJan am 09.10.08 00:29

    falschrum?

  11. Google-TCW am 09.09.09 17:43

    Hi from google Google-TCW

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