Es war eine schön schreckliche Tradition, das schlechte Lied zur Weltmeisterschaft, schief gesungen durch die Spieler, angeleitet und wenigstens handwerklich angemessen übertönt durch eine Sangesgrösse der Zeit… oder wenigstens irgendeiner Zeit. Udo Jürgens durfte sogar zweimal ran, Hurra, “wir sind schon auf dem Brenner … Spiele am Strand, schöne Mädchen zur Hand” so ungefähr auf dem Niveau eben.

Nie war dies so abscheulich wie 1978, als Herr Jürgens als Hymne aufs Land, das einem Folterkeller glich, “Buenos Dias Argentinia” textete.
In Sichtweite des Stadions wurde gefoltert, daß das Grauen kaum adäquat zu schildern ist, die Militärjunta übte sich in exzessiver Menschenverachtung und zusätzlichem Hohn für die geschundenen Opfer, als diese mit ihren Peinigern auch noch die Spiele ansehen sollten und mit dem Auto mitten unter die Feiernden gekarrt wurden.

Die “Schmach von Cordoba” verblasst jedenfalls zur Unsichtbarkeit vor der Schmach der Welt und der FIFA beim miesen Spiel des Videla-Regimes mitgespielt zu haben.

Udo Jürgens schwiemelte gefühlig dazu:
“Buenos Dias Argentina!
Guten Tag, du fremdes Land!
Buenos Dias Argentina!
Komm, wir reichen uns die Hand!
Buenos Dias Argentina!
So heißt meine Melodie!
Und sie soll uns zwei verbinden,
mit dem Band der Harmonie.”

1982 hatte man in Spanien die Franco Diktatur knapp verpasst, das Land hatte just den Übergang zur Demokratie, die Transicion incl. Putschversuch 1981 gemeistert, Argentinien und England schafften es gerade pünktlich zum Beginn des Turnieres ihren Krieg um die Falklandinseln zu beenden und insgesamt lag die Militärdiktatur bei den südamerikanischen Teilnehmerländern Ende der der 70er, Anfang der 80er Jahren im Trend.

Im obligatorischen Weltmeistersschaftsgesangssampler herrschte wie üblich “Heile Welt”.

Die Erinnerung ist neblig, als Kind war man bisweilen toleranter, kritikloser oder auch einfach nur schmerzfreier. Die Peinlichkeit wurde immerhin von Breitner, Rummenige und Kollegen im Hintergrund begleitet und stimmlich getragen von Michael Schanze, der sich bei uns schon auf den Gebieten Ploppen und Stoppen Vertrauen erworben hatte.
Wenn man die Kassette heute so sieht, dann fühlt man doch eher die Jahrhundertfloskel des Dahingehens wo es weh tut.

Wir beginnen mal mit dem Versuch, die Nationalspieler auf dem Cover im roten Retro zu identifizieren. Herr Schanze darf als der Künstler im Bild natürlich einen eigenwillig legeren gelben Pullover tragen.

Also bitte, loslegen und anschliessend ankreuzen:

a) Singt Erich Ribbeck eigentlich objektiv subjektiv oder doch eher subjektiv objektiv?
b) Ich habe sogar Wolfgang Borchert erkannt!
c) War der nicht Schriftsteller?
d) Der hiess in Wirklichkeit gar nicht Wolfgang, sondern Ronald und auch nicht Borchert, sondern Borchers aber daneben steht Wolfgang Dremmler!
e) …den kenn`ich auch nicht!

Eine Recherche ergab, daß Ronald “Ronny” Borchers dann beim WM-Aufgebot nicht dabei war, wie schrecklich, mitsingen zu müssen und doch nicht mitfahren zu dürfen…schuldlos in der Vorhölle oder draussen vor der Tür quasi. Da schliesst sich der Kreis und erklärt sich der freudsche Verschreiber.

Ausserdem stutzen wir: “2.50 Mark für den DFB”
Was bedeutete dieser Hinweis: “Parental Advisory – Sie unterstützen eine zwielichtige Organisation”?

Ich denke, der Selbstversuch sollte morgens auf dem Weg zur Arbeit stattfinden, da ist man noch entspannt, unbelastet, man belästigt niemanden und man kann selbst aus dem eigenen Auto nicht weglaufen. Ich mache mich in jedem Fall auf, eine Kindheitserinnerung wieder zu entdecken, ich freu mich…

1.Tag:
“Ole Espana”, ah ja, naja, wohl eine Einstimmung auf das Gastgeberland, jedenfalls wie der Deutsche sich das so vorstellt. Kein Fußball im Text weit und breit. Das Teil  handelt von Frauen und Strand und Sonne und so.
Señoritas “…und heißen Nächten voll Zährtlichkeit” oder Mamacitas “Grey turns to blue in a bed of the end of the world” es ist immer noch derselbe zeitlose Textsumpf.
“Highland Oh Highland”, Lena Valeitis betritt die Szenerie, ein Schäfer am Lagerfeuer, Nebel, die Sterne, es wird nicht ganz klar, ist es Weihnachten oder WM, jedenfalls kein Fußball zu sehen, nicht mal im Fernsehen, auf der Weide ist der Empfang schlecht.
“Samba Do Futbol”, ah jetzt aber, es wird brasilianisch, Fußball spielende Kinder in den Straßen von Rio, das ganze ist doof und schlecht aber seien wir ehrlich, hätte es Ricky Martin gesungen würds schon irgendwer gekauft haben. Ich spüre erste Abstossungsreaktionen des Körpers, ich möchte jetzt doch lieber Radio hören, naja Lady Gaga ist auch scheisse, dann eben vorspulen, nein, da mußt Du jetzt durch, Du hast den Gang ins Land des Schmerzes großmäulig angekündigt
“Buda Gegen Pest”, oha, die Geigen der Puszta, überhaupt es schringelt und plingelt, es flötet und trötet, daß es auch einfach die sämtlichen voreingespeicherten Melodien (in Klammern: Länderthemen) der Bontempi Heimorgel sein könnten und jemand hat drüber gereimt. Dabei wird kein billiges Cliché ausgelassen, keiner der bekannten Alltagsrassismen. Naja, und der Ungar, der geigt halt, säuft Tokaya und Michael Schanze gibt dazu den Bela Lugosi und ist dabei auf Anhieb gruseliger, als es das Vorbild je war.

Jetzt doch mal an einer roten Ampel einen Blick auf die Hülle geworfen. Der erklärt schon vieles, hinter jedem der Titel steht “R.Siegel”. Das steht doch für Qualität, also für eine Qualität.
“Peru”, und jetzt fängt es wirklich an weh zu tun, “Peru, Peru, die Götter sah`n ihm zu“, warum sie ihm nicht zuhörten ist mir klar… und Panflöten, wir erinnern uns, waren in den 80ern ja schliesslich leider noch nicht verboten sogar Pflicht im Schlager, der von Südamerika handelte oder auch irgendeinem anderen Kontinent. Die Panflöte war überall zuhause.

Immerhin, langsam komme ich dahinter, anscheinend behandelt jedes Lied ein anderes WM-Teilnehmerland.
Nur wie werden sie 24 Teilnehmerländer in 16 Liedern schaffen, ich bin gespannt, morgen gehts weiter…ich freu mich…denk ich.

2.Tag:
Habe zuhause schon einmal das Ploppen geübt, bin merkwürdig angesehen worden, zweifele, ob das wirklich funktioniert. Es ist wie der Gedanke im abstürzenden Aufzug kurz vorm Aufschlag immerhin noch hochzuspringen: Blödsinn! Habe es heute nicht so eilig mit dem Wegfahren, vielleicht noch nen Tee…oder Rasenmähen…

Das mit dem Test im Auto war eine gute Wahl, der Mensch ist ja so schwach!

Die Kassette lauert im Schacht, es ist heiss, trotzdem bleibt das Fenster zu, Dinge mögen wehtun, müssen aber nicht auch noch peinlich sein.
“Fußball-Walzer”, nur der reale deutsch-österreichische Beitrag bei der WM war schlimmer. Das Lied für Österreich, warum hat niemand das schlechte Omen verstanden?  Und weil sich Ralph Siegel sowieso nur so durchschüttelreimt überkommt einen eigentlich permanent der Wunsch zum Selbermachen.

humtahumta ” … Fußballwalzer erklingt, … der Wahnsinn singt … das Spiel das stinkt” tääterää

Weiter, “Old England”, Du hast den Fußball erfunden und so. Ein Blick auf Wikipedia genügt:”Der Strafstoß wurde 1891 in Irland erfunden.” AHA, den also nicht, hätten wir uns denken können!
“Doswidana Moskau”, “Dooswiiidaaaaniaaaa Moohooskauu, laß uns Freunde sein…” So stellt sich Ralph Siegel Völkerverständigung vor, hinfahren Frau sehen, da mit rummachen, wieder abhauen, Atomkrieg verhindert!
“Football Forever”, “FOOOOOTBALL FORÄÄÄÄÄÄVER!” hm hymnisch “ALLE  VÖLKER SIND VEREINT” Wie hübsch, eine gebrüllte Botschaft “VIELE FAHNEN, VIELE RASSEN SIND ZU GAST” PLOPP PLOPP PLOPP!
“Guten Morgen, Morgenland”, alles, was in der Nachbarschaft einer Wüste steht und wo morgens die Sonne aufgeht wird in einer fußballfernen billigen Sindbadphantasie durchgenommen und abgehakt.
“Rasnici Und Slivovic”, das wird jetzt sogar mir schlecht, ich habe sämtliche 10 Friday,  the 13th Filme in 5 Tagen gesehen incl. jeden debilen Dialoges, ich habe Rocky 1-4 durchgestanden und noch drüber geschrieben, ich habe das FDP-Wahlprogramm gelesen, aber das hier ist eine ganz andere Liga.
Im Büro angekommen bemerkt man die erstaunliche Gelassenheit gegenüber den kleineren Katastrophen des Arbeitsalltages: “Seid froh, daß Ihr das Leben habt …!” und kein Olé Espana im Auto.
Für morgen sind noch ein paar Lieder übrig…ich freu mich…ein bißchen.

3.Tag:
Ich beschliesse, am dritten Tag muß spulen erlaubt sein und gehe mit neuem Mut in die letzte Etappe.
Überhaupt würde es dem Radsport vielleicht gut tun und das Doping überflüssig machen wenn bei der Tour der Besenwagen hinter dem Feld herführe und es per Megaphon mit deutschen Schlagern der 60er und 70er beschallte. Niemand bliebe zurück.

play “Tamma-Ta-Tamara Tamma-Ta” spul “Ta-Tamma Ra” spul “Ra-MA” spul

“Tango Argentino”, aha, doch nochmal Argentinien, sind ja immerhin Weltmeister, wahrscheinlich war Geld im Spiel, die Forschung ist noch nicht abgeschlossen. Schanze plärrt was über tanzende Esel, ich denke an singende, und Sonnenuntergang, ich weiß noch, wie ich Schwierigkeiten hatte 1982  Sinn und Hintergrund des Falklandkrieges zu verstehen. Das Gefühl ist in diesem Moment ein ähnliches, Schanze und die Granaten singen von…ach, hilft ja nichts spul
“Avanti Avanti”, ein  Lied daß von einem kleinen Italiener handelt, der nicht Fußballspielen kann und nicht darf und dann doch immer das Tor trifft…sie an, der Luca, die Valeitis, der Toni, der Gilb!
“Kinder Kinder Kinder” klebt!
“Adios Espana”, ja tschüss, jemand phantasiert was von einem schweren Abschied, kann ich so nicht nachvollziehen “adios amigos good bye” warum man den spanischen amigos auf englisch good bye sagt, es reimt sich halt leichter mit englischen Sprachfetzen.

Die ganze schlichte Einfalt des siegelschen Universums bläst zum letzten Fanal, die Kassette klackt und stoppt und das wird sie sicher für die nächsten 27 Jahre zum letzten Mal getan haben.

Wir fassen zusammen:
Es gibt viel olé ola, von den 16 Liedern drehen sich ca. 27 ums Saufen und Frauen, die alle dunkelhäutig, langbeinig und glutäugig sowie auch willig sind. 3 haben so ungefähr irgendwas mit Fußball zu tun und einer handelt von etwas, was ich auch nach Zurückspulen und wiederholtem Hören beim besten Willen nicht sagen kann, von einem bekloppten Mantra namens Tamma-Ra-Tamara und vergeigter Beziehung, so in etwa, zwingen Sie mich bitte nicht, noch einmal nachzusehen.

Von den Spielern hört man vielleicht glücklicherweise nichts bis auf das, was ein Toningenieur im Hintergrund aus den singenden Scheiteln herausdestilliert hat.
Es ist vorbei, ich freu mich…

Die Betreiber der Asse sprachen, wenn sie die Fässer einfach nur noch so reinschmissen vom Einbringen des Lagergutes in “Versturztechnik”…in meinem Handschuhfach herrschen ähnliche Zustände.

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