Holocaust on Ice

von Martin Krauss

Das deutsche Eislaufpaar Aljona Savchenko/Robin Szolkow wurde am Donnerstag in Los Angeles Weltmeister – mit einer Kür zur Filmmusik von “Schindlers Liste”. Dass sich Athleten aus ästhetischen Sportarten vom Holocaust inspirieren lassen, stellt kein Novum mehr dar.

Die Begeisterung für den deutschen WM-Titel im Paarlauf ist groß. Zur Melodie von “Schindlers Liste” gewannen Aljona Savchenko und Robin Szolkow am Donnerstag bei den Weltmeisterschaften in Los Angeles Gold. Schon im Januar waren sie mit der gleichen Kür in Helsinki Europameister geworden. Und das Lob der Deutschen Eislauf-Union klang damals schon so wie heute: “Die neue Kür zu ,Schindlers Liste’ war als Programm eine Augenweide. Dreifachsprünge, schwierigste Hebungen und Würfe, die Todesspirale und alle weiteren Elemente waren fließend in die Choreographie eingebettet, leidenschaftlich interpretiert.”

Savchenko und Szolkow sind nicht die ersten Sportler, die den Soundtrack des Films “Schindlers Liste”, komponiert von John Williams, verwenden. Bereits vor 15 Jahren, ein Jahr nach Erscheinen des Films von Steven Spielberg,  traten bei den Eiskunstlauf-WM zwei Sportler zur Melodie von “Schindlers Liste” an: der Amerikaner Paul Wylie und die Deutsche Katarina Witt.

Wylie trug in der Männerkonkurrenz ein graues Kostüm, das an die Lagerkluft von KZ-Häftlingen erinnerte, auf den Rücken hatte er hebräische Buchstaben gestickt, und in die Kür baute er einen Hitlergruß ein.

Katarina Witt wählte eine andere Sequenz des selben Musikstückes. Sie trug, wie jetzt auch Aljona Savchenko, ein rotes Kostüm, das an das Mädchen mit dem roten Kleid aus Spielbergs Film erinnerte.

Der amerikanische Psychologe Michael Rothberg hat sich mit der Verwendung des Holocaust-Themas in der Kultur und also auch in ästhetischen Sportarten beschäftigt. In seinem Buch “Traumatic Realism” analysiert er Witts Auftritt als “symbolisch aufgeladener” als den Wylies. Eine Besonderheit von Witt lag, so Rothberg, darin, dass sie der Spielberg’schen Figur des Mädchens im roten Kleid einen Bedeutungswandel gegeben habe: Sie sei nun eine, die den Holocaust überlebt habe, deren weiteres Leben glücklich verlief, und obendrein sei Witt bewusst als junge Deutsche aufgetreten.

Die Botschaft kam an. Einer der Moderatoren des amerikanischen Fernsehsenders NBC sprach damals ins Mikrofon: “Sie sagte mir, dass ihre Generation jünger und anders ist, aber dass sie nie den Holocaust vergessen darf. Diese Botschaft hat sie heute vorgetragen.” Jirina Ribbens, die für NBC als Eiskunstlaufexpertin arbeitet, erinnert sich: “Es gab ein leichtes Murren darüber, aber im Großen und Ganzen wurde ihre Kür gut aufgenommen.”

Schon Katarina Witt, geboren 1965 und aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt/DDR, repräsentierte eine jüngere deutsche Generation, die sich, ohne dass selbst schuldig zu sein, mit dem Holocaust beschäftigte. Die aktuellen deutschen Läufer erscheinen noch weniger mit der deutschen Vergangenheit verbunden: Aljona Savchenko wurde 1984 im ukrainischen Kiew geboren, seit 2003 lebt sie in Chemnitz, dem früheren Karl-Marx-Stadt. Robin Szolkow wurde 1979 in Greifswald geboren, sein Vater stammt aus Tansania.

Diskussionen, ob es angemessen und respektvoll ist, sich ausgerechnet mit einem Motiv aus dem Holocaust ins Getümmel um Medaillen, Werbeverträge und die Konkurrenz der Nationen zu stürzen, finden nicht statt. Schon, als sich Katarina Witt 1994 dem Thema näherte, blieb eine größere Debatte aus, zumindest in Deutschland. So wurde auch die Chance vertan, eine gesellschaftliche Verständigung darüber zu erreichen, was mit der Kür ausgedrückt werden sollte, was Sport in diesem Zusammenhang kann und was er darf.

“Obwohl es ganz offensichtlich gut gemeint war”, bilanziert der Psychologe Rothberg Witts WM-Kür, “so war der Symbolgehalt und die Botschaft ihres Auftritts doch im besten Fall mehrdeutig.”

Protest gegen eine sportliche Adaptation des Holocaust-Themas regte sich hingegen kurz vor den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta in einer anderen Sportart: Die französische Equipe im Synchronschwimmen wollte mit ihrer Choreographie die Ankunft jüdischer Frauen in den Vernichtungslagern, die Selektion durch Naziärzte an der Rampe und den Gang in die Gaskammern zeigen.

Das Team hatte die Kür schon bei etlichen Wettkämpfen gezeigt, als Musik war auch die Titelmelodie von “Schindlers Liste” ausgesucht worden. “Das ist taktlos und verweist auf einen ganz armseligen Geschmack”, urteilte Henri Hajdenberg, der Vorsitzende des Dachverbands der jüdischen Organisationen in Frankreich über die Kür. Die Sportler erwiderten, dass es eine künstlerische Verarbeitung des schwierigen Themas sei. “Der Holocaust berührt uns nun noch mehr”, sagte die Trainerin, Odile Petit, “unsere Botschaft ist ein Appell, Rassismus zu bekämpfen.”

In der internationalen Begeisterung über die Kür des deutschen Eislaufpaars Savchenko/Szolkow findet sich erstaunlicherweise keine Reflektion darüber, mit welchem Motiv Deutschland da Weltmeister wurde: mit dem Tanz eines Mädchens, für das die Nazis Auschwitz vorgesehen hatten. Ingo Steuer, Trainer des Goldpaares, fasst den Inhalt der Kür so zusammen: “Ein schwieriges Stück. Es geht um Zusammenhalt, Liebe und Sehnsucht.”

Andere Fassungen dieses Artikels erschienen bereits in der Jüdischen Allgemeinen und der taz.

Kommentare

Comments are closed.

blogoscoop