Im zweiten Teil des Interviews mit dem 31-jährigen Handball-Schiedsrichter Stefan Weber von der SG Plön geht es um den ganz normalen Referee-Alltag, Regelkunde, Fehler und darum, ob totale Objektivität überhaupt möglich ist.

Wie sieht so ein durchschnittlicher Schiedsrichter-Tag aus?

Klare und bestimmte Antwort: das kommt drauf an… 😉
Wenn man ein oder mehrere Jugendspiele am Sonntagmorgen leitet, ist das etwas anderes, als ob man ein Männerspiel am Samstagabend leitet.
Generell gilt aber: Man packt seine Sporttasche, vergewissert sich, daß man auch an Pfeife, Gelbe und Rote Karte, Spielnotizkarte und Kugelschreiber gedacht hat, dann macht man sich so rechtzeitig auf den Weg, das man mindestens eine halbe Stunde vor Anwurf in der Halle ist.
Dort kümmert man sich dann zunächst um Formalien wie den Spielberichtsbogen, die Kontrolle des Spielfeldes und der Spielerpässe – nach dem Spiel füllt man den Schiedsrichterbericht aus, verabschiedet sich von den Mannschaften, duscht und fährt nach Hause.
Insgesamt gehen für ein Erwachsenenspiel schon zwei bis drei Stunden drauf, im Jugendbereich nicht sehr viel weniger.

Bekommt man eine Aufwandsentschädigung, Fahrtgeld, Verpflegung?

Ja, ja, nein.
Jedenfalls ist das in beiden Verbänden, in denen ich als SR aktiv war (HV Schleswig-Holstein und HV Saar) so. Die Spesen liegen im unterklassigen Bereich bei etwa fünf bis zehn Euro pro Spiel, Fahrtkostenerstattung 30 Cent pro KM.

Wer wäscht eigentlich die Schiedsrichter-Outfits? Und wo kauft man die?

Die wäscht man selbst 😉 Kaufen kann man die gesamte Ausrüstung in jedem gut sortierten Sportgeschäft und natürlich im Internet.

Die meisten Leute können, zumal nach dem Handball-Wintermärchen, die Regeln des Spiels wenigstens im Groben. Nun gibt es aber in jeder Sportart Passagen in den Regeln, die selbst Fans erstaunen – welche wären das im Handball?

Hmm… Schwer zu sagen, ehrlich gesagt.
Wenn man sich in den Bundesligahallen die Reaktionen der Fans auf extrem eindeutig richtige Entscheidungen gegen die Heimmannschaft anschaut – jede einzelne Regel… 😉
Aber um jetzt wirklich sagen zu können, diese oder jene Regel kennt kaum jemand, müsste ich das Regelbuch Regel für Regel durchgehen.

Könnte ein erfahrener Handball-Spieler ohne große Probleme ein Spiel leiten?

Jein. Er könnte es, entsprechendes Selbstvertrauen vorausgesetzt, sehr wahrscheinlich weitgehend „unfallfrei“ über die Bühne bringen.
Ich kann aber ja aus eigener Erfahrung sprechen – auch ein relativ erfahrener Handballer lernt in einem SR-Lehrgang noch einiges.

Gibt es regelmäßige Fortbildungen für Handball-Referees, wie sieht das System überhaupt aus?

Das System ist von Verband zu Verband unterschiedlich, zum Teil sogar auf Kreisebene. In meinem derzeitigen Verband reicht eine Fortbildung pro Saison aus, um pfeifen zu dürfen.
Auf höherem Niveau sieht das selbstverständlich anders aus, wie oft genau dort Fortbildungen stattfinden weiß ich allerdings nicht.

Ganz ehrlich: Wie viele Fehlentscheidungen unterlaufen einem pro Spiel? Oder pro Saison?

Reichlich. Kann man natürlich nicht wirklich sagen, man ist ja normalerweise schon der Meinung, richtig entschieden zu haben. Ich bin aber sehr entschieden der Meinung, dass es völlig ausgeschlossen ist, ein Handballspiel fehlerfrei zu leiten. Dafür gibt es viel zu viele Entscheidungen zu treffen, bei denen es sich sehr oft auch um so genannte Millimeterentscheidungen handelt.

Wie kann man im Nachhinein überhaupt erkennen, dass man eine Situation falsch beurteilt hat, wenn kein Fernsehteam vor Ort ist?

Zuverlässig kann man das nur sehr selten erkennen. Eigentlich nur, wenn die betroffenen Spieler nach dem Spiel – übereinstimmend – eine entsprechende Rückmeldung geben. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Fehlentscheidung auf eine falsche Wahrnehmung zurückging.
Anders sieht es aus, wenn man eine Szene zwar richtig gesehen hat, aber nicht regeltechnisch korrekt beurteilt hat. Ist mir – soweit ich mich erinnern kann – nur einmal passiert, aber das war umso peinlicher. Das betreffende Spiel stand Unentschieden, und ich hatte unmittelbar vor Spielende einen Freiwurf gepfiffen. Dieser musste nach dem Schlusssignal dann also direkt ausgeführt werden, und der Wurf, der meiner Meinung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Tor gegangen wäre, wurde von einem Abwehrspieler absichtlich mit dem Fuß geblockt.
Ich habe daraufhin wegen regelwidrigen Vereitelns einer klaren Torgelegenheit auf Strafwurf entschieden, dieser wurde verwandelt.
Es gab zu dieser Entscheidung übrigens auch keine nennenswerten Proteste – falsch war sie trotzdem.
Ich war mir im Nachhinein eben nicht ganz sicher, richtig entschieden zu haben, und habe einfach mal eine PN an einen sehr hochklassigen SR geschickt, den ich aus der Handballecke kenne – und der hat mir dann gesagt, dass die Entscheidung falsch war, weil es nach Ende der Spielzeit keine neuen Spielsituationen mehr geben kann – ich hätte den Freiwurf nur wiederholen lassen dürfen…

Gibt man dann beim nächsten Mal, wenn man auf das entsprechende Team trifft, seinen Fehler zu? Wie sind dann die Reaktionen? Und wie lange knabbert man an einem solchen Fehler?

Klar, wenn ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, gebe ich das auch zu. In dem Fall, den ich eben geschildert habe, handelte es sich um ein Spiel der Liga, in der ich auch selbst damals gespielt habe, natürlich habe ich der durch meine Entscheidung benachteiligten Mannschaft vor unserem nächsten Spiel gegeneinander gesagt, dass ich da falsch gelegen hatte.
Die Reaktionen darauf waren sehr positiv – zwar nicht darauf, dass sie dadurch verloren hatten, aber eben darauf, dass ich es ihnen gesagt habe…
Der Fehler hat mich sehr geärgert, ich hatte da eine wichtige Regel nicht im Kopf – worst case für einen Schiedsrichter.

Schiedsrichter zu sein gehört zu den sportlichen Ehrenämtern – wie stehst Du generell zum Ehrenamt? Was wäre in Deinem Verein zum Beispiel nicht möglich, wenn es keine Freiwilligen geben würde?

Der gesamte Breitensport wäre ohne ehrenamtlich Tätige nicht möglich. Schiedsrichter, Trainer, Verbandsfunktionäre – auf der Ebene, auf der ich spiele und auch pfeife, läuft alles nur über das Ehrenamt. Dementsprechend froh bin ich, dass es genug Freiwillige gibt, die es mir ermöglichen, Handball zu spielen.

Nach der gewonnenen Handball-WM wurde der Sportart allgemein ein Boom prophezeit – hat es den Deiner Meinung nach gegeben und wie hat er sich auf die kleinen Vereine ausgewirkt?

Ganz ehrlich – keine Ahnung. Um davon etwas zu merken ist mein derzeitiger Verein ZU klein – wir haben nur eine einzige Mannschaft im Spielbetrieb.

Du machst gerade eine Ausbildung zum Erzieher. Wie sehr profitierst Du dabei von den Erfahrungen, die Du als Schiedsrichter gemacht hast?

Die Tätigkeit als Schiedsrichter macht selbstbewusster. Man muss permanent Entscheidungen treffen und diese vertreten, hat keinerlei Möglichkeit, sich zu verstecken oder Entscheidungen auszuweichen – auch NICHT zu pfeifen ist ja eine Entscheidung, die von Spielern, Trainern, Zuschauern wahrgenommen und ggf. kommentiert wird.

Totale Objektivität, geht das wirklich? Ist eine solche Erwartung an einen Schiedsrichter nicht total unrealistisch, weil man doch seine Sinne niemals ganz ignorieren kann?

Jein. Objektivität bedeutet für mich eigentlich nur, dass ich nicht bewusst gegen eine Mannschaft pfeife, jede Entscheidung nach bestem Wissen treffe.
In diesem Sinne ist eine solche Erwartung für mich auch nicht unrealistisch, sondern selbstverständlich. Seine Sinne kann man natürlich nicht ignorieren – die braucht man ja immerhin auch,um überhaupt das Geschehen auf dem Platz wahrnehmen zu können. ;

Teil 1 des Interviews gibt es hier

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