buuuntDie vielen Seiten des Balles – der hiesige Fußball, und nicht seine Fans, ist Gegenstand des Sammelbandes “Der Ball ist bunt”. Die Wandlung, die der Fußball in den letzten Jahrzehnten in Deutschland mitgemacht hat, ist das Thema. Aus einer monolithischen deutschen Veranstaltung ist ein multikulturelles soziales Phänomen geworden. Um dies erstmal zu verstehen, finden sich viele Interviews in dem Band, auch mit Bundesligaprofis wie Halil Altintop oder Mesut Özil und mit Wissenschaftlern wie Detlev Claussen und Gunter Gebauer. Die Themen, die beackert werden, überraschen auf angenehme Weise: Es geht um ausländische Vertragsarbeiter in der DDR und was sie mit Fußball zu tun hatten, um Aussiedlersport, um ein Roma-Projekt in Freiburg oder um Konfliktschlichtung und Sportgerichte im Fußball. Diese bislang als eher randständig wahrgenommenen Themen finden sich neben den vermeintlich großen, besser erforschten: zum Beispiel Rassismus und Antisemitismus auf den Rängen, Migrationsprobleme ausländischer Fußballer, die Integrationsleistung von Mädchenfußball oder die Bedeutung türkischstämmiger Fußballer in den Amateurligen.
Auch an teils vergessene Fußballer wie Ernst Willimowski, der für Polen und für Deutschland spielte, wie den “Kicker”-Gründer Walther Bensemann oder wie Camillo Ugi, von 1909 bis 1912 Nationalspieler und — damit im damaligen deutschen Fußball ein Fremdkörper — ein überzeugter Kosmopolit, wird erinnert.
Dass jedes dieser enorm vielen Themen nur kurz angerissen wird, statt es in aller Gründlichkeit analytisch zu durchdringen, ist eher eine Stärke des Bandes: Er gibt einen Überblick auf die “Vielfalt der Identitäten”. Den hat man bislang in der wissenschaftlichen Literatur kaum und in den Fußballsachbüchern gar nicht gefunden, was überrascht, schließlich war der deutsche Fußball in den letzten zehn Jahren durch diverse Misserfolge förmlich einem Modernisierungsdruck ausgesetzt: Der erste türkischstämmige Nationalspieler etwa lief erst 1998 im DFB-Dress auf — nach vergeigter WM; mittlerweile lässt sich der DFB (noch nicht mal ganz zu Unrecht) in selbst gedrehten Fernsehspots für die Multikulturalität seiner Auswahlkicker feiern.
Da überrascht es auch nicht, dass dem Band, der in dem eher als linker Kleinverlag bekannten Brandes&Apsel erscheint, ein Vorwort des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger vorangestellt ist. Es sagt vielleicht einiges darüber aus, welch geringen Stellenwert der Fußball in der deutschen Linken genießt, dass der Anstoß, Nationalismus zu überwinden, von einem DFB-Präsidenten mit CDU-Parteibuch kommt.
Daran, das allerdings ist festzustellen, ist das zu lobende Buch “Der Ball ist bunt”, gewiss nicht schuld.

Diethelm Blecking, Gerd Dembowski (Hg.): Der Ball ist bunt: Fußball, Migration und die Vielfalt der Identitäten in Deutschland. Frankfurt/Main 2010: Brandes & Apsel, 301 Seiten. 24,90 Euro

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