peripher“Ohne die Freude am Spiel zu verderben”, soll ihre kritische Beschäftigung mit dem Fußball geschehen, beruhigt die Redaktion der Zeitschrift “peripherie” ihre Leser — und verweist so auf letzte noch bestehende Schwierigkeiten deutscher Linker, sich der weltweit populärsten Sportart anzunähern. Denn so sehr das Spektakel Fußball, das im Sommer erstmals mit einer WM auf dem afrikanischen Kontinent Station macht, einer grundsätzlichen Kritik zu unterziehen ist, so sehr müssen die Kritiker doch zugeben, dass das Zuschauen Spaß macht. (Ein Umstand, der Kritikern der Musik- oder der Filmindustrie bekannt sein könnte.)

“peripherie” hat einen guten Ruf als Dritt-Welt-Fachblatt. Entsprechend fragt die Redaktion mit ihrem Schwerpunktheft Fußball, welche politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wirkungen die Fußball-WM in Südafrika haben wird. Das, worauf auch viele kritische afrikanische Intellektuelle hoffen, nämlich eine Stärkung afrikanischer Identität, wird genau so in den kritischen Blick genommen wie die Funktion des Fußballs als “Initialzünder für Manifestationen des Hasses und der Gewalt gegen Marginalisierte”.
Dem Thema Fußball nähern sich Redakteure und Autoren auf dreierlei Weise: seine Bedeutung für die Nation, für die Maskulinität und für den sozialen Aufstieg. Entlang dieser “drei großen Erzählungen” werden Themen gesetzt: Carlos Sandoval-Garcia etwa untersucht am Beispiel des 2002- und 2006-WM-Teilnehmers Costa Rica, wie sich nationale Identität und Formen von Maskulinität entwickelt haben. Beides war nämlich, sagt der costa-ricianische Kulturwissenschaftler, in der Krise und konnte durch den relativen Erfolg der Nationalmannschaft 2002 (Sieg über China, Unentschieden gegen die Türkei) kompensiert werden.
Der österreichische Historiker Gerhard Hödl weist nach, wie sehr der europäische Arbeitsmarkt für afrikanische Profifußballer in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, wie sehr aber auch eine innerafrikanische Fußballmigration entstanden ist. Im Fußball offenbaren sich laut Hödl die historischen Prozesse, “die der Kontinent in den letzten 150 Jahren durchlief”. Sie zeigen sich bis heute: Die Integration des afrikanischen Fußballs in den Weltfußball, deren augenfälligste Erscheinung die WM in Südafrika ist, ist Ausdruck des “global village”,
In weiteren Beiträgen geht es unter anderem um die Bedeutung der Prostitution beim Weltereignis Fußball-WM in Südafrika und um die Bedeutung der Gewerkschaften bei der Vorbereitung des Events (nebenbei gesagt spielen die südafrikanischen Gewerkschaften eine sympathischere und erfolgreichere Rolle als vier Jahre zuvor die deutschen Gewerkschaften).
Wenn man bedenkt, dass “peripherie” in seinen 30 Erscheinungsjahren sich noch nie dem vermeintlich linken Pfui-Thema Fußball gewidmet hatte, ist hier ein ganz großer Wurf gelungen.

fußball peripher: Peripherie 117. Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt. Münster 2010: Verlag Westfälisches Dampfboot. Einzelheft 10,50 Euro (http://www.zeitschrift-peripherie.de)

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