In der DDR ein erfolgreicher Sportler zu sein bedeutete Rundum-Überwachung durch die Stasi. Dass sich ein gefeierter Star in den Westen absetzte musste schließlich mit allen Mitteln verhindert werden.
Wie im Fall des DDR-Handballstar Wolfgang Böhme. Aufgrund seines Lebenswandels als Sicherheitsrisiko eingestuft, wurde nicht nur aus der Nationalmannschaft verbannt, sondern zur Nichtperson – die heute kaum noch jemand kennt. Ein Buch erzählt jetzt sein Leben.

[aartikel]3895336041:left[/aartikel]Ihre Sportler zu erkennen, war damals, als es die DDR noch gab, ganz einfach. Nicht nur, weil sie immer in ganz besonders scheußliche Sport- und Trainingskleidung gesteckt wurden, deren billiger Synthetiklook selbst den Fernsehzuschauern unweigerlich den Geruch alten Schweißes in die Nase trieb, nein, DDR-Sportler erkannte man auch daran, wie sie dastanden. Sogar wenn sie vom Siegertreppchen winkten, wirkten sie seltsam gehemmt. Stocksteif nahmen sie die Gratulationen entgegen, guckten den anderen Platzierten, so sie nicht aus dem befreundeten sozialistischen Ausland kamen, schüchtern-verkniffen beim Jubeln zu und gaben anschließend den Westreportern Interviews, die an Unpersönlichkeit nicht zu überbieten waren.

Umfassend ruinierte Leben

Heute steht fest: Viele der DDR-Sportler vermieden es, persönliche Reaktionen zu zeigen, weil sie Angst hatten, dass eine Bemerkung oder Umarmung, falsch ausgelegt, ihr Leben ruinieren könnte. Wie schnell das gehen konnte, erzählt das gerade erschienene Buch »Böhme – Eine deutsch-deutsche Handballgeschichte« von Erik Eggers, in dem es um die Geschichte des DDR-Handballstars Wolfgang Böhme geht, der wegen ein paar Westmark Fuffzich nicht nur aus dem Auswahlkader geworfen, sondern aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernt wurde.

Hass, Hass, Hass

In den siebziger Jahren war der Spieler des SC Empor Rostock einer der beliebtesten Sportler der DDR, damals gehörten die Handballer sowohl der DDR als auch der BRD zur Weltspitze. Entsprechend oft begegnete man sich bei internationalen Begegnungen, sehr zum Unbehagen der SED-Funktionäre. Erik Eggers zitiert aus einem »Beschluss der Westkommission beim Polit­büro des ZK der SED«, der vor den Olympischen Spielen von München gefasst wurde. »Sie (die Sportler der BRD) sind, ob bewusst oder unbewusst, unsere Feinde, unsere Klassengegner. Mit ihnen kann es keine Freundschaft, keine Gespräche, keinerlei Kontakt geben. (…) Unser Kampf ist so hart, dass er mit voller Konsequenz in der Abgrenzung, mit Hass gegen den Imperialismus und seine Abgesandten, auch gegen die Sportler der BRD, geführt werden muss.« Der Handballverband der DDR beauftragte die Spieler entsprechend in Vorbereitung auf München, »in unerbittlichem Hass« dem »westdeutschen Imperialismus im eigenen Land nicht nur sportlich, sondern auch politisch eine deutliche Niederlage beizubringen«.

Deutliche Drohungen

Die Anweisungen an die Mitglieder der DDR-Olympiamannschaft waren entsprechend deutlich, und die Funktionäre machten außerdem unmissverständlich klar, dass die Sportler überwacht werden würden und sich jegliche Fluchtgedanken aus dem Kopf schlagen könnten. »Wir sind in der Lage, euch noch im Sarg nach Hause zu tragen«, wurde den in der Sporthochschule Kienbaum versammelten Mitgliedern des Kaders mitgeteilt. Elf Jahre später starb der 1979 in den Westen geflüchtete Fußballer Lutz Eigendorf, bis dahin bei Erich Mielkes Lieblingsclub BFC Dynamo aktiv, bei einem Verkehrsunfall, der von der Stasi als Mord­anschlag geplant worden war.

Überwachungslücken

Die Angst, dass einer der »Diplomaten im Trainingsanzug« in der Bundesrepublik bleiben könnte, war groß, denn die Wirkung auf die DDR-Bevölkerung, die sehr wohl um die Privilegien ihrer Athleten wusste, wäre verheerend gewesen. Entsprechend wurden die Sportler bei ihren Reisen von der Stasi überwacht, von Kontakten zu Westdeutschen hielt sie das jedoch nicht ab. 1976 beispielsweise feierten einige DDR- und BRD-Handballer nach einem Spiel in Magdeburg gemeinsam im Hotelzimmer.

Ein Handballer wird aussortiert

Drei Monate vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Moskau 1980 wurde Wolfgang Böhme plötzlich aus dem Handballteam geworfen. Das für Spitzensportler obligatorische, weil lebenswichtige Abtrainieren erfolgte zwar noch unter Anleitung der Mannschaftsärzte, vom Team und seinem Verein insgesamt wurde Böhme allerdings ferngehalten. Und nicht nur das: Die Meldung in einem Fachblatt, wonach er bei der Wahl zum DDR-Handballer des Jahres Zweiter geworden war, war das letzte Mal, dass sein Name öffentlich erwähnt wurde, die Nachricht war zum Zeitpunkt seiner Demissionierung schon im Druck gewesen. Bei der feierlichen Ehrung wurde Böhmes zweiter Platz übergangen. Wie sich Redakteure des Deutschen Sportechos auf Nachfrage von Erik Eggers erinnern, wurden zumindest in ihrem Archiv alle Fotos, auf denen der ehemalige Nationalspieler abgebildet war, aussortiert.

Ausgespähtes Privatleben

Wolfgang Böhme führte das, was heute eine Promi-Ehe genannt wird. Seine Ehefrau war eine bekannte und sehr erfolgreiche Rennrodlerin, über die Hochzeit der beiden war sogar in den an Klatschspalten nicht eben reichen DDR-Medien ausgiebig berichtet worden.
Als Böhme sich dann allerdings in eine andere Frau verliebte und sich scheiden lassen wollte, begannen die Funktionäre in ihm ein Sicherheits­risiko zu sehen. In der vermufften Logik der SED-Kader war eine Ehe die beste Garantie dafür, dass ein DDR-Bürger Auslandsreisen nicht zur Flucht nutzte, während die Liebe zu einer Frau, mit der man ohne Trauschein zusammenlebte, das Risiko der Republikflucht anscheinend steigerte. Die Stasi erfuhr von der kriselnden Ehe, nachdem einer ihrer Zuträger berichtet hatte, dass Böhme einen »Westkontakt« nicht gemeldet hatte. Die DDR-Spieler wurden im Ausland nachgerade gewohnheitsmäßig von BRD-Vereinen angesprochen, die ihnen viel Geld boten, wenn sie im Westen bleiben und fortan für sie spielen würden. Beinahe schon routinemäßig berichteten die Handballer ihren Funktionären von diesen Abwerbeversuchen, durch eine Verkettung von Zufällen hatte Böhme dies aber in einem Fall einfach vergessen.
Er kehrte mit seinen Mannschaftskollegen in die DDR zurück, doch die Stasi machte das nicht weniger misstrauisch. Böhme wurde fortan bespitzelt, und durch die Überwachung seines Briefverkehrs wussten die Geheimdienstleute rasch über die Ehekrise Bescheid.

Stolperfalle Stereoanlage

Die »Ausdelegierung«, wie es im DDR-Sprachgebrauch hieß, erfolgte schließlich, weil Böhme von einem westdeutschen Fan Geld angenommen und dafür eine Stereoanlage gekauft und in die DDR geschmuggelt hatte. Dass DDR-Sportler von ihren Ausflügen in den Westen regelmäßig Souvenirs mitbrachten, war ebenfalls ein offenes Geheimnis. Ein großes Risiko gingen sie dabei nicht ein, denn die Grenzer verzichteten meistens darauf, ihre Koffer und Taschen bei der Wiedereinreise auf mitgebrachte verbotene Waren zu kontrollieren. Hätten sie es getan, dann wären nicht nur die Sportler, sondern auch die Funktionäre und vermutlich sogar die mitreisenden Stasispitzel verhaftet worden, denn alle besorgten sich Unterhaltungselektronik wie Plattenspieler und Kassettenrekorder im Westen.
Der Stasi war aber mittlerweile wohl jeder Vorwand recht, Böhme loszuwerden. 1989 wurde dem Handballer endlich die Ausreise erlaubt, er zog in die Schweiz, wo er bis heute lebt.

Stasi, Doping und Angst

Wie umfassend es der Stasi gelungen ist, seinen Namen auszuradieren, zeigt wohl am besten, dass erst ein Journalist aus dem Westen auf die Idee kommen musste, die Lebensgeschichte des Sportlers, über den es bis heute nicht einmal einen Eintrag bei Wikipedia gibt, zu recherchieren und aufzuschreiben. In Zeiten, in denen die DDR besonders von Ostdeutschen als eine Art Paradies gesehen wird, für dessen überlegene Gesellschaftsform unter anderem die sportlichen Erfolge und der Medaillenspiegel im Neuen Deutschland als Beleg gesehen werden, ist das Buch »Böhme« ganz besonders wichtig, denn es zeigt, wie diese vielen Medaillen überhaupt gewonnen werden konnten: Mit Doping – Böhme erhielt seit seinem 19. Lebensjahr Anabolika und schrieb darüber damals auch in seinen Tagebüchern. Die lückenlose, Angst machende Bespitzelung verhinderte allerdings jedwede öffentliche persönliche Regung oder Freude über all diese schönen Medaillen.

Erik Eggers: Böhme. Eine deutsch-deutsche Handball-Geschichte. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2008, 263 Seiten, 18,90 Euro

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