Mit Jürgen Klinsmann geht der kosmopolitische Charme des liberalen Fußballverständnisses, mit Heynckes kommt der öde konventionelle Sachverstand.

Der Appell während angespannter Krisenzeiten an die vermeintliche Stärke eines Kollektivs, das nur zusammen bestehen kann, der Rückgriff auf altbewährte, höchst unsympathische Tugenden und die Brandmarkung derjenigen, die mit der Krise personifiziert werden, bekommen immer dann Konjunktur, wenn Gefahr im Verzuge scheint.
Mit der Entlassung Jürgen Klinsmanns beim FC Bayern München und mit der Verpflichtung von Jupp Heynckes bestätigt der FC Bayern den gesellschaftlichen Rückschritt nun auch auf fußballerischer Ebene. Man regrediert mit der Verpflichtung von Heynckes noch hinter die Erkenntnis, dass Fußball durchaus auch etwas mit Modernisierung, individueller Klasse und Leichtigkeit zu tun haben kann und hält vielmehr an traditionellen, konservativen Tugenden fest, für die Heynckes und dessen neuer Co-Trainer Hermann Gerland schon immer standen.

Sicher: man mag auch zu Jürgen Klinsmann stehen, wie man will. Die verbale Liebäugelei mit nationalen Befindlichkeiten des damaligen Bundestrainers während der WM 2006, dokumentiert unter anderem in der nationalen Selbstbeweihräucherungspersiflage namens “Sommermärchen”, war nicht schön, aber doch distanziert vom Großteil der schwarz-rot-geilen Masse, die während der Jubelwochen zur WM sich der nationalen Zwangskollektivierung nur allzu freiwillig hingab und immer auf Abstand zum Bundestrainer ging.
Jürgen Klinsmann ist eine Persönlichkeit, die als Spieler nie als malochender Nationalheld aufgefallen ist, sondern für einen gewissen kosmopolitischen Charme, auch und vor allem als Trainer, stand.
Amerikanische Fitnessverantwortliche und gänzlich undeutsche Trainingsmethoden, die sich der individuellen Verbesserung der jeweiligen Spieler verpflichtet sahen, waren Klinsmanns Fußballphilosophie. Er sah sich einer Art von liberalem Fußballverständnis verpflichtet, dem man im deutschen Fußballspektakel immer schon skeptisch begegnete. Die Kritik an all dem Neuen, Unbekannten, Anderen begleitete den gebürtigen Schwaben auch seit seinem Amtsantritt als Bayern-Trainer – und die Melange aus biederen Vereinsverantwortlichen und eingefahrenen Clubstrukturen, sowie einer vom Erfolg verwöhnten Mannschaft und Öffentlichkeit verurteilten das Projekt Klinsmann von vorne herein zum Scheitern. Es schien von Anfang an erkenntlich zu sein: richtig warm war man mit Klinsmann noch nie bei den Bayern.

Dementsprechend muss einmal objektiv betrachtet werden: fünf Spieltage vor Schluss stehen die Bayern drei Punkte hinter dem Spitzenreiter aus Wolfsburg. Anstatt die Saison ordentlich zu Ende zu spielen und langfristig mit Klinsmann und damit einem durchaus einleuchtenden Konzept zu planen, wirft man den eigentlich gar nicht mal so erfolglosen Trainer über Bord und zeigt mit der Interimsverpflichtung, wofür man bei den Bayern wohl gerne auch zukünftig stehen will: statt der Perspektive auf modernen und attraktiven Fußball, den Klinsmann versprach, für den man bei den Bayern aber viel zu viel verknöcherte Strukturen aufbrechen und einige Spieler hätte aussortieren lassen müssen, holt sich der Rekordmeister einen alten Haudegen nach München: Jupp Heynckes ist für seinen öden und konventionellen Fußballverstand bekannt.

Und mit ihm werden wieder die also unsympathischen Borniertheiten des unbedingten Willens und des kollektiven Malochens in das bayerische Kartenhaus Einzug halten – in der Hoffnung, dass mit jenen deutschen Tugenden, die Krise noch aufgehalten und der Einsturz verhindert werden kann. Ob das gelingt sei einmal dahin gestellt. Besser anzusehen, als das was Klinsmann hat spielen lassen, wird das aber in keinem Falle sein

Kommentare

2 Kommentare zu “Gesellschaftlicher Rückschritt auf fußballerischer Ebene”

  1. markusmaria am 04.27.09 18:00

    Der letzte Satz ist doch hoffentlich nicht dein Ernst, falls doch hast du dir wahrscheinlich in letzter Zeit kein Bayernspiel in voller Länge angesehen. Außerdem sollte man die 5-Spiele-Lösung Heynckes/Gerland auch nicht überbewerten. Immerhin führt sie dazu, dass Scholl die 2. Mannschaft trainiert.

  2. julius am 04.29.09 16:48

    besonders stark war die sasion nun wirklich nicht. gegen wolfsb. und bremen jeweils 5 tore kassiert, gegen bochum zuhause nur 3:3 und gegen köln sogar verloren. das ist für den FCB nunmal außergewöhnlich.
    darüber hinaus in beiden pokalwettbewerben ausgeschieden.

    obschon natürlich auch einige starke leistungen dabei waren ist das nunmal zu wenig um die erwartungen zu befriedigen, die wegen der leistungen der letzten jahren, bei FCB nunmal vorhanden sind.

    den rausschmiss Klinsmanns also mit einem rückschritt in sachen Fußballphilosophie zu erklären, ist daher doch etwas übertrieben, wie ich finde.
    im fußball ist nunal selten zeit für langfristig angelegte projekte.

    glücklicherweise ist die art trainier, die heynckes repräsentiert ja auch eher am aussterben.
    ragnick, klopp und schaaf z.b. lassen ja nun wirklich anderen fußball spielen und sind modernen trainingsmethoden gegenüber nun wirklich nicht unaufgeschlossen.

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