Am Montagabend fand in Frankfurt am Main die Gruppenauslosung für die Fußball-WM 2011 in Deutschland statt. Frauenfußball selbstredend. Der meistzitierte Merksatz zu diesem Thema geht so: „Die Zukunft des Fußballs ist weiblich. Der Ausspruch Sepp Blatters ist zwar schon einige Jahre alt, aber dennoch werden in den nächsten Monaten vermutlich noch zahlreiche Veranstaltungen, Ausstellungen, Zeitschriftenbeilagen und sonstiger Schnickschnack so betitelt werden. Ganz genau weiß ich ja nie, wie das eigentlich gemeint ist: Vision, Versprechen oder doch eher Trost („Aber noch ist ja alles gut.“)? Der Stichwortgeber selbst sagte seine Anwesenheit bei der Auslosung im Übrigen kurzfristig ab, ebenso wie Franz Beckenbauer. Den einen hielt der Schnee in Salzburg, der andere musste wohl eher Brandherde in der Fifa-Zentrale löschen.

Das waren nicht die einzigen witterungsbedingten Absagen: Eigentlich sollte neben der französischen Frauenfußball-Botschafterin Adriana Karembeu ein bekannter deutscher Ex-Torhüter die Auslosung vornehmen, oder, wie es der Nachrichtensender n-tv charmant formulierte: „Kahn und ein Model losen aus“. Daraus wurde nichts. Oliver Kahn hatte den Tag am verschneiten Münchener Flughafen verbracht, bis es endgültig zu spät war, noch mit der Bahn – übrigens Nationaler Förderer der WM – nach Frankfurt zu reisen. Irgendwie schade, hatte die Chefin des Organisationskomitees, Steffi Jones, vorher doch noch leicht maliziös angekündigt: „Oli hat sich ja noch nie zum Frauenfußball geäußert, jetzt hat er die Chance dazu.“ Vertreten wurde Kahn durch Günter Netzer, der sich „gerade erst als Fan des Frauenfußballs geoutet hat“, wie es in der Anmoderation hieß. Ein langjähriger männlicher Fan, der auch noch berühmt ist, ließ sich wohl auf die Schnelle nicht auftreiben. Aber eine Auslosung ist ja ohnehin eine seriöse Sache und wurde von Tatjana Haenni, Leiterin der Fifa-Abteilung Frauenwettbewerbe, auch so gemanaget. Da wäre Oli Kahn mit Gefasel über Kugeln, Bälle oder Eier womöglich auch unangenehm aufgefallen. Sportlich zeigt das Ergebnis der Ziehung, dass es für den Gastgeber schlimmer hätte kommen können, und wirft ansonsten die Frage auf, ob die Paarung USA gegen Nordkorea für ähnlich viel Aufregung sorgen wird, wie es im Männerfußball der Fall wäre.

„Eigenständige Marke“
Im vergleichsweise bescheidenen Rahmenprogramm gab es erwartungsgemäß Werbung für das Sportland Deutschland und den Frauenfußball. Zu Ersterem wünsche ich mir ganz dringend ein Verbot, das Wort Sommermärchen in den kommenden 20 Jahren in jedwedem Zusammenhang öffentlich zu verwenden, aber das wird wohl nichts. Und was den Frauenfußball angeht, wurde für die WM das Credo ausgegeben: „Der internationale Frauenfußball hat sich längst zu einer eigenständigen Marke entwickelt.“ „Eigenständig“ ist das entscheidende Wort – Fußball klar, aber doch irgendwie anders. „20Elf von seiner schönsten Seite“ lautet der Slogan für die WM, der aber wohl noch ein wenig erklärungsbedürftig ist. In die ungelenke Sprache der Sportvermarktung gegossen klingt das so: „Der Slogan spiegelt die besondere Qualität und Emotionen des Frauenfußballs als eine sehr anspruchsvolle, eigenständige, tolle und daher sehenswerte Sportart wider.“ Aha.

Frauenfußball soll jedoch nicht nur weg vom Vergleich mit dem Männerfußball (außer wenn‘s ums S***märchen geht natürlich), sondern auch vom Image als Lesbensport. Der Slogan passt auch deswegen zur Erfolgsgeschichte des Frauenfußballs und der WM 2011, „weil er auf die Leichtigkeit und Leidenschaft verweist, mit dem (!) hübsche Frauen und Mädchen in aller Welt in immer größer werdender Zahl dem runden Leder hinterher jagen.“ Ja, die nicht so hübschen Frauen müssen dann gucken, ob sie nicht doch lieber was anderes machen wollen. Ballett zum Beispiel.

Sportart Frau-Sein
Eigentlich nur konsequent ist da letztlich auch der Name für die ganze Veranstaltung. Der DFB ließ die deutschen Spielerinnen bereits nach dem ersten WM-Titel 2003 in einem Teambus mit der Aufschrift „Frauen-Weltmeister“ herumfahren und auch das Turnier 2011 firmiert offiziell als „Frauen-WM“. Als wäre Frau-Sein eine sportliche Disziplin wie Handball, Fußball oder Stabhochsprung! Diese Benennung des Turniers könnte sich noch als echter Bumerang für die Fifa entpuppen: Zwei Spielerinnen des WM-Neulings Äquatorial-Guinea, so beklagte der nigerianische Verband, seien nämlich gar keine Frauen. Nach der Leichtathletik-WM in Berlin im vergangenen Jahr brachte bereits die südafrikanische Läuferin Caster Semenya die Sportwelt und ihre Vorstellungen von zwei säuberlich voneinander getrennten biologischen Geschlechtern in große Schwierigkeiten. Der Leichtathletik-Weltverband kündigte nun eine Regelung für „Störungen der sexuellen Entwicklung“ an. Wie diese genau aussehen wird, ist noch unklar, aber ob die Fifa das Thema „Mann, Frau, Störung“ klüger behandelt, wenn es dann in Zürich auf dem Tisch liegt, darf man bezweifeln.

Aber jetzt noch mal zu ein paar WM-Fakten: Gespielt wird im kommenden Sommer vom 26. Juni, wenn Deutschland in Berlin das Eröffnungsspiel gegen Kanada austrägt, bis zum Finale in Frankfurt am 17. Juli. Die weiteren sieben Spielorte sind Augsburg, Dresden, Bochum, Wolfsburg, Leverkusen, Sinsheim und Mönchengladbach. Gekickt wird in den Stadien der Männervereine von Liga 1 bis 3. Nur bei Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg sind auch Frauenfußballteams der Bundesliga beheimatet, in Frankfurt spielt zudem der aktuelle Tabellenführer 1. FFC Frankfurt. Alle freilich tragen ihre Ligaspiele in deutlich kleineren Stadien bzw. gleich auf Plätzen aus. Der Zuschauerschnitt der Bundesliga lag in der abgelaufenen Saison bei bescheidenen 766. Zwischen Alltagsbetrieb und der Nationalmannschaft klafft weiterhin eine große Lücke beim Zuschauerzuspruch, der Professionalität und Vermarktung. Ob die Zukunft des Fußballs wirklich weiblich(er) ist, wird sich daran entscheiden, ob die WM in Deutschland diese Kluft nachhaltig verkleinern kann.

Dieser Text erschien zuerst online beim österreichischen Fußballmagazin ballesterer.

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