Im Epizentrum der Geselligkeit

von tobias mueller

Früher wurden ehemalige Fußballprofis gerne Tankwart oder Trinkhallenbesitzer. Heute machen sie als Manager, Scouts und Vertreter Karriere nach der Karriere. Nicht so Jean- Marie Pfaff. Der ehemals beste Torhüter der Welt ist in Belgien ein Fernsehstar.
Ein epochaler Auftakt. Streicher und Geigen. Hohe, weiße Mauern, ein schweres Eingangstor, gusseisern und dunkelgrün. Ein Zoom auf das daran angebrachte Familienwappen, dann schwenkt die Kamera durch die Stäbe auf das großzügige Anwesen. Das goldgelockte Haupt des Patrons blickt auf von der Zeitungslektüre, bevor er sein Siegerlächeln aufblitzen lässt . In schnellen Schnitten folgen die anderen Protagonisten. Die Gattin serviert Champagner auf der Terasse. Die erste Tochter und ihr Freund beim Tennismatch, die zweite nippt am Pool liegend an einem pinkfarbenen Cocktail, bevor sie sich mit gekonnter Geste und spitzen Fingern die Sonnenbrille zurecht schiebt. Die jüngste fährt derweil schwungvoll im dunklen Jeep vor. Dann zwei Enkel, spielend auf einem Plastiktraktor, und der Hund, der auf einem Fußball herum kaut. Stills voll sorglosem Glamour. Nicht nur die Titelmelodie jongliert mit harmonischen Verweisen an den Denver Clan. Auch die Symbolik ist eine Hommage an Fernsehfamilien aus den 1980ern. Tennis, eigener Pool, gebräunte Gesichter, blondierte Spitzen. Leben auf der Sonnenseite. Nur, dass es das alles wirklich gibt. Und keineswegs in Nordamerika: die elegante Villa liegt an einer schnurgeraden Allee in Brasschaat vor den Toren Antwerpens, und die Charaktere heißen nicht Blake und Krystle, sondern Jean- Marie, Carmen, Debby, Kelly und Lyndsey.

De Pfaffs  sind die bekannteste Familie Flanderns. Das sagt VTM, der größte private TV- Sender im nördlichen Landesteil Belgiens. Seit 2002 flimmern der ehemalige Welttorhüter des Jahres und seine Frau samt Töchtern, Schwiegersöhnen und Enkelkindern sonntags abends dort über die Bildschirme. 800.000 Menschen sehen ihnen zu, wie sie heiraten, Kinder bekommen und umziehen. Die Pfaffs fahren in Urlaub und gründen Betriebe, sie essen zu Abend oder erledigen den Haushalt, alles im Beisein der Kameracrew. “Nur auf Toilette wird nicht gefilmt”, schränkt der Ex- Keeper ein, “und Nackte sind auch nicht zu sehen. Es gibt schon genug Porno!” Im Herbst geht die Reality Soap in die neunte Staffel. In den Niederlanden hat die Serie sogar 1,2 Millionen Zuschauer, denen zum flüssigeren Verständnis des weichen flämischen Akzents Untertitel serviert werden. Die Pfaff’sche Hyves- Seite ist die größte Belgiens, mehrere Fanclubs haben sich gegründet, und ein Ende ist nicht ab zu sehen. Mit Vergleichen im Rahmen des populären Formats muss man Jean- Marie Pfaff daher nicht kommen. Die Osbournes? Anna Nicole Smith? Gar Sarah Connor? “Haben die etwa sieben Jahre lang durch gehalten?”

Nach einem Erfolgsgeheimnis muss man laut den Machern der Serie ebenso wenig suchen. “Sie bleiben sie selbst, wenn die Kameras an sind”, lobt Anja Pakula, die Abschlussredakteurin der Produktionsfirma Eyeworks. Alles an den Pfaffs sei echt, bestätigt Jean- Marie in einem Ton, der keinen Zweifel lässt. “Wer keine Basis hat, hat keinen Erfolg”, so einfach ist das. Die Basis der Pfaffs ist Authentizität. Keine Szenarios, keine Drehbücher, keine Maske. Ein Blick durch das geräumige Wohnzimmer fällt auf alte Bekannte: die cremefarbene Sitzlandschaft, die lange Esstafel, hinten die offene Küche, die weiße Bar, ein Hochzeitsgeschenk für Carmen und Jean- Marie. Zwei Chihuahuas tollen herum, sie tragen die gleichen Wolljäckchen wie in der Serie. In der Küche schraubt Schwiegersohn Nicolas derweil am Mittagessen für seine Söhne, die gleich aus der Schule kommen. “Was kriegen die kleinen Männer?”, erkundigt sich der Hausherr. “Suppe.”

Und dann erst Jean- Marie im Freizeitaufzug. Weißes Hemd mit dem Schriftzug eines Sportwettenanbieters am Kragen, goldene Uhr, Wohlfühlschlappen. Genau wie auf dem Bildschirm. Überhaupt strahlt er Konstanz aus. 22 Jahre, nachdem er zum besten Keeper der Welt gewählt  wurde, sieht er aus, als habe er eben erst das gestreifte Bayerntrikot mit dem Commodore- Schriftzug ausgezogen. Klare blaue Augen, dunkler Teint, die gleichen blonden Locken, nur an der Seite schimmert etwas Grau durch. Aufs Aussehen legen die Pfaffs Wert. Ihr Publikum kann sie beim Friseur, der Maniküre und Epiliersessions bewundern. Tochter Debby betreibt mit ihrem Freund ein Sonnenbankzentrum mit angeschlossenem Schönheitssalon im nahen Beveren, wo Pfaffs Karriere begann. Dessen Name Sunset Boulevard verhält sich zu dem Provinzstädtchen wie der plötzliche Meistertitel, den der örtliche KSK 1979 gewann, zum bis dato meist erfolglosen Club. Die Pfaffs bringen den Geruch von Glamour in die Peripherie.

Doch sie sind auch verwurzelt im Lebensgefühl der Kleinstadt. Sie feiern eine mexikanische Gartenparty mit La Bamba- Beschallung, singen zu Sweet Home Alabama im Auto und streiten sich, als der Rottweiler von Schwiegersohn Sam die Dobermann- Hündin der jüngsten Tochter Lyndsey bespringt. “Bastardwelpen”, kein schöner Ausblick, aber dann freuen sie sich doch über den großen Wurf von 14. “Der Erfolg der Pfaffs liegt in ihrem Wiedererkennungswert” schreibt die Produzentin Anja Pakula ihnen ins Stammbuch. Tatsächlich sind sie sind keine Freakshow wie die Osbournes. Eher durchschnittliche Leute wie die legendären kölschen Proleten Fussbroichs, nur eben zu Ruhm und Geld gekommen. Die ganze Familie gibt sich, wie Jean- Marie als Fußballer war. Volksnah, bodenständig, einfach. “Nie auf Distanz gehen”, das ist seit jeher Pfaffs Devise. Der Höhepunkt seiner Karriere, die WM 1986 in Mexiko, brachte den belgischen LRoten TeufelnL mit dem vierten Platz das beste Ergebnis aller Zeiten. Ihr Torhüter verdiente sich dort den Beinamen el simpatico: “Ich ging einfach spazieren, ich saß in Cafés, ich war freundlich, sie haben mich gesehen wie ich bin.”

Und so zeigen sich auch die übrigen Mitglieder. Reichlich fließen die Tränen, wenn die Töchter samt Anhang aus dem Haus gehen. Man wähnt sich schon wieder in einer amerikanischen Produktion, als sich die drei beim Sekt versprechen, weiterhin gemeinsame Shoppingwochenenden zu verbringen und sich dazu Schmuck schenken. Spaßvogel Sam, in Flandern ein bekannter Sänger von Stimmungshits auf sturen Beats, legt sich unter Kalauern der anderen einen der frisch geborenen Bastardwelpen an den Nippel oder simuliert im Whirlpool schon mal eine Geburt, als seine Frau schwanger ist. Jean- Marie selbst fiebert einem Gastauftritt im Programm des Schlagerbarden Frans Bauer entgegen, und Tochter Debby macht kein Geheimnis um ihre Brustvergrößerung. Wozu auch? “Andere Leute haben Nierensteine”, findet ihr Vater. “Oder sie gehen zum plastischen Chirurgen und erzählen niemand davon.”

Mit plastischer Chirurgie kommt auch der Protagonist selbst im Lauf der Serie in Berührung. Allerdings ungewollt. Ein Motorradausflug mit Freunden nach Italien endet für den noch ungeübten Easy Rider im Krankenhaus. “Ein Stückchen von meiner Nase ist ab. Jetzt musst du dich nicht mehr beschweren, dass sie zu groß ist” vermeldet Jean- Marie der besorgten Ehefrau Carmen trocken am Krankenbett. In der eindrucksvollsten Szene der über 100 Folgen bringt diese ihn zusammen mit einer der Töchter halb liegend auf Rücksitz und Kofferraum verteilt von Brescia zurück nach Brasschaat. In die allgemeine Aufregung hinein fragt der Patient aus einem tiefen Bedürfnis:”Wisst ihr die Fußballergebnisse?”

Die ruhmreiche Vergangenheit Pfaffs hängt latent über der Serie. Thema ist sie allerdings nur selten. Fußball, das war einmal. Die Keeperlegende hat zwar seit Jahren einen Trainerschein, einen Verein würde er aber nur als Hobby übernehmen. “Das wären sonst wieder zu viele Opfer, und du wirst davon auch nicht jünger. In Wind und Kälte rumstehen und dich von Leuten fertig machen lassen, die nichts davon verstehen?” Heute ist Pfaff ein Familienmann, das hat er seiner Frau und den Töchtern schon als Aktiver für die Zeit danach versprochen. Die Enkel kommen täglich vorbei, und jedes Wochende übernachten sie in dem bekanntesten Gebäude Flanderns. Über die Familie geht ihm, der selbst in einem Wohnwagen mit elf Geschwistern aufwuchs, nichts. Auch die anderen Pfaffs betonen ihr enges Band bei jeder Gelegenheit.
Im Konzept der Sendung steht dieser Aspekt zentral. “Die Idee war, dem ganzen ein Familiengefühl mit zu geben, wobei die elterliche Villa als Epizentrum der häuslichen Geselligkeit im Mittelpunkt steht”, so die Redakteurin Anja Pakula. Pfaff selbst erinnert sich an die Skizze, mit der VTM einst an sie heran trat. Da war natürlich die ungebrochene Popularität des Nationaltorwarts. Doch auch seine Tochter Kelly hattte sich als Model, Moderatorin und Tänzerin einen Namen gemacht, und ihr singender Mann bereits einige flandernweite Kirmesperlen auf den Markt gebracht. Dazu kam der heimliche Star der Familie: Pfaffs inzwischen verstorbener Schwiegervater ´Bompa´, ein früherer Zirkusartist, charismatischer Kettenraucher und ambitionierter Bargänger. Vor allem aber wohnten sie alle unter einem Dach. Was den Programmmachern als besondere Konstellation erschien, war für die Hauptperson vollkommen normal. “Ich habe mir dabei eigentlich nie etwas gedacht. Früher wohnten die Kinder mit ihren Partnern ja immer noch eine Weile bei den Eltern.”

Inzwischen sind De Pfaffs zur flämischen Musterfamilie geworden. Zur Fanpost gehören auch Briefe von Eltern, die Probleme mit ihren Kindern haben. Guck mal, wie die Pfaffs das machen, heiße es dann, sagt Jean- Marie. Er mag das, anderen Menschen Orientierung und Lebenshilfe zu geben. So wie er überhaupt einen sozialpädagogischen Auftrag zu erfüllen hat. Pfaff sagt, er wolle den Zuschauern auch Liebe, Wärme und Respekt vermitteln, und dass Zusammenleben das Wichtigste überhaupt wäre. “Wir müssen zurück zur Basis”, gibt er unvermittelt vor. “Miteinander reden, erzählen. Früher war das selbstverständlich. Heute dreht sich alles um Flatscreen und Videos.” VTM präsentiert die Pfaffs daher auch als Lwärmste, herzlichste und freundlichste Familie FlandernsL. Ein Image, das zieht. Viele Zuschauer würden wohl Rina Pallen zustimmen, der zuständigen Produzentin der Flämischen Mediengesellschaft, die hinter dem Privatsender VTM steht: “Wir haben die Geburt der meisten Enkel miterlebt. Wir sehen sie zu einer neuen Pfaffs- Generation heranwachsen, und wir haben den Tod und den emotionalen Abschied von Bompa mit gemacht. Und obwohl die Töchter alle ihre eigenen Familien haben, ist Jean- Marie noch immer der pater familias, der zusieht, dass es seinem Nachwuchs an nichts mangelt.”

Der Wunsch nach mehr Menschlichkeit paart sich bei Jean- Marie Pfaff mit einem ausgeprägten Geschäftssinn. Zwei Merkmale, die ihn schon in seiner aktiven Zeit auszeichneten. Bei Bayern war er nicht nur der Liebling der Fans, sondern auch der Pionier der Körperwerbung. “Ich habe meine Reklame am Kragen”, sagt er, ohne eine Mine zu verziehen. “Damals lachte man mich dafür aus. Heute haben sie das alle.” Schon bevor er zum Fernsehstar wurde, hielt er Vorträge über “Sport und Business”. Noch immer wird er für Eröffnungsfeiern gebucht, er betreibt einen Versand von “Pfaff- Weinen” und einen Fahrradrennstall, und seine Jean- Marie Pfaff- Foundation sammelt Geld für wohltätige Zwecke. Zwischenzeitlich gab er ein Hochglanzmagazin mit dem nahe liegenden Namen Jean- Marie heraus. All diese Aktivitäten sind verlinkt auf der offiziellen Website der Familie. Die reality soap ist damit auch ein Motor für die anderen Geschäftsbereiche. Sie hilft, die Marke JMP in ihren diversen Segmenten zu platzieren. In diesem Sinn gehört die Beschwörung des Zusammenhalts ebenso zur Corporate Identity wie die Visitenkarte mit dem selbst kreierten Familienwappen und dem Wahlspruch Pax mundialis universum vincit – Peace conquers all. “Ich habe früher schon gesagt, dass meine Karriere erst nach der Karriere beginnt”, sagt Jean- Marie Pfaff. “Damals fragten mich alle: “wie meinst du denn das jetzt schon wieder?”

(Erschienen in 11 Freunde, Juni 2009)

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