Nicht Afrika, sondern Deutschland, Österreich und die Schweiz stehen im Mittelpunkt der Forschungsergebnisse, die sich in dem Sammelband “(K)ein Sommermärchen” vorgestellt werden. Was nämlich das breit zusammengesetzte Forscherteam der Universitäten aus Frankfurt/Main und Wien untersucht hat, waren die Fußball-WM 2006 in Deutschland sowie die EM 2008 in Österreich und Wien. Und zwar steht der “gemeine Fan als Konsument von Fernseh-Fußball” im Fokus des Interesses; ihm wird an Adorno geschult mit dem Theorem der Kulturindustrie zu Leibe gerückt.

Konkret geht es um die Fragen, wie bei Sportereignissen Begeisterung hergestellt wird, was etwa bei dem recht neuen Phänomen des “Public Viewing” und in den sog. Fanzonen und –meilen in den Großstädten passiert, welche ökonomischen Interessen wirken und wie sich entlang der vielen bunten Fußballpartys Nationalismus als “Partyotismus” neu erfinden konnte.
Das ist ein ambitioniertes Projekt, und dass es so umfangreich durchgeführt werden konnte, ist hilfreich: Die Autoren, Wissenschaftler und Studenten um den emeritierten Frankfurter Soziologen Heinz Steinert, gehen auf viele Aspekte ein: inwieweit Fußballer (noch) proletarische Helden sind, wie Fans Niederlagen ihrer Mannschaft verarbeiten, ob sich weibliche Fans dem Spektakel anders nähern, welche Rolle der Sicherheitswahn spielt (und welche Nachhaltigkeit die “Sicherheits”-Standards eines Sportereignisses auf die übrige Gesellschaft hat) oder wie die “lustigen Fähnchen” an deutschen Autos Teil einer nationalen Imagekampagne wurden. Das ist materialreich vorgetragen und auf analytisch hohem Niveau — und doch zeigt gerade die ausführliche Präsentation des Ansatzes seine Schwächen und Grenzen. Die Herausgeber Torsten Heinemann und Christine Resch legen von Beginn an fest, dass solch großen Sportsevent kulturindustrielle Spektakel sind — ohne das Wörtchen “auch”. Daraus folgern sie etwa, dass der Umstand, dass WM und EM immer in unterschiedlichen Ländern und Kontinenten ausgetragen werden, unsinnig sei: “Ein Sport-Hollywood müsste die naheliegende Idee sein”, das genüge den Anforderungen der Fernseh- und der Tourismusindustrie. Hätten die Autoren die Bedeutung der Erschließung neuer Kontinente als Absatzmärkte für die Fußballindustrie, vor allem im Bereich Fernsehrechte aber auch beim Merchandising in den Blick genommen, statt auf ihrem — nebenbei gesagt: sehr engen — Verständnis der Kulturindustrie, die alles bestimme, zu beharren, wäre mehr herausgekommen. Ähnliches gilt für das beinah völlige Nichtberücksichtigen sportsoziologischer Ansätze, die dem Sport eine relative Autonomie im Verhältnis zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung beimessen.
Es soll aber nicht allzu viel gemäkelt werden, denn allein der Umstand, dass in einer Genauigkeit, die man bislang vergeblich suchte, dieser Ansatz einer Kulturindustrietheorie des Sports verfolgt und belegt wurde, ist mehr als begrüßenswert. Auch wenn man vieles nicht teilen mag: eine faszinierende Lektüre.

Torsten Heinemann, Christine Resch (Hg.): (K)ein Sommermärchen: kulturindustrielle Fußball-Spektakel. Münster 2010: Verlag Westfälisches Dampfboot. 235 Seiten, 24,90 Euro

Kommentare

Comments are closed.

blogoscoop