Bei fast jedem sportlichen Großereignis gibt es immer einen, der sich auszieht und anschließend mit nichts als ein paar Werbebotschaften bemalt auf das Spielfeld rennt.
Und, nachdem er von der Polizei abgeführt wurde, beim Publikum einige Fragen hinterläßt: Warum tun die das? Und: Seit wann tun die das? Plus:Wieso reagieren deutsche TV-Sport-Reporter auf nackige Menschen mit einer Abscheu, die sie sonst nur für Hooligans aufbringen?

Wer genau der historisch erste Flitzer war, ist nicht sicher zu bestimmen.
Manche Experten tippen auf die sagenumwobene Lady Godiva, die Ehefrau des Earl of Mercia. Um ihn zu einer Steuersenkung zu zwingen, war sie Anfang des 11. Jahrhunderts eine ungewöhnliche Wette mit ihm eingegangen.
Nur wenn sie nackt über den Marktplatz von Coventry reiten würde, hatte der Earl erklärt, werde er die Abgaben reduzieren. Godiva galoppierte daraufhin los, und ihr Mann musste Wort halten.

Auch in der jüngeren Geschichte war der erste Flitzer, zumindest in der jüngeren britischen Geschichte, weiblich. Die Tageszeitung Daily Mail veröffentlichte am 18. März 1974 das Bild einer nackten jungen Blondine, die auf der Kingston Bridge von einem Polizisten verhaftet wurde. Sally Cooper gab sich jedoch anscheinend mit diesem einen öffentlichen Auftritt zufrieden, denn anschließend trat sie nie mehr in Erscheinung.

In den USA entwickelte sich das Streaking in dieser Zeit zu einem populären Studentensport. Doch bald gab man sich nicht mehr damit zufrieden, nackt über den Campus zu laufen oder kurz den Nachmittagsverkehr zu stören: Größtmögliche Aufmerksamkeit war nur bei Massen-Events zu erreichen.
Rannten nackte Menschen in den Siebzigern fast nur bei Fußballspielen, Baseball- oder American-Football-Matches über die Spielfelder, so gibt es mittlerweile im englischsprachigen Raum so gut wie keine flitzerlose Sportart mehr. Im Jahr 2000 konnte der erste Streaker bei einem Dartspiel gemeldet werden.
Nur bei Reitturnieren, Boxkämpfen und Tontaubenschießen traute sich bislang anscheinend noch niemand, sich auszuziehen.

Vor den Olympischen Spielen in Sydney 2000 war die internationale Flitzerszene in heller Aufregung. Gerüchten zufolge wollten gleich zwei ihrer Stars den Versuch wagen, sich der sportinteressierten Weltöffentlichkeit nackt zu präsentieren. Das beim bestbewachten Event zu schaffen, käme »der erfolgreichen Suche nach dem Heiligen Gral gleich«, schrieb das Flitzer-Portal Streakerama, denn der Aktivist müsse »nicht nur dafür sorgen, dass er nicht für einen Terroristen gehalten wird, sondern riskiert auch, von den anwesenden US-Bodyguards in tausend Stücke geschossen zu werden, die alle ihre eigenen Waffen mitbringen werden, denn australische Knarren sind ja bekanntermaßen nicht tödlich genug«.

Sowohl der »Serial Streaker« Mark Roberts als auch der ähnlich berühmte Flitzer Jacqui Salmond kündigten entsprechende Versuche an. Roberts wollte den Höhepunkt seiner Karriere mit Sponsorgeldern finanzieren und suchte daher noch Geldgeber, Salmond war angeblich von einem unbekannten Gönner eine größere Geldsumme für den Erfolgsfall versprochen worden.

Doch sie sollten es beide nicht schaffen, was sie vielleicht aber auch gar nicht so schlimm fanden.
Denn der Titel »erster olympischer Flitzer« war schon viele Jahre zuvor vergeben worden, an einen jungen Kanadier, der sich bei der Abschlusszeremonie in Montreal 1976 präsentiert hatte. Der 23 Jahre alte Michael Leduc rannte damals nackt über den Rasen, auf dem gerade 500 junge Frauen einen Tanz präsentierten – »und so taten, als würden sie ihn nicht sehen«, wie eine Zeitung schrieb.
Nach seinen Motiven gefragt, gab Leduc damals an, er habe halt der Welt seinen wunderschönen Körper in voller Pracht zeigen wollen. Ein Körper freilich, der nach dem großen Auftritt ziemlich runiert war: Die Montrealer Polizei reagierte nämlich absolut humorlos und misshandelte den Studenten nach seiner Festnahme brutal, wie entsetzte Augenzeugen berichteten.

Mark Roberts hat da weit positivere Erfahrungen gemacht. Britische Polizisten begnügen sich mittlerweile damit, Flitzer abzuführen und dabei die Geschlechtsmerkmale der Verhafteten zu bedecken – dabei meistens gut darauf achtend, dass sie nicht laut loslachen.

Mehr als 200 Streaks hat Roberts nun hinter sich, die meisten für wohltätige Zwecke. Zu seinem Hobby war er dabei eigentlich aus Zufall gekommen.
Anfang der Neunziger war er nin die damalige Kronkolonie Hongkong gezogen, »um sich selbst zu finden«. Bei einem dortigen Rugby-Spiel zog er sich dann plötzlich aus, rannte aufs Spielfeld und wurde von den Zuschauern frenetisch gefeiert.
Ein britischer Polizist verhaftete ihn zwar – während er gleichzeitig beteuerte, wie leid ihm diese Amtsmaßnahme tue –, aber Roberts war das egal. Denn ein chinesischer Journalist hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er ins Guinessbuch der Rekorde kommen könne, wenn er zweimal beim selben Spiel flitzen würde. »Was soll ich sagen, eine Stunde später war ich wieder auf dem Spielfeld!«

Roberts wurde zur Berühmtheit. »Warum ich es tue? Es macht mir einfach Spaß, wenn die Zuschauer klatschen, mich anfeuern und sich freuen. Menschen zum Lachen zu bringen, gibt mir einen riesigen Kick – ich will ja schließlich niemanden verletzten.«

Wie im Jahr 2003 eindrucksvoll bewiesen wurde: Vor den Augen hochrangiger Mitglieder des Königshauses war er anlässlich des 100-Meter-Finales der Männer bei den Commonwealth-Spielen in Manchester unbekleidet über die Aschenbahn gerannt.

Die Gerichtsverhandlung gegegn Roberts begann mit einem Eklat: Der Anklagevertreter Jamie Hamilton legte als Beweis ein Amateurvideo vor. Das allerdings keinen einzigen entsetzten, verstörten oder angewiderten Zuschauer zeigte. Im Gegenteil. Die Menge hatte Roberts frenetisch angefeuert, so dass der Flitzer eigentlich hätte freigesprochen werden müssen.

Trotzdem verurteilte Richter Martin Rudland den Serial Streaker zu einer Geldstrafe in Höhe von 400 Pfund. Möglicherweise auch deswegen, weil Roberts eben kein reuiger Angeklagter war, sondern erklärte, auf keinen Fall von seinem Hobby lassen zu wollen.

Ins Guinessbuch hat Roberts es bislang allerdings nicht geschafft. Obwohl er eigentlich dort als Nummer eins der Flitzerszene verewigt werden sollte, entschied sich die Redaktion in letzter Sekunde anders. Man wolle nicht, dass andere Menschen sich ein Beispiel nehmen würden, lautete die Begründung.

Kommentare

Comments are closed.

blogoscoop