Zwei Fußball-Kurzgeschichten – von Mielke zu Schäuble. Von den vielen Fußballhipstern und Lifestyle-Fans unbemerkt führen seit einigen Jahren zwei kantigere Fußball-Kurzgeschichten ein Schattendasein, das hiermit endlich einmal beendet werden soll. Es handelt sich um “Die Fans von Union” von Christa Moog aus dem Jahr 1985 und die 20 Jahre jüngere Episode “Schüsse” aus Clemens Meyers “Als wir träumten”.

Beide Autoren heimsten Preise für ihre Geschichten ein und beide berichten aus unbeteiligter aber aufmerksamer Sicht ein Auswärtsspiel des Berliner Fußball Mobs im verhassten Leipzig.

Christa Moog erzählt vom Treiben der FC Union Fans im Bruno Plache Stadion beim 0:4 gegen Lok Leipzig im Mai 1983. Zu dieser Zeit ist “die Lehre von Karl Marx allmächtig”, der “Rasen ist grün und gepflegt” und der Stadionsprecher unterhält die “lieben Fußballfreunde” vor dem Anpfiff mit “ein paar Takten Musik”.
Doch diese idyllischen Details fügen sich nicht mehr zu einem beschaulichen Bild. Transport- und Bereitschaftspolizei, Spezialeinheiten mit “Nebel-Handgranaten” und “Überfallkommandos” sind allgegenwärtig, während in Wirklichkeit das Chaos herrscht.
Moog schildert wie die Berliner Fußballrocker für einen Nachmittag die sozialistische Welt aus den Angeln heben. Dabei fasziniert die nüchterne Routine und Gelassenheit, mit der die kaum Volljährigen zu Werke gehen. Mit Fahnen, Sprechchören und Knallfröschen werden Bahnhof, Straßenbahn und Stadion geradezu lässig in Besitz genommen. Aufhalten lassen sich die tobenden Fans nur von ihren ebenso wütenden Kontrahenten aus Leipzig. Die staatlichen Ordnungsmächte bleiben im Hintergrund. Und beendet wird das Chaos nur durch die Deutsche Reichsbahn: “mit dem 18.17 Uhr ab Hauptbahnhof”.

Bei Clemens Meyer geht es anders zu. Seine Geschichte spielt im November 1990. Die Berliner kommen diesmal vom BFC Dynamo, der bei Chemie mit 1:4 gewinnt. Und nur auf den ersten Blick gleichen sich die Szenen: Lautstark und randalierend nehmen die Berliner den Bahnhof in Besitz. “Hier dürft ihr alles!” prosten die “Hooligans” dem Erzähler noch aufmunternd zu. Doch die Katastrophe liegt schon in der Luft, als die BFCer sich noch in der S-Bahn zur Vorsicht mahnen: “wegen den Bullen und so, is besser.”
Auf fünf kurzen Seiten beschreibt Meyer nun mitten aus dem Chaos heraus, wie in der nächsten Stunde ein rasender Haufen Fußballfans auf eine kompromisslose Polizei stößt; der Prügel folgen Steine, Tränengas und am Ende Schüsse. Ein Berliner Fußballfan wird von der Polizei erschossen, Schwerverletzte bleiben liegen. “Die Menge rannte […] wieder zum Bahnhof […] und die Bullen liefen langsam die Straße entlang. Einige hielten lange schwarze Pistolen mit dem Lauf nach unten neben ihren Hüften.”

Für sich genommen schildern beide Geschichten, wie junge Männer beim Fußball zu Gewalttätern werden und wie der Staat damit umgeht. In der DDR, bei Christa Moog, erscheint die Gewalt ein fast harmloses, folgenloses Ritual unter Gleichgesinnten. Die Polizei ist zwar auf das Schlimmste vorbereitet, sieht dem Treiben aber letztlich doch nur zu. Bei Clemens Meyer aber, in der Bundesrepublik, sind die Sicherheitsorgane zum Äußersten bereit. Die Hooligans ahnen dies zwar, wollen aber dennoch nicht auf Ihre alten Rituale verzichten und werden gnadenlos und voller Wucht zur Strecke gebracht.

So skizzieren Moog und Meyer eine Entwicklung, die überraschen mag: konsequente Repression schien eher die Sache von Erich Mielkes DDR als die des bundesrepublikanischen Rechtsstaates unter Wolfgang Schäuble zu sein. Oder verteufelt Meyer aus Ostalgie nur die neuen Verhältnisse nach der Wende, während Moog Fußballrowdies zu anarchischen Widerständllern gegen die DDR stilisiert?

Christa Moog, Die Fans von Union, in: Christa Moog, Die Fans von Union, Rowohlt 1987, S. 82 – 99
Clemens Meyer, Schüsse, in: Clemens Meyer, Als wir träumten, Fischer Verlag, 2006, Seiten 328 – 341

Kommentare

4 Kommentare zu “Lesetipp: Mit Berlinern in Leipzig”

  1. Leser am 05.21.10 09:41

    Unter http://www.youtube.com/watch?v=jAjTufkgRa4 kann man ab 0:15 min Bilder von den Unionern in Leipzig sehen (aus “Und freitags in die Grüne Hölle”).

  2. MisterAltravita am 05.21.10 15:22

    Nönö, passt schon so, wie Moog und Meyer das beschreiben.

  3. O.H.A. am 05.24.10 08:18

    Hier findet sich ein Interview mit dem bei Christa Moog mehrfach erwähnten “Speiche”: http://www.telegraph.ostbuero.de/3-99/speiche.html

  4. Thomas am 05.24.10 17:56

    Das war damals was !?!?

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