Linke Sportkritik in Amerika

von Martin Krauss

„Barack Obama hat über seinem Schreibtisch ein Poster von Muhammad Ali hängen“, weiß Dave Zirin. Der linke Sportjournalist meint nicht Obamas neue Gesetzesunterschreibfläche im Oval Office, sondern den Tisch, den er nutzte, bis die Leute ihn gewählt hatten. Für die taz habe ich mich mit Zirin unterhalten.

Dave Zirin ist einer der bemerkenswertesten amerikanischen Sportjournalisten. Der 33-Jährige aus der Nähe von Washington schreibt regelmäßig für die linke Wochenzeitung The Nation und das SLAM Magazine, aber auch für die Washington Post und die Los Angeles Times. Dem New-York-Times-Kolumnisten Robert Lipsyte gilt Zirin als “bester junger Sportjournalist in Amerika”, und das Magazin Sports Illustrated schreibt: “Die Sportindustrie hat lange auf eine solche alternative Stimme gewartet.” Zirins Kolumnen sind auch auf seiner Webseite Edges of Sport nachlesbar.

Herr Zirin, in Europa gibt es viel Kritik an der Amerikanisierung des Sports: Cheerleader, Clapping Machines. Showeffekte. Hassen Sie so etwas auch?

Nein. Der Hauptpunkt, den ich am gegenwärtigen Sport kritisiere, ist, dass der Zugang zu ihm eingeschränkt ist. Es ist die ganz einfache Frage: Wer kann, wer darf Sport treiben? In Amerika sind die Sportprogramme der öffentlichen Hand massiv gestrichen worden. Es ist so, dass die USA ein bestimmtes ökonomisches Modell exportieren, auch nach Europa, das sich unter anderem darin zeigt, dass viele öffentliche Dienste privatisiert werden. Der Sport fällt unmittelbar darunter.

Eine traditionell linke Kritik in Europa lautet: Sport ist Ablenkung vom Klassenkampf. Kennen Sie das?

Das greift zu kurz. Sport ist ein wichtiger Teil der menschlichen Gesellschaft. Und man muss doch erst mal verstehen, welche Rolle Sport hier spielt. Man muss sich fragen, warum Menschen den Sport so sehr mögen.

Warum lieben sie ihn?

Der Sport vermittelt eine bessere, solidarischere Form des menschlichen Umgangs. Daran ist ja nichts falsch. Sport sorgt auch für eine bestimmte Art, sich zu unterhalten. Wenn man über Sport spricht, sind das auch immer Gespräche über die Welt. Wie politisch Gespräche über Sport sind, merkt man, wenn Olympische Spiele anstehen oder eine Weltmeisterschaft.

In Ihrem jüngsten Buch verwenden Sie den Begriff des “sportlich-industriellen Komplexes”. Ist das nicht ein bisschen zu hoch gegriffen?

Der Sport ist global, er verfügt nachweisbar über viel Macht. Und der Sport wird exportiert, einerseits als Teil des ökonomischen Modells, andererseits werden hier aber auch Werte vermittelt, politische Ideen. Und es gibt eine am Sport hängende Industrie: die Sportartikelindustrie. Nicht zuletzt spielt Sport eine enorm große Rolle im Alltagsleben. Das gehört alles zum sportlich-industriellen Komplex.

Doping, Kommerzialisierung, politische Instrumentalisierung – ist der Sport gefährdet?

Die Hauptgefahr für den modernen Sport geht von der aktuellen ökonomischen Krise aus. Während der Jahre des Booms hat sich der Sport sehr verändert: Die Ticketpreise sind hochgegangen, ganze Bevölkerungsschichten sind aus dem Sport herausgedrängt worden, im Baseball etwa wurden Nachwuchsprogramme gestrichen, weil sich die Klubbesitzer bei jungen, talentierten Spielern aus Lateinamerika bedienten. Es wäre gut, wenn über solche Auswirkungen der Globalisierung auf den Sport ernsthaft diskutiert würde.

Berühmte Sportler sind in der Regel reich. Korrumpiert das Geld sie?

Nein. In Europa gibt es viele Fußballprofis , die sich gegen Rassismus aussprechen. Damit sprechen sie ein politisches Thema an. Dass Sportler meist nur über Sport sprechen und nicht über Politik, liegt doch daran, dass sie nur diese Plattform haben. Sie werden nur zu Sport befragt, aber selbstverständlich sprechen sie dann auch über Politik. Man muss ihnen nur genau zuhören, um es herauszufinden.

Ist das der Sportlerwiderstand, die athletic resistance, von der Sie sprechen?

Was ich gerade beschrieben habe, ist das kulturelle Kapital eines Sportlers. Das nutzt er, wenn er sich äußert. Große Sportler kommen oft aus der Arbeiterklasse und aus armen Verhältnissen. Und sie haben nur eine begrenzte Zeit ihres Lebens, groß herauszukommen. Daher ist ihnen die Bedeutung des Sports bewusst. Und daher merken sie auch sehr genau, viel genauer als andere, wenn es Schranken gibt, die sie daran hindern, sich voll zu entwickeln. Zum Beispiel Rassismus.

Haben schwarze Sporthelden wie Muhammad Ali, Michael Jordan oder Tiger Woods Barack Obama den Weg bereitet?

Obama hat über seinem Schreibtisch ein Poster von Ali hängen. Also zumindest sieht er selbst sich in dieser Tradition. Tiger Woods und Michael Jordan sind jedoch andere Sportlertypen. Deren Ziel ist und war es immer, in einem kurzen Zeitraum viel Geld zu verdienen. Beide haben sich nie als politische Sportler verstanden. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob Amerika Afroamerikaner als Sporthelden akzeptiert oder ob es einen Afroamerikaner als politischen Führer akzeptiert.

Zuletzt erschien von Dave Zirin: “A People’s History of Sports in the United States” (New Press 2008). Andere, nicht weniger zu empfehlende Bücher sind: “Welcome to the Terrordome. The Pain, Politics, and Promise of Sports” (Haymarket 2007), “Muhammad Ali Handbook” (MQ 2007) und “What’s my Name, Fool? Sports and Resistance in the United States” (Haymarket 2005). Über Zirins Bücher und seinen politischen und journalistischen Ansatz werde ich demnächst in der Jungle World etwas schreiben.

Kommentare

6 Kommentare zu “Linke Sportkritik in Amerika”

  1. Sauzwerg am 01.22.09 17:19

    “[…]Die Hauptgefahr für den modernen Sport geht von der aktuellen ökonomischen Krise aus.[…]”
    Wie das denn nur?
    Vor einigen Jahren sah man schon einmal den den Untergang kommen, der damals noch Kirch-Pleite hiess.
    Folge war aber viel mehr, daß Vereine plötzlich wieder eigene junge Nachwuchsspieler sich trauten auch in Bundesligaspielen aufzustellen.

    Ökonomische Krise kann den Sport, das Spiel nicht zerstören, der/das kann sich bestenfalls verändern, in erster Linie äusserlich und vom Drumherum.
    In irgendein Fußballstadion wird man noch gehen und Fußball dort live sehen können, wenn sämtliche Autofirmen und Banken pleite sind.

    Wenn man den “modernen Sport” als aufgeblasene ein bißchen dekadent perverse Variante seiner selbst sieht, die medialen Großereignisse incl. politischer und ökonomischer Instrumentalisierung meint, dann mag die “Gefahr” dafür durch die ökonomische Krise stimmen, nur würde ich sie dann garnicht mehr als solche bezeichnen.

    Dan wäre die “Gefahr” eher eine Chance!

  2. Sauzwerg am 01.22.09 17:36

    “Eine traditionell linke Kritik in Europa lautet: Sport ist Ablenkung vom Klassenkampf. Kennen Sie das?”

    Wie kommt man denn nur da drauf?
    Traditionell hatten doch die Machthaber eher Angst vor emotionalisierten Menschenmengen.
    Wenn man sich dann noch an die Arbeiter denkt, die sich in Vereinen organisierten, das ist doch eher eine Horrorvorstellung für eine Machtelite, die revolutionäres Potential fürchtet?
    Nunja, die Antwort ist ja auch eher ein wenig ratlos.

    In dem Zusammenhang muß man doch auch sagen, daß in den letzten Jahren die Menschen nicht aus dem Sport, sondern vielmehr aus seiner Glamourform gedrängt wurden, die nun nicht unmittelbar der “Sport” an sich ist.

    “Die Sportindustrie hat lange auf eine solche alternative Stimme gewartet.”
    oha, die SportINDUSTRIE würde ich eher als ängstlich gegenüber `alternativen´ Stimmen einschätzen.
    DIE würde ich doch in dem hier angesprochenen “sportlich-industriellen” Komplex einordnen, ob die da “alternative” Stimmen wartet?

  3. Elke Wittich am 01.22.09 18:07

    ““Eine traditionell linke Kritik in Europa lautet: Sport ist Ablenkung vom Klassenkampf. Kennen Sie das?”

    Wie kommt man denn nur da drauf?
    Traditionell hatten doch die Machthaber eher Angst vor emotionalisierten Menschenmengen.””

    Martin kann das sicher fundierter erklären als ich, aber ich versuchs trotzdem mal:
    Es gibt ja bis heute eine linke Sportfeindlichkeit, die so viele unterschiedliche Gründe hat, wie es unterschiedliche linke (oder sich für links haltende) Stömungen gibt.
    Die Ablenkung vom Klassenkampf ist einer dieser Gründe – mehr gewesen als heute noch aktuell, denn es gibt nicht mehr viele Menschen, die ihr komplettes Leben dem Kommunismus weihen wollen, hoffe ich jedenfalls 🙂

  4. Martin Krauss am 01.23.09 09:44

    @”Wie kommt man denn nur da drauf?” Durch Lesen, auf die Schnelle nur zwei Belege:
    Franz-Josef Degenhardt 1965:
    „Dann geht’s zu den Schlachtfeldstätten,
    um im Geiste mitzutreten,
    mitzuschießen, mitzustechen,
    sich für wochentags zu rächen,
    um im Chor Worte zu röhren,
    die beim Gottesdienst nur stören.
    Schinkenspeckgesichter lachen
    treuherzig, weil Knochen krachen
    werden“
    Gerhard Vinnai 1970:
    „Die Tore auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten“
    @”Wie das denn nur?” Kirchs Pleite war nicht die Pleite des Sports, sondern die Kirchs – mit Auswirkungen auf die Fußballbundesligisten. Die aktuelle Finanzkrise ist ein bisschen größer, sie verändert viel, u.a. auch die Zugangsmöglichkeiten zum Sport.

  5. Sauzwerg am 01.23.09 16:13

    lassen wir mal den wegen Stadionbesuches und damit verbundenen Terminschwierigkeiten abgesagten Klassenkampf beiseite…

    “Kirchs Pleite war nicht die Pleite des Sports, sondern die Kirchs – mit Auswirkungen auf die Fußballbundesligisten. Die aktuelle Finanzkrise ist ein bisschen größer, sie verändert viel, u.a. auch die Zugangsmöglichkeiten zum Sport.”

    Richtig, Kirchs Pleite war die Pleite eines Unternehmens, trotzdem wurde von vielen Bundesligamangern der Untergang prohezeit, der dann doch nicht stattfand.
    Richtig, die aktuelle Krise ist ein bißchen grösser.
    Sie schränkt die Zugangsmöglichkeiten zum Sport ein, das denke ich nicht.

    Der Zugang zum Sport war schon immer einer der einfachsten, auch kostengünstigsten mindestens kurzfristigen Fluchtmöglichkeiten aus beengten sozialen Verhältnissen, ich spreche dabei nur vom normalen Sport, nicht von Weg zum Sportmillionär.

    Wo die sozialen Umstände nicht schwierig oder die finanziellen Verhältnisse knapp sind, da ist der Sportvereinsbeitrag und der Kauf der Ausrüstung gewöhnlich sowieso einer der kleineren Ausgabenposten.

    Sportangebote und seien es Angebote auf ehrenamtlicher Basis in der Freizeit werden sich in der grössten Krise organisieren, Sportvereine funktionieren doch traditionell auch auf solidarischem Prinzip oder könnten dies zum Konzept machen, das durch eine ökonomische Grosskrise trägt.

    Es ist der Eventsport, der unter der Krise leiden wird, die medial begleiteten Großereignisse.

    Wenn gewisse staatliche Unterstützungen für ehrenamtliche Initiativen oder Sportvereine wegbrechen, Schulsport und schulnaher Sport reduziert und wegrationalisiert werden, dann ist das ebenso eine Folge von politischem Willen bzw. politischem UNwillen, wie wenn in einer ökonomischen Grosskrise Sportangebote nicht bezuschusst werden.

    Angesichts von Milliardenpaketen zur Bankenhilfe wären finanzielle Hilfspakete im Breitensport tatsächlich “Peanuts”.

    Ich halte negative Folgen für nicht gerade mit Sponsoren gesegnete Sportarten noch für wahrscheinlich, die um jeden Euro kämpfen müssen.
    Ein Kanute, Hochspringer oder ein Volleyballverein, deren Ziel eine regionale oder deutsche Meisterschaft ist werden neben den Sportgrossereignissen Leidtragende sein.

    Hierbei handelt es sich aber auch nicht um die “Zugänglichkeit” zum Sport, sondern um Spitzenbreitensport.
    Wenn dieser in einer Krise nicht gefördert würde, dann wäre das wiederum politischer Unwillen und würde mit dem Wunsch kollidieren, sich im Sport global zu präsentieren.
    (siehe Olympische Spiele)

    Ich scheue mich einfach ein bißchen, die ökonomische Krise als Erklärung für alles zu akzeptieren, was zukünftig wegbrechen oder weggebrochen wird.

  6. Linke Sportkritik in Amerika (2) : SportsWire am 02.14.09 11:33

    […] taz interviewt:  „Der sportlich-industrielle Komplex“ und das Interview auch hier eingestellt: Linke Sportkritik in Amerika. Nun, wie dort versprochen, stelle ich ihn und sein Buch […]

blogoscoop