Oct
25
Im Stadion hatte das Publikum kaum zu Ende gepfiffen, da legte auch schon die Politik los.
Wie die geforderten Spielabbrüche logistisch zu bewerkstelligen sein könnten, interessierte dabei nicht – überlegt wurde statt dessen, wie man Einwanderer möglichst von Nationalspielen fernhalten und damit ein “gesundes Publikum” garantieren könne.
Teil Zwei der Serie über das Verbot, die französische Nationalhymne auszupfeifen.
Unmittelbare Reaktionen auf die Pfiffe
Neu war aber, dass dieses Mal „die Politik“ sofort die Initiative übernahm und sich auf die Ereignisse stürzte.
Noch in der Nacht, unmittelbar nach dem Abpfiff des Spiels am vorletzten Dienstag Abend, wetteiferten Politiker der konservativen Regierungspartei UMP und der französischen Sozialdemokratie miteinander darum, wer zuerst sein Pressekommuniqué auswarf und sich demonstrativ empörte.
Am Mittwoch früh dann meldete sich der Premierminister, François Fillon, zu Wort: In einem Interview auf RTL bedauerte er, dass der Fußballverband FFF „die Begegnung nicht abgebrochen“ habe. Ihm gab der Sprecher der Sozialistischen Partei für Sicherheitsfragen, Julien Dray, ausdrücklich Recht: „Es braucht eine Sanktion für das, was passiert ist.“
Nur die KP-Chefin Marie-George Buffet, selbst frühere Sportministerin (1997 bis 2002) und Zuschauerin des Spiels Frankreich-Tunesien, versuchte die Gemüter zu beruhigen: „Wenn man einmal gesagt hat, dass dies skandalös sei, hat man noch überhaupt nichts geregelt.“ Es gelte vielmehr, „sich zu fragen, warum diese Leute sich bei uns nicht wohl zu Hause fühlen“, und offiziell zur Kenntnis zu nehmen, „dass die französische Nation heute aus Menschen verschiedener Kultur und unterschiedlicher Herkunft besteht“.
Sarkozy greift ein
Am selben Vormittag, wenige Stunden nachdem der letzte Spieler den Rasen verlassen hatte, bestellte Präsident Nicolas Sarkozy persönlich den Chef des Fußballverbands FFF – Jean-Marie Escalettes – in den Elyséepalast ein.
An dem „von oben“ angeordneten Treffen nahm auch die Ministerin für Jugend, Gesundheit und Sport, Roselyne Bachelot, teil. Aus diesem Anlass wurde dem Verbandsfunktionär durch die obersten Repräsentanten des Staates verordnet, künftig müsse jedes Spiel sofort abgebrochen werden, falls „Symbole der Nation“ wie die Hymne beleidigt würden.
Praktische Probleme der Hymnenverordnung
Der FFF-Vorsitzende wandte zaghaft ein, dies könne einige praktische Problemchen mit sich bringen. Etwa die Frage, wie man Zehntausende Menschen gegen ihren Willen in Kürze aus dem Stadion hinaus befördern kann, woraus offene „Sicherheitsfragen“ resultieren könnten. (Und was, wenn die Leute das Stadion zerlegen wollen?) Oder auch die Frage danach, ob und wie die Tickets zurückzubezahlen seien. Allen Zuschauern, oder nur den Nicht-Störern, in welcher Höhe…? Und was wird aus dem Spielergebnis, wird es für die Tabelle gezählt, etwa mit Null zu Null?
Escalettes selbst steht der Aufforderung zum Abbruch eines Spieles im Falle einer „Störung“ der Nationalhymne – in seinen Worten „eine aggressive Antwort auf ein aggressives und nicht hinnehmbares Verhalten“ – kritisch gegenüber.
Aber er musste die Anordnung zur Kenntnis nehmen. Auf seine Fragen hin antwortete ihm Sarkozy: „Der Staat übernimmt die Verantwortung.“ (L’Etat assumera.)
Verfahren gegen pfeifende Störer
Am Abend desselben Tages wurde ferner bekannt, dass die Staatsanwaltschaft der Bezirkshauptstadt Bobigny ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet habe, um die „Schuldigen“ festzustellen. Seit einem Gesetz von 2003, das unter Sarkozy als Innenminister verabschiedet worden ist, aber bisher in der Praxis noch nie Anwendung fand, stehen auf die „gemeinschaftlich begangene Schändung von Nationalsymbolen“ als Höchststrafe sechs Monate Haft und/oder eine saftige Geldbuße in Höhe von 7.500 Euro. Bisher wurden allerdings noch keine „Störer“ identifiziert.
Gesundes Publikum…
Der für Sport zuständige Staatssekretär in Bachelots Multiministerium, Bernard Laporte, früherer Trainer der französischen Rugbymannschaft, verbreitete unterdessen in den Medien seine eigenen Ideen. „Wir haben keine Lust mehr, das zu erleben. Keine Spiele mehr gegen Algerien, Marokko, Tunesien im Stade de France. So wird dieses Publikum seiner Mannschaft beraubt sein.“ Das klang schon sehr nach Kollektivstrafe und Sippenhaftung.
Die Presse würde im Folgenden vor allem berichten, was Laporte stattdessen vorschlug und zu kurzzeitigem heftigem Streit in der Politik führte: „Spiele bei ihnen zu Hause, oder in der Provinz, in kleineren Stadien.“ In der Berichterstattung weitgehend unter gingen freilich die Worte, die der Staatssekretär hinzugefügt hatte und die den eigentlichen Anlass für Polemik mit der Opposition bildeten: „Wenn solch ein Match in Carcassonne oder Biarritz stattfindet, dann werden die 30.000 Tunesier aus dem Raum Paris das Spiel nicht sehen. Dann haben wir ein gesundes Publikum (un public sain).“
Der jungsozialistische Politiker Razzye Hamadi, der seinerseits die Pfiffe verurteilt hatte – aber auch darauf hinwies, dass „die Republik ihre Versprechen“ gegenüber den Einwanderern und ihren Nachfahren „nicht gehalten“ habe, und Frankreichs Kolonialvergangenheit im Maghreb sowie alltägliche Diskriminierungen ansprach – warf Laporte daraufhin eine „rassistische und xenophobe“ Reaktion vor. Worauf der Parteisprecher der UMP, Frédéric Laporte, mit dem Vorwurf antwortete, die Opposition mache dem Staatssekretär für Sport „einen Hexenprozess“.
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