Legalisiertes Ausreiseverbot

von Torsten Haselbauer

Durch einen Trick kam das Bundesinnenministerium dem gerichtlichen Verbot der BKA-Datensammlung über angeblich gewalttätige Fans zuvor.

Neben dem 0:1 gegen Serbien gab es Mitte Juni noch ganz andere Ergebnisse, die deutsche Fußballfans wohl allerdings erst dann erschrecken werden, wenn die WM zu Ende ist:
In der „Datei Gewalttäter Sport“ sind derzeit rund 15.000 Datensätze über 12.000 Personen gespeichert.
Mit Stand 28. Mai 2010 wurde gegen 3800 Personen ein bundesweites Stadionverbot verhängt. Die offizielle Polizeidelegation Deutschlands bei der Fußball-WM in Südafrika besteht aus sieben Länder- und einen Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA), darunter fünf so genannte „Spotter“, szenekundigen Beamten also, die die Fans am Kap beobachten.
Schon vor der WM wurden in Deutschland 1083 Gefährderansprachen durchgeführt, also Fans angesprochen, von denen die Polizei befürchtet, dass sie zu Gewalttaten im Umfeld von Fußballereignissen neigen, wozu auch Public Viewing-Veranstaltungen zählen. „Fast noch besser als die die deutsche Nationalmannschaft haben sich offenbar die deutschen Sicherheitsbehörden auf die WM vorbereitet“, erklärte Jan Korte, Bundestagsabgeordneter der Linken, dessen Kleine Anfrage „Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika“ an die Koalition diese Zahlen an die Öffentlichkeit brachte. „Die allgemeine Überwachung im Fußballsport wird immer weiter ausgebaut. Ich glaube, es gibt mittlerweile in unseren Fußballstadien kein unbekanntes Gesicht mehr“, sagt Ole Wolff, hauptamtlicher Mitarbeiter des Fanprojektes Bielefeld.

Die Datensammelwut der Behörden hatte kurz vor der WM eine neue Qualität erreicht. Die „Datei Gewalttäter Sport“ ist durch eine Rechtsverordnung des Bundes-Innenministeriums wohl endgültig auf eine rechtliche Grundlage gestellt worden. Und schlimmer noch, mit ihr rund 100 so genannter Verbunddateien dazu. Doch der Reihe nach:

Seit 1994 besteht die „Datei Gewalttäter Sport“, eine Art virtuelle, vom BKA geführte Akte. Hier werden zentral Personen erfasst, die bei oder im Umfeld von Fußballspielen von der Bundesliga bis in die Regionalliga durch Gewalt auffällig wurden oder von denen die Polizei davon ausgeht, dass sie auffällig werden könnten. Diese Datei wurde von Fanvertretern seit ihrer Gründung heftig kritisiert und immer wieder rechtlich angezweifelt. Denn in der Akte werden eben nicht nur echte Hooligans geführt, sondern mittlerweile auch ganz normale Fußballfanst, die oft ohne ihr Wissen in dieser Datei gelandet sind, und zwar „wegen Nichtigkeiten. Neunzig Prozent der mittlerweile in der Datei dort erfassten Personen sind gar keine Hooligans“, wie Ole Wolff vom Fanprojekt Bielefeld erklärt.
So wurden Fälle bekannt, dass Fans unter der Rubrik „Gewalt gegen Polizei“ erfasst wurden, bloß weil sie versuchten, sich aus dem überstrengen Griff der Ordnungshüter während einer Festnahme zu befreien oder weil sie in einer Gruppe mitliefen, die zufällig in der Nähe war, als auf einem Stadionparkplatz eine Autoscheibe zu Bruch ging.

Der Eintrag in die von meist bürgerlichen Medien vereinfacht und ideologisch bewusst falsch titulierten „Hooligan-Datei“ kann für die Betroffenen weitreichende Folgen haben. Ausreiseverbote zu internationale Fußballturnieren oder Spielen oder selbst zu Urlaubsreisen ins Ausland, Meldepflichten während Sportturnieren, Stadionverbote und andere Repressionen wurden bereits aufgrund eines Dateneintrags ausgesprochen. „Wer einmal erfasst wurde, bleibt auf Dauer in einem undurchsichtigen Dschungel verknüpfender Verbund- und lokaler Polizeidaten“, erklärte Philipp Markhardt von dem Bündnis Profans. Und das bis kurz vor der WM in Südafrika sogar ohne jegliche Rechtsgrundlage und nicht weniger als fünf Jahre lang. Denn eine vorzeitige Löschung war nicht möglich – ob man in dieser Datei erfasst war, wurde übrigens auch nicht mitgeteilt, denn einen Rechtsanspruch auf Auskunft gab und gibt es auch in Zukunft nicht.
„Für Nichtigkeiten streng diskriminiert“, so umschreibt Ole Wolff die Situation vieler betroffener Fans. Dass die Beziehungen der Fans zur Polizei schon einmal besser und vertrauenswürdiger waren, fügt Wolff noch an.
Es sprach dennoch vieles alles dafür, dass die „Datei Gewalttäter Sport“ jetzt endgültig vor dem Aus stünde. So hatte das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg schon im Dezember 2008 in einem Urteil entschieden, dass der Betrieb dieser Verbunddatei des BKA’s rechtswidrig sei. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in drei Verfahren aus dem April 2010 nachgelegt und die Datei ebenfalls für rechtswidrig erklärt. Das Urteil war allerdings noch nicht rechtskräftig und ist nun, durch die neue Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums, hinfällig. Die von Fans und Datenschützern gleichermaßen gehegte Hoffnung, die Datei werde noch vor dem WM-Anpfiff endgültig ins Abseits befördert, hatte sich also nicht erfüllt.

Mit einem Trick und in einer Nacht- und Nebel-Aktion entledigte sich der Bundesinnenminister de Maiziere des Problems. Als am Mittwoch, 9. Juni, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig darüber entscheiden wollte, ob die Fan-Datensammlung zulässig sei, trat eine neue Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums in Kraft, die die notwendigen Voraussetzungen für die Datei schuf. „Hätte der Bundesinnenminister de Maiziere nicht die Reißleine gezogen und noch die fehlende „BKA-Daten-Verordnung“ erlassen, hätte das Gericht die Datei wohl gekippt, lässt sich der Vorsitzende Richter des 6. Senats, Werner Neumann, zitieren.

Dass de Maiziere seine Rechtsverordnung durch den Bundesrat beschließen und installieren ließ, stieß bei vielen Bundestagsabgeordneten auf tiefe Verwunderung. „Damit wurde eine breite, öffentliche Diskussion im Bundestag verhindert und das sollte es wohl auch. Ich nenne das schlicht undemokratisch“, erklärt Jan Korte von der Fraktion der Linken. Das Parlament wurde ausgeschaltet und das BKA-Gesetz musste durch die Rechtsverordnung auch nicht geändert werden. Das Ministerium hatte ganze Arbeit geleistet. Und noch etwas ist sehr bedenklich. Genau genommen wurden nicht nur die Daten der in der Sportdatei erfassten Personen legitimiert, sondern Millionen von Daten in den sogenannten Verbunddateien gleich mit. Dazu zählen „Gewalttäter links“ ebenso wie „International agierende gewalttätige Störer“. Es gibt scheinbar nichts mehr, was nicht gespeichert werden darf. Der Fußball macht’s möglich und das sollte er wohl auch.

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