Nach einem tödlichen Streit setzen nationalistische Hooligans die russische Judikative unter Druck.

Egal, ob mit oder ohne sportlichem Hintergrund – Kämpfe gehören in Russland zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Der dreifache Weltmeister im „Kampf ohne Regeln“, Rasul Mirzajew. machte Mitte August vor einem Moskauer Club nur ein einziges Mal von seiner Faust Gebrauch – allerdings mit tödlichen Folgen.

Mirzajew hatte den Abend in weiblicher Begleitung verbracht. Was genau dem Hieb mit der Linken voranging, ist unklar, denn es existieren unterschiedliche Zeugenaussagen. Eine Version lautet so: Die Frau erhielt von dem 19jährigen Studenten und Polizeianwärter Iwan Agafonow das Angebot, eine Runde mit dessen ferngesteuertem Spielzeugauto zu drehen. Sie selbst sagt, Agafonow habe versucht, sie anzumachen. Für die männliche Psyche des Sambo-Kämpfers Mirzajew war die Annäherung jedenfalls zum Affront. Schießlich sei seine Freundin keine Prostituierte, erklärte er später. Die folgende kurze Auseinandersetzung endete mit dem erwähnten kräftigen Faustschlag, der den Kiefer des Studenten traf. Iwan Agafonow fiel sofort zu Boden, schlug mit dem Kopf auf und erlag einige Tage später im Krankenhaus seinen durch den Aufprall entstandenen Verletzungen.

Die eigentliche Tragik der Geschichte liegt darin, dass derartige Szenen – mit oder ohne tödlichem Ausgang – beileibe keine Ausnahme darstellen, sondern aus dem russischen Alltag nicht wegzudenken sind. Gewaltanwendung bildet einen festen Bestandteil allgemein verbreiteter Verhaltensnormen. Das Recht des Stärkeren wird nicht nur akzeptiert, sondern gilt als effektives Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. Sprich, ein „echter Kavalier“ hat sich zu verhalten wie Mirzajew, will er am Ende nicht als feiger Hund da stehen. Nur der Fausthieb hätte etwas weniger wuchtig ausfallen können, aber ein Profi ist nun mal auf ebenbürtige Gegner eingestellt.

Der russische Sambo-Verband reagierte prompt und schloss seinen Vorzeigekämpfer von allen anstehenden Wettkämpfen aus. Dass sich jenes mörderische Geplänkel in kurzer Zeit zu einem Skandal mit politischem Ausmass entwickelte, ist allerdings weniger Mirzajews sportlichem Talent geschuldet als seiner geografischen und ethnischen Herkunft. Er stammt nämlich aus der russischen Nordkaukasusrepublik Dagestan, was Nationalisten nun als willkommener Anlass dient, ihre antikaukasische Hetzkampagne vor einem breitem Publikum aufzuführen. Zusätzlich angespornt wurden sie durch die Umstände der Festnahme des Täters.

Mirzajew stellte sich der Polizei, die ihn wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung verhaften ließ, doch fanden sich im dagestanischen Präsidenten und lokalen Parlamentsabgeordneten einflussreiche Fürsprecher, die die Freilassung des Sportlers gegen Kaution erwirkten. Obwohl das Gericht am Folgetag die Haftentlassung auf Antrag der Staatsanwaltschaft, die Verfahrensfehler ausgemacht hatte, revidierte, waren die Angehörigen des rechten Spektrums keineswegs zufrieden. Und das, obwohl ihr Druck vermutlich zur richterlichen Entscheidung, Mirzajew wieder in U-Haft zu nehmen, mit verantwortlich war.

Moskauer Sicherheitskräfte teilten jedenfalls mit, es seien Aufmärsche von rechten Hools im Anschluss an das am letzten Augustsonntag stattfindende Fussballspiel Spartak gegen ZSKA geplant, um der Forderung nach Bestrafung von Mirzajew Ausdruck zu verleihen. Fans hätten angekündigt, die Ereignisse vom Manegenplatz im vergangenen Dezember wiederholen zu wollen. Damals war ein Spartak-Anhänger bei einer Auseinandersetzung mit jungen Männern aus dem Nordkaukasus zu Tode gekommen, woraufhin im Stadtzentrum über 5000 Fans und Nationalisten unterschiedlicher Couler mit rassistischen Parolen aufmarschierten und etliche gewalttätige Übergriffe verübten. Oleg Semjonow, Chef des offiziellen Spartak-Fanclubs, beeilte sich indes, derartige Gerüchte als Hirngespinste abzutun. Die Fans seien äußerst gebildete Leute und politisch integer. Überhaupt seien nationalistische und extremistische Parolen während der Spiele unzulässig, neben Kontrollen fände im übrigen auch Aufklärungsarbeit statt.

Doch selbst wenn sich die großen Clubs von rassistischen Ausschreitungen distanzieren, bleiben immer noch zahlreiche kleinere Gruppierungen, die durchaus in der Lage sind sich untereinander zu koordinieren. Bislang allerdings ist nur die politische extreme Rechte in Erscheinung getreten. Am vergangenen Donnerstag protestierten bis zu 300 Anhänger rechtsradikaler Organisationen mit nationalistischen und antikaukasischen Parolen vor dem zuständigen Gericht, wobei über 50 Personen vorübergehend festgenommen wurden.

Mit Fussballfans, so scheint es, lassen sich seit Dezember 2010 wunderbare Bedrohungsszenarien an die Wand malen, wenn dann das Schlimmste ausbleibt, darf sich die Polizei dies als Verdienst anrechnen. Damals hielten sich die Ordnungshüter zumindest zu Beginn auffallend zurück, obwohl im Vorfeld eine breite Mobilisierung stattgefunden hatte, noch dazu für einen Ort in unmittelbarer Kremlnähe. Dabei steht die strafrechtliche Aufarbeitung der Frage, wer die Verantwortung für die Dezemberausschreitungen trägt, noch aus. Fest steht bislang lediglich, dass sich die fünf Angeklagten im jüngst begonnenen Prozess gegen die vermeintlichen Anstifter keineswegs durch die Zugehörigkeit zu organisierten Fanstrukturen auszeichnen – vielmehr stehen drei von ihnen dem Oppositionsbündnis „Das andere Russland“ nahe und wohl nicht ganz zufällig lautet einer der Anklagepunkte Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Beim Sambo-Kämpfer Rasul Mirzajew handelt es sich indes unbestreitbar um den Täter. Dessen Verhaftung und mögliche Verurteilung womöglich nur infolge rassistisch motivierter Drohungen des rechten Mobs zustande kommen werden – es kommt schließlich immer darauf an, wer zuschlägt.

Weniger Durchschlagkraft zeigen Fussballfans, wenn es um Kritik oder gar die Unterbindung rassistischer Vorfälle gegenüber dunkelhäutigen Spielern in russischen Mannschaften geht. Anlässe gibt es jedenfalls zur genüge. Unlängst ging der aus dem Senegal stammende Mittelfeldspieler Ibra Kébé mit seinen Erfahrungen im russischen Fussball an die Öffentlichkeit. Insbesondere Spartak Moskau, wo er mehrere Jahre kickte, warf er ein durchgängig rassistisches Verhältnis gegenüber seinen afrikanischen und brasilianischen Spielern vor. „Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, was dort alles vorgefallen ist“, zitierte ihn die Tageszeitung Sport-Express. Ständig sei er verächtlich behandelt worden, selbst seine Teamkollegen hätten ihn als „Affen“ bezeichnet. „Aber das interessiert hier keinen.“

An der Richtigkeit von Kébés Aussage besteht kein Zweifel, trotz anderslautender offizieller Statements bei Skandalen, die sich nicht einfach so vertuschen lassen. Unisono verurteilten Sportfunktionäre und die Clubleitung von Krylja Sowjetow in Samara beispielsweise einen Vorfall, bei dem Ende Juni ein Unbekannter bei einem Heimspiel dem Kapitän der dagestanischen Mannschaft von „Anzhi“, Roberto Carlos, von der Tribüne aus eine Banane zugeworfen hatte. Der Brasilianer verließ empört das Spielfeld. Erstmals wurde damals immerhin laut über das Abziehen von Strafpunkten nachgedacht. Im März hatte sich eine ähnliche Szene bei Petersburger Club Zenit abgespielt, der Verein kam mit einer läppischen Disziplinarstrafe in Höhe von umgerechnet 7500 Euro davon. Nun geht Zenit erstmals mit einem antirassistischen Werbespot hausieren, aber die Fans werden sich davon kaum beeindrucken lassen.

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