Ein literarisches Duett oder eine LeseBattle? An einem der ersten lauen Frühlingsabende kam es jetzt in Hamburg zum ersten inoffiziellen literarischen Lokalderby. Auf der einen Seite Michael Pahl, Autor der offiziös anmutenden Vereinshistorie “100 Jahre FC St. Pauli-Das Buch”; auf der anderen sein Schulkumpel Axel Formeseyn, ehemaliger Bürgerschreck im hanseatischen Aufsichtsrat des HSV und eifriger Herausgeber und Autor im Namen der blau-weiß-schwarzen Subkultur. SportsWire war dabei…

Die beiden Freunde warben jeweils bei ihrem Anhang und zu guter Letzt machte schließlich auch die “Bild” auf das ungewöhnliche Zusammentreffen im alternativen Schanzenviertel aufmerksam. Dabei waren die Veranstalter bis zum Schluss unsicher gewesen, wie die tief gespaltene Hamburger Fußballwelt mit diesem “Versuch, die Hamburgische Rivalität mal halbwegs locker und ungezwungen zu thematisieren” (Axel F.) umgehen würde.

Und alles wurde gut

Letztlich blieben die Hardliner und Betonköpfe beider Seiten jedoch zuhause. War den einen die Angelegenheit “zu kommerziell”, wollten sich andere nicht auf einer Ebene mit dem Rivalen auseinandersetzen. Ein “Board Oldie” im “HSV Forum” formulierte es in einem Satz: “Offizielle Kuschelabende mit denen zu veranstalten, Friede, Freude, Eierkuchen, alles der lieben Kohle willen – nee, Danke schön”.
So blieben 50 entspannte Fußballfreunde unter sich und musterten einander aus der Distanz. Die Blauen waren kaum vertreten, die Braunen zurückhaltend und die wenigen “Neutralen” schwelgten in Erinnerungen und diskutierten mit großem Ernst die vielen Pleiten, die beide Vereine mit den Jahren vorzuweisen hatten. Einzig ein entnervter Aufschrei eines HSVers, der entsetzt feststellte, dass mit dem Stempel zur Einlasskontrolle ein Pauli-Totenkopf seinen Unteram zierte, irritierte kurz.

Anekdoten aus der Vorzeit

Die erste Halbzeit handelte die Zeit bis zu den ersten Bundesligaderbys in den Siebzigern und der ersten Meisterschaft des HSV ab. Pahl berichtete hier von “Don Ernesto”, dem St. Pauli-Gönner vom Kiez und Walter Frosch, dem rauhbeinigen und rauchenden Abwehrspieler, während dort Formeseyns penibel recherchierte und mit diebischer Freude vorgetragene Anekdoten von den HSV-Profis das Publikum erfreuten. Die Oberlippenbärte der Kiezkicker standen den langen Haaren der HSV-Stars gegenüber, während sich beide Seiten melancholisch an die alten Spielstätten ihrer Vereine erinnerten.
Mit einer trashigen B-Seite einer Charly Dörfel Single und einem grotesken Comic über Kevin Keegan hatte Formeseyn am Ende aber das spektakulärere Material zu bieten. Wer es wollte, sah den HSV zur Halbzeit in Führung.

Die Rivalität der Neunziger

In der zweiten Halbzeit wurde es spannend. Es ging nun um die Zeiten, die das Publikum selber erlebt hatte. Ende der Achtziger avancierte St. Pauli zum Liebling der Bundesliga, wurde zum Marketing-Phänomen und ließ den HSV trotz sportlicher Erfolge in der Gunst des Publikums weit hinter sich.
Waren bis dahin der HSV und St. Pauli beides zwei Hamburger Vereine mit ähnlichem Publikum und mit gegenseitiger Sympatie, änderte sich das nun vollkommen.
St. Pauli benötigte den biederen HSV als Gegenbild, um sich als “Freudenhaus der Liga” zu etablieren, während sich die HSVer schmollend im Block E des Volksparkstadions einigelten und zu den Underdogs der Liga wurden.
Hier machte Pahl den Punkt und beschrieb nüchtern diese Jahre, die den FC St. Pauli “bis heute prägen”, während Formeseyn von pubertären Kieztouren erzählte. Abschließend spielte man sich wieder freundschaftlich und gekonnt die Bälle zu. Es wurde von Voodo-Puppen berichtet, die St. Pauli in den Abstieg getrieben haben sollen und von HSV-Gedenkmünzen, deren Wert nicht mehr als den eines Schokoladentalers entsprach.

Am Ende siegen die Bayern

Gegen Ende der zweiten Halbzeit holte die Gegenwart in Form des Bayern-Sieges im DFB-Pokalhalbfinale gegen Schalke das Publikum wieder ein. Als Breaking News spielten die Veranstalter das Tor auf die Leinwand: Ernüchterung bei den Zuhörern, denn gegen die Bayern waren ja alle. Die Aufmerksamkeit schwand, man haderte mit dem Fußballgott und selbst “Norbert und die Feiglinge” konnten mit ihrem “Trotzdem HSV” die Stimmung nicht mehr retten. So endete der Abend recht abrupt: auf dem Podium unentschieden und sportlich wieder einmal für alle Seiten unbefriedigend.

Kommentare

1 Kommentar zu “HSV und Sankt Pauli im literarischen Duett”

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