HIV, Doping und anderes

von Martin Krauss

In der heutigen FAS findet sich von Nils Minkmar ein kluger Text über den Fall einer 26-jährigen Sängerin, die mit HIV infiziert ist und, weil die Staatsanwaltschaft ihr vorwirft, beim ungeschützten Geschlechtsverkehr einen Mann infiziert zu haben, in Untersuchungshaft sitzt. In dem Text steht an keiner Stelle ein Sportbezug. Dennoch kommt jemandem, der sich für Sport interessiert, der Skandal, von dem er handelt sehr bekannt vor.

Der Text von Nils Minkmar über die in U-Haft einsitzende Girlband-Sängerin heißt Der Staatsanwalt in meinem Bett und beginnt so:

Am Dienstagnachmittag wurde ich von seriösen Medien unter Berufung auf eine deutsche Behörde über die schwere Erkrankung und das Sexualverhalten einer lebenden, mir persönlich nicht bekannten Frau unterrichtet, und zwar gegen deren Willen.

Das ist neu: Nie zuvor wurden in so kurzer Zeit derart intime Informationen aus mehreren, die Menschenwürde betreffenden Bereichen über eine öffentlich bekannte Person ohne deren Mitwirkung publik.

Der Fall wäre auch dann schlimm, wenn er, wie Minkmar vermutet, neu wäre. Aber er selbst gibt ein Stichwort, dass es Vorbilder gibt:

Doch die öffentliche Diskursmaschine läuft nach solchen Informationen, gedopt mit all den Bildern und befeuert von der Privatmeinung, die jeder und jede sich über gecastete Girlbands gebildet hat, sofort auf allerhöchsten Touren. Schlichte Erschütterung oder Sorge kann da nicht mehr reichen, es muss mit voller Power gemutmaßt, gefordert und vor allem geforscht werden.

Erst jüngst wurde in Österreich, mit Unterstützung des Gesundheits- sowie des Verteidigungs- und Sportministeriums, eine Kampagne der Boulevardzeitung Kurier initiiert, die sich „Der gläserne Sportler“ nennt. Sportler berichten, selbstverständlich freiwillig und nur von den genannten Ministerien, der Nationalen Antidoping-Agentur  (Nada) und der österreichischen Öffentlichkeit dazu, sagen wir: motiviert, über alle Schritte, die sie unternehmen, und sie stellen sämtliche ärztlichen Daten, Blutwerte et cetera ins Netz.

Privatsphäre, informationelle Selbstbestimmung oder schlicht Schamgefühl finden nicht statt.

In der aktuellen Auseinandersetzung zwischen dem Weltfußballverband Fifa und der Welt Anti-Doping-Agentur (Wada) sagte der deutsche Nada-Vorsitzende, Armin Baumert gegenüber dem ZDF (ich zitiere nach Bild – da muss man ja vorsichtig sein):

Wenn dort Türchen geöffnet werden sollen durch Begriffe wie Privatsphäre, Urlaub oder Regeneration, dann müssen wir sagen, dann ist dieser Anti-Dopingkampf nicht mehr glaubwürdig.

Begriffe wie Privatsphäre oder Urlaub!

Nils Minkmar schreibt im Falle der Girlband-Sängerin zu dem Umstand, dass die Öffentlichkeit von einer Staatsanwaltschaft über Infektion und Sexualverhalten einer jungen Frau informiert wurde:

Das Wissen, über das ich plötzlich und unerwartet verfügte, hätte ich aktiv nie erwerben können: Ein Journalist, der bei Ärzten anruft, um etwas über die Erkrankung einer bestimmten Patientin zu erfahren, ist ebenso seinen Job los, wie ein Arzt, der einen Journalisten anruft. Ausgesetzt wurde ich dieser informationellen Überdosis aber, wenn ich das richtig verstanden habe, zu meinem eigenen Schutz. Ui, ui, ui.

Auch hier gilt leider: Im Sport ist der Verlust dieser bürgerrechtlichen Selbstverständlichkeit schon eine Weile zu beklagen. Und dass er nun auch in weiteren Bereichen zu beklagen ist, dürfte damit zusammenhängen, dass er im Sport unter Beifall und Zugabe-Zugabe-Forderungen auch der linksliberalen Öffentlichkeit vollzogen wurde.

(Zu dem Thema findet sich in der nächsten Ausgabe der Jungle World, die am 23.4. erscheint, ein Text von Rolf-Günther Schulze und mir.)

Kommentare

2 Kommentare zu “HIV, Doping und anderes”

  1. Enno (welt-hertha-linke) am 04.20.09 08:07

    Sorry, das ist doch mal ein klarer Kategorie-Fehler. Äpfel und Birnen…

    Die Doping-Tests der Sportler sind nun mal nicht öffentlich zugänglich, es sei denn, sie sind positiv, was eben eine öffentlichkeitswirksame Sperre mit sich bringt. Dass aber Sportler im Urlaub oder im Privatleben kontrolliert werden, ist nicht-öffentlich und entzieht sich damit der Kritik die durch den HIV-Fall hier mit ins Spiel gebracht wird.

  2. Martin Krauss am 04.22.09 09:40

    Danke für die Kritik, aber mir scheint, der Unterschied ist weniger der zwischen Äpfel und Birnen, denn mehr der zwischen Elster- und Jona-Gold-Äpfeln – ein gradueller halt: Die Ergebnisse von Dopingtests werden der Öffentlichkeit mitgeteilt, mittlerweile schon die der A-Probe, was früher undenkbar war.
    Der Hinweis, “es sei denn, sie sind positiv”, trifft auf die No-Angeles-Sängerin auch zu: Ein negativer Aids-Test ist bei einer Musikerin so wenig eine Meldung wie ein negativer Dopingtest eines Sportlers
    Und dass die Kontrollen im Privatleben “nicht öffentlich” seien, stimmt ja auch nicht: es gibt, wenn ein Nada-Kontrolleur vor dir steht und verlangt, dass du urinierst, während er freien Blick auf dein Geschlechtsteil hat, keine Privatheit.

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