Der Streit zwischen dem Sportjournalisten Jens Weinreich und dem DFB-Präsidenten Theo Zwanziger ist weit mehr als nur ein Streit über unterschiedliche Auffassungen.
Jens Weinreich spricht im exklusiven SportsWire-Interview über Pressefreiheit, kritischen Sportjournalismus und darüber, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich im Mittelpunkt einer DFB-Mailaktion steht. Und auch darüber, dass der Deutsche Fußballverband seine Massenmails ohne Anonymisierung der Adresssaten verschickt.

Wie fühlt man sich, wenn man plötzlich selbst zum Schlagzeilenthema wird?

JW: Es ist auszuhalten, so lange sachlich korrekt berichtet wird. Ich habe ein dickes Fell und mir nichts vorzuwerfen.
Was allerdings der DFB mit mir anstellt, ist nicht nur inakzeptabel, das ist höchst skandalös. Hoffentlich auch rechtlich relevant. Es hätte dem DFB-Präsidenten frei gestanden, nach zweieinhalb verlorenen Gerichtsgängen (Landgericht Berlin, Berufung, dann Kammergericht) eine Klage zu erheben. Er wollte es an seinem alten Amtssitz Koblenz tun, wo er selbst mal Richter war.
Er hat es nicht getan. Stattdessen hat mich der DFB, maßgeblich Generalsekretär Wolfgang Niersbach und Pressechef Harald Stenger mit einer Pressemitteilung diffamiert, die quasi nur aus Unwahrheiten besteht – und die Beschlüsse des Landgerichts und des Kammergerichts verschweigt.
Ich bin nicht der einzige im sportjournalistischen Bereich, der eine derartige konzertierte Aktion noch nicht erlebt hat. Ich sage: Hier will jemand meine Existenz vernichten. Das ist nicht schön. Die Berichterstattung darüber lässt sich aushalten.

Kommst Du im Moment überhaupt noch zum Arbeiten?

JW: Nein. Seit einer Woche nicht mehr.

Der DFB macht nun Ernst, wie die E-Mail des Generalsekretärs Wolfgang Niersbach an die Top 100 der Entscheidungsträger in Sport und Politik zeigt. Hast Du mit einer solchen Reaktion gerechnet?

JW: Ich wusste, dass etwas kommen wird, dass die Propagandamaschine angeworfen wird.
Aber mit so einem ungeheuerlichen und plump-dummen Vorgehen habe ich nicht gerechnet. Die Wirklichkeit ist halt immer schlimmer als schlimmste Befürchtungen.

Woher weißt Du eigentlich, wer die Empfänger dieser Mail waren? Schickt der DFB Rundmails wirklich ohne bcc, heißt: Jeder Adressat kann die Mailadressen aller anderen Adressaten sehen? Das wäre erstaunlich.

JW: Das Lügenpamphlet wurde im normalen Presseverteiler verschickt, den – so schätze ich bei einem riesigen Unternehmen wir dem DFB – sicher tausende Empfänger erreichen. Zusätzlich hat Generalsekretär Niersbach einem illustren Kreis von Sportfunktionären, Sportpolitikern des Bundestages und einigen ausgewählten Journalisten die Mitteilung mit weiteren Wahrheitsbeugungen garniert verschickt und ausdrücklich dazu aufgefordert, diese Unwahrheiten gegen mich zu verwenden und zu verbreiten.
Ich kenne eine dieser Rundmails und wundere mich auch, dass er den Unterschied zwischen CC und BCC nicht kennt. Vielleicht war er auch zu wütend und/oder aufgeregt, ahnend, dass er hier möglicherweise in Gesetzeskonflikt gerät. Ich weiß es nicht. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.

Du hast auf diese E-Mail sofort reagiert. Und sehr harsch. Gab es bereits Reaktionen vom DFB?

JW: Ich habe barsch reagiert? Da muss ich etwas verpasst haben.
Ich nenne es nicht barsch – ich nenne es Transparenz. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen den gesamten Vorfall, auch die Ereignisse zuvor, auf meinem Blog öffentlich gemacht. Mit allen Dokumenten und Beweisen. Also mit allem, was der DFB verschweigt, verheimlicht, negiert und nicht vorlegen kann und will.

Du befürchtest massive berufliche Nachteile. Bislang gab es allerdings eher positive Reaktionen, zum Beispiel im Deutschlandfunk und in der Frankfurter Rundschau. Hälst Du die meisten Kollegen trotzdem für so leicht einzuschüchtern?

JW: Ich weiß nicht, wie “die meisten” Kollegen denken. Es ist mir auch egal. Ich habe meine Meinung über diese Branche oft genug kund getan, zuletzt in einem Vortrag bei der ersten großen Sportjournalismus-Konferenz in Deutschland überhaupt, die das sportnetzwerk gemeinsam mit der TU Dortmund im Februar ausgerichtet hat.
Ich weiß aber gewiss, dass diese Propaganda, diese Diffamierungskampagne des DFB nicht folgenlos für mich bleibt. Da wird etwas hängen bleiben, etwas negatives.

Du bist 2006 von der Ethikkommission der Fifa zur persona non grata erklärt worden. Wie kam es dazu?

JW: Das wird einige Zeilen kosten: Die Fifa hat im Januar 2006 zwei Gegendarstellungen gegen mich bzw. die Berliner Zeitung, deren Ressortleiter ich damals war, durchgesetzt.
Im Kern ging es um meine Berichterstattung zum ISL-Korruptionsskandal. Ich hatte in großen Geschichten im Dezember neue Fakten präsentiert und u. a. die Haus- und Bürodurchsuchungen bei der Fifa beschrieben.
Faktisch gab es keinen Fehler. Es war eine Auseinandersetzung über die Bedeutung von Worten. Das Landgericht hat sich beispielsweise, ohne mich selbst zu hören, ich hatte vor Gericht darum gebeten, auf eine Bedeutung des Verbes “verheimlichen” festgelegt, die nicht meiner Interpretation entsprach. Ich glaube nicht, dass Richter Sprachwissenschaftler sind. Aber ich musste mich beugen.
In die nächste Instanz konnten wir nicht gehen, wie so oft in Verlagen: Es war schon teuer genug.
Gerade diese Geldfrage nutzen ja Fußballverbände wie Fifa und DFB gnadenlos aus. Ich wusste, dass die Fifa mit dieser Gegendarstellung hausieren gehen würde.
Monate später hatte ich das Glück, das Protokoll der ersten Sitzung der heutigen Ethik-Kommission zu erhalten. Es ging da um den türkischen Nationaltrainer Fatih Terim, es ging um die Fifa-Skandalnudel Jack Warner, jenen Vizepräsidenten, der auf märchenhafte Weise zum Multimillionär wurde, und es ging um mich, den kleinen bissigen Journalisten.
Und es kamso, wie ich ahnte: Fifa-Generalsekretär Urs Linsi, inzwischen von Blatter geschasst, hat behauptet, ein State Court hätte gegen mich entschieden und damit wäre klar, dass alles, was ich bisher über die Fifa geschrieben habe, Lügen und böswillige haltlose Vorwürfe gewesen seien.
Absurd.
Es wurde der Eindruck erweckt, als hätte es einen Prozess gegeben. Herrje, es war auf dem Niveau der Unterlassungen, ich sagte bereits: Ich durfte mich nicht einmal äußern.
Der so genannten Ethik-Kommission hat das gereicht, um mich einstimmig zur Persona non grata zu machen.
Als ich einige Monate später, es war während der WM 2006, das Dokument hatte, habe ich Präsident Joseph Blatter und seine Bediensteten angemailt. Wenige Minuten später wurde ich telefonisch zum Frühstück mit Blatter ins Hotel Interconti eingeladen. Ich habe den Termin auf den übernächsten Tag verlegen lassen.
Blatter war erschrocken, weil er nun wusste, dass es noch eine undichte Stelle gab, dabei hatte er doch alles getan, um seinen Stall zu säubern. Er hätte gern die Quelle gewusst. Er hat mir dann gesagt, das sei ein dummer Alleingang von Linsi gewesen. Die Verbannung hätte vom Exekutivkomitee, das im März 2006 in Zürich tagte, ratifiziert werden müssen. Es stand auch auf der Tagesordnung, doch er, Blatter, habe das letztlich gestrichen. “Ich lege die Tagesordnung fest”, sagte er: “Halten Sie mich für so blöd?”
Ich antwortete wahrheitsgemäß: Nein. So blieb es nur bei der Verurteilung durch die Ethik-Kommission, die nie exekutiert wurde. Anders etwas als bei meinem Freund und Kollegen Andrew Jennings, der seit 2004 (vielleicht sogar 2003) von der Fifa als Persona non grata behandelt wird.

Als einer der Gründer des sportnetzwerks, einer Vereinigung kritischer Sportjournalisten, weißt Du sehr genau um die Kungeleien zwischen Sport und Medien. Ist die Auseinandersetzung zwischen Dir und dem DFB Deiner Meinung nach auch ein Zeichen dafür, dass Verbände und Funktionäre heute mehr denn je stromlinienförmigen Journalismus erreichen wollen?

JW: Selbstverständlich. Sie ist auch ein Zeichen dafür, dass einer derjenigen, die die Stimme laut erheben und immer wieder mit exklusivem Material aufwarten, kalt gestellt werden soll.
Zur Kungelei zwischen Sport und Medien empfehle ich übrigens den wunderbaren Vortrag von Grit Hartmann auf unserer Sportjournalismus-Konferenz. Nachzulesen auf meinem Blog oder unter www.sportnetzwerk.eu.
In anderen Beiträgen, bei mir verlinkt und ebenfalls beim sportnetzwerk habe ich zum Beispiel beschrieben, wie vor einigen Jahren die WMP-Eurocom-Tochter TV Media IOC-Politik in Deutschland durchgesetzt und den Vizepräsidenten Thomas Bach ins rechte Licht gerückt hat. Alles mittels Vereinnahmung von Journalisten und ganzen Medien.
So etwas denke ich mir nicht aus, ein entsprechendes dickes internes Dokument habe ich gemeinsam mit Thomas Kistner veröffentlicht.
Heute würde ich so etwas selbstverständlich sofort ins Internet stellen. Das ist mein Verständnis von Transparenz und modernem Journalismus. Die Kampagne des DFB beweist, wie weh das jenen tut, die – Zitat Theo Zwanziger – die “Kommunikationsherrschaft” anstreben.

Im Vergleich zu seinen Vorgängern hat Theo Zwanziger gerade in politischer Hinsicht eine Menge bewirkt, Rassismus und Antisemitismus im Fußball werden beispielsweise nicht länger totgeschwiegen. Sein Vorgehen jetzt scheint nicht recht dazu zu passen, wie erklärst Du Dir das?

JW: Zum ersten Teil der Frage äußere ich mich nicht inhaltlich. Das hat nichts mit dem Sachverhalt zu tun, den ich im Juli kritisiert habe.
Über seine Versuche, die Kommunikationsherrschaft herzustellen und zu behalten, über sein Verständnis von Pressefreiheit und Demokratie mag sich jeder selbst ein Urteil bilden, der die Fakten studiert, die ich auf meinem Blog darlege.
Letztlich glaube ich, damit auch zur Aufklärung beigetragen zu haben, auch wenn es mich gerade ziemlich schmerzt, weil man meine Integrität, Reputation und letztlich meine Existenzgrundlage als Journalist aufs Schändlichste angreift.

Bist Du optimistisch, am Ende zu gewinnen? Kann man in einer solchen Sache überhaupt gewinnen?

JW: Ich werde einen Teufel tun und also nicht über Gewinnchancen orakeln.
Mit gesundem Menschenverstand scheint die Sache relativ klar zu sein, aber danach wird vor Gericht bekanntlich nicht entschieden. Teil derartiger Kampagnen gegen Journalisten ist ja immer auch, dass steinreiche und politisch fantastisch vernetzte, machtvolle Organisationen gegen einen Einzelnen antreten, der finanziell seine Existenz aufs Spiel setzt.
Kann man da gewinnen?

Wie sind die Reaktionen bislang, gab es – auch aus dem Adressatenkreis der DFB-Mail – positive Resonanz? Bekommst Du eigentlich auch Hassmails?

JW: Anders als in anderen Fällen, etwa als ich vor Jahren über die DDR-Dopingprozesse berichtet habe, und damals gab es Hassmails und Drohanrufe, gibt es eigentlich nur positive Resonanz. Ich meine, dass kann man alles nachlesen auf meinem und momentan rund 70 anderen Blogs.
Man sieht es auch an den ersten Veröffentlichungen der herkömmlichen Medien. Ich bekomme natürlich auch private Mails, Anrufe und Tipps aus der Funktionärskaste. Es ist ja nicht so, dass sich dort niemand angewidert davon abwenden würde, wie gerade mit mir verfahren wird.

Kommentare

6 Kommentare zu “Jens Weinreich: Ich habe ein dickes Fell”

  1. onlinejournalismus.de - Das Magazin zum Thema » Blog Archive » Blogs, Meinungsfreiheit, PR & Lügen: DFB vs. Jens Weinreich am 11.17.08 21:12

    […] 17.11.2008, Elke Wittich: “Jens Weinreich: Ich habe ein dickes Fell” […]

  2. links for 2008-11-18 | Du Gehst Niemals Allein am 11.18.08 14:04

    […] Jens Weinreich: Ich habe ein dickes Fell : SportsWire (tags: politik journalismus blatter fifa dfb zwanziger recht) […]

  3. Pillenpackung III | catenaccio am 11.19.08 12:02

    […] Link […]

  4. Verbrochenes · Der DFB macht mobil am 11.19.08 15:42

    […] Der Kampagne des DFB entgegen steht derweil ein weites Feld von Einträgen im Internet. Die ganze Geschichte empfehle ich bei Stefan Niggemeier nachzulesen, er hat mehrere Einträge zum Thema gemacht. Oder natürlich bei Jens Weinreich selbst, der sie auch dokumentiert hat, oder im Interview bei Sportswire. […]

  5. Zwanziger vs Weinreich: Journalistenverbände appellieren an den DFB : SportsWire am 11.19.08 17:28

    […] Jens Weinreich: Ich habe ein dickes Fell […]

  6. Willi Weber am 11.20.08 09:48

    Herr Weinreich söll so weitermachen wie bisher,
    um die mafiösen Strukturen in den Sportverbänden aufzubrechen.

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