Die deutschen Innenstädte befinden sich im Entwicklungswürgegriff der Privatwirtschaft und ergeben sich dem Diktat der baukulturellen Rückwärtsgewandtheit. Ein neues Element und Motor könnte ein Gruppe junger Stadtnutzer sein, die heute noch keine sind, sondern zuhause unsichtbar und von Teilen der Gesellschaft sogar gefürchtet, vor ihren Bildschirmen hocken, die eSportler.

In bester Tradition der Charta von Athen, die man doch eigentlich schon lange zu den Akten gelegt gewähnt hatte, scheint unser aktuelles Leitbild zur Stadtentwicklung zu stehen. Damals, 1933 im Rahmen der CIAM-Kongresse, hatten Architekten und Stadtplaner das Ideal der Funktionstrennung zum Stadtbaukonzept der Zukunft gekürt. Dabei waren deren Teilnehmer, Architekten und Bauträger, noch stark von sozialistischen und sozialdemokratischen Ideen geprägt. Man könnte auch sagen, daß sie sich mit aller Ernsthaftigkeit als Weltverbesser begriffen. Städte wie Brasilia und Chandigarh wurden nach diesem Leitbild neu erbaut und galten als Leuchttürme. Die westdeutschen Innenstädte boten nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs auch genug Platz, diese Konzepte endlich umsetzen zu können. Dazu kam das Leitbild der autogerechten Stadt …
und fertig war Hannover.

Das Wunder von Hannover

Dem Spiegel war das eine Titelgeschichte (Das Wunder von Hannover) wert und von überall kamen die Stadtplaner um hier etwas zu lernen. Um Hannoverliebhaber und Bewohner, beides gibt es zahlreich, an dieser Stelle kurz zu beruhigen:
Heute stellt sich Hannover als vielleicht zu Unrecht unterschätzteste deutsche Großstadt dar mit vielen herausragenden Qualitäten und die Verdammung von Nachkriegsstadtplanung und Architektur hat sich als ebenso überhastet falsch herausgestellt, wie deren Bejubelung.

Später verwarf und verurteilte man nämlich die Konzepte von Funktionstrennung und Autogerechtigkeit natürlich, wie das mit Konzepten der Vergangenheit nun einmal üblich ist. Die Durchmischung aller Funktionen und Milieus geriet zu Recht in Mode.
Nun haben wir erneut eine gegenläufige Bewegung, ohne daß das von dazu berufenen Fachkongressen als ideologisch verbindliches Leitbild festgeschrieben worden wäre. Nicht zuletzt haben sich die Architekten sowieso weitgehend aus der Weltverbesserungssparte zurückgezogen und arbeiten nun mehr pragmatisch auch gerne für Diktatoren und Regime, die ihnen Raum zur künstlerisch persönlichen Entfaltung sichern. Naja, schon Le Corbusier hatte wohl versucht sich dem Vichy-Regime anzudienen, Speer war Hitlers Architekt, also auch keine wirklich neue Entwicklung.

Dieses neue offenbar weit verbreitete real existierende Leitbild der Rückwärtsgewandtheit wurde dabei mehr von Einwohnern und Projektentwicklern gewählt als von den Stadtplanern und Architekten, um auch die mal in Schutz zu nehmen.
Es werden Schlösser wieder aufgebaut, die Ausfallstraßen zu kommerziellen Ersatzstadtzentren oder sogar Symbiosen aus beidem entwickelt. Beides wird laut Umfragen und gemäss Frequentierung von den Menschen geschätzt, noch mehr von Planern, Entwicklern und Managern von Fachmarktzentren.

Privatisierung von Urbanität

Urbanität wird in Form von Einkaufszentren privatisiert und Gebäude der Vergangenheit feiern ihre Wiederauferstehung. Keine Stadt, die nicht schon ihre konsumorientierte Innenstadt unter Dach und Fach von ECE verlegt und ihre Honoratioren in Wideraufbau-AGs organisiert hätte. Der neue öffentliche städtische Raum erhält Gesichtskontrollen und deren Sicherheit gerät ohne demokratische Legitimation in die Hände privater Sicherheitsdienste.
Zerstörte Architektur wird immer besser, wie vergangene Urlaube, und feiert allerorten fröhliche Wiederauferstehung.
Gleichzeitig zieht sich auch mal, wer es sich leisten kann und genug Angst vor seinen Mitmenschen hat, in die sogenannten Gated Communities zurück, Schlafstädte, die zusätzlich zu ihrer konsequenten Funktionstrennung gemäß der Charta von Athen noch die Abschliessbarkeit als zusätzliches Feature haben.

Die Unwirtlichkeit der Städte

Als hätten wir aus Mitscherlichs “Unwirtlichkeit der Städte” in all den Jahren, die wir es nun schon lesen, immer noch nichts gelernt, kehren wir also nicht nur zur Funktionstrennung zurück, sondern wir privatisieren und isolieren diese Funktionen noch zusätzlich voneinander, ergänzt durch die Wiederkehr der idealisierten Altstadt. In einer Studienarbeit hatte ich Mitscherlich widersprochen, der das Lebendige nur in der `gewachsenen Stadt´ wiederfindet, die Menschen machten meiner Meinung nach auch das Gegenteil zum belebten Stadtorganismus. Nun schaffen es aber die schönen neuen Konsumwelten endgültig diesen durch neue soziale Segregation zumindest schwerkrank zu machen.

Die Innenstädte sind seit seit der Nackkriegsordnung in der Stadtplanung zu den konsumbefeuerten doch unbewohnten guten Stuben der Städte geworden, in denen man sich gerade an den hohen Sonn- und Feiertagen, sprich am verkaufsoffenen Sonntag und zu Weihnachten gerne aufhält, wer es sich leisten kann.

Die Empfänger von ALG II empfinden nicht nur Ausgrenzung von der Welt des Konsums im Speziellen, die unsere Innenstädte sind, sondern vom sozialen Leben allgemein, daß in denen auch in Form eines Besuches im Café unerschwinglich wird.

Im Verlauf der Kaufhauspleiten wird immer wieder die Parole laut, daß es keine Innenstädte ohne die Konsumkathedralen des letzten Jahrhunderts gäbe, was einerseits unzutreffend ist, andererseits aber auch ein Körnchen Wahrheit enthält, denn die Innenstädte wurden nach dem Krieg ziemlich konsequent um die Kaufhäuser herumentwickelt.

Versuchen wir den Beginn des Bogens zum Thema

Eine der faszinierendsten gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre ist das Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Virtualität.
Gemeinschaftserfahrungen können zunehmend auch online gemacht werden, soziale Kontakte aus dem virtuellen Raum sind dabei letztlich genauso real wie auf dem Fussballplatz und werden mit offline genommen.
Menschen führen ihr Second Life im Cyberspace, sie bloggen sich in Diktaturen um ihren realen Kopf und Kragen sie agieren als heroische Fantasygestalten in fernen Welten und treiben Sport, eSport, was ihnen im täglichen Leben vielleicht niemand ansähe, denn ein in Hand-Auge-Koordination gestählter Körper muß nicht dem eines klassischen Sportlers entsprechen.
Die eSportler dürften allerdings im erweiterten Handbereich Muskelgruppen entdeckt und trainiert haben, die die Menschheit bisher noch garnicht richtig wahrgenommen hatte.
Ebenso wie im Fall des SMS-Daumens wird hier die Evolution augenfällig. Wo der bei der Nachkriegsgeneration noch ein eher unbewegliches Dasein fristete und auf die Assistenz bei kräftigem Zugreifen spezialisiert war, da ist er bei heutigen Schülern zu einem beeindruckend beweglichen Tipporgan geworden und so schon lange nicht mehr der grosse ungelenk Dicke auf der Aussenposition der Hand. Auch auf jedem Gamepad wirbelt er als, wenn auch nicht organisch, Spieler zentraler Bedeutung.
Mehrere Untersuchungen belegene, daß passionierte Computer- und Konsolenspieler zum Beispiel bessere feinmotorische Voraussetzungen für eine spätere chirurgische Karriere entwickeln als Nichtspieler.

Es gibt vielfältige massive Kritik am digitalen Leben. Der verkürzte Vorwurf lautet, daß alles “unecht”, “künstlich” sei.

Genauso sind sämtliche Emotionen allerdings echt, Bestätigung und Selbstwertgefühl, der Spaß am Spiel, Befriedigung und Erschöpfung. Im Zwischenmenschlichen Bereich ist es so echt wie man will, viele schliessen Freundschaften, einige finden sogar Liebe.

Geld und Cyberspace und dessen Urbanität

Ein Meilenstein, oder eine rote Linie, wie man will, ist es, ob man reales Geld mit virtuellen Geschäftsmodellen verdienen kann. Das ist schon lange möglich. Die Bewohner der Welten bezahlen mit echtem Geld virtuelle Gegenstände, Accessoirs, Kleidung, Waffen oder sogar Dienstleistungen.
Es gibt also nicht nur eine Bewegung in den Cyberspace, sondern auch eine Rückkopplung in die Realität. Es gründen sich beispielsweise immer mehr reale Unternehmen mit ebensolchen Angestellten und Umsätzen, die für Waren für die andere Seite produzieren, dort erwirtschaften sie aber wiederum reelles Geld.

Vor einigen Jahren bekam man auf die Frage, was das denn sei, der “Cyberspace” noch mit hervorgezogener Kreditkarte die Antwort: “That`s where your money is.” Okay, wir hatten schon immer gehofft, daß es dort nicht verloren geht oder mal eine falsche Ausfahrt der Datenautobahn nimmt, aber daß es dort drüben für uns arbeiten könnte, die Vorstellung elekrtisiert doch viele Menschen.

Jede Abwanderung von Menschen in den Cyberspace ist ein Verlust für die realen Städte, ein steter Aderlass von Urbanität.
Das Internetcafé hat sich nicht, wie einst erwartet, nachhaltig zu einem pulsierenden Ort städtischen Lebens gemausert, eher schon zum Waschsalon des neuen Jahrtausends, aber der Charme auch jenes des letzten war doch sowieso meist übertrieben. Die Menschen hatten dort gar keinen unkontrollieren Sex, redeten überhaupt nicht miteinander und auch der hilfloseste männliche Single ruinierte sich eher die Wäsche, als daß er liebevolle weibliche Anleitung erfahren hätte.

Die Folge dieser Abwanderung ist zumindest heute noch, daß eine virtuelle Öffentlichkeit, eine digitale Gegenurbanität entsteht, deren Teilnehmer aber gleichzeitig alle zuhause bestenfalls in kleinsten Gruppen vor dem Bildschirm sitzen, die Stadt verliert.
Virtuelle Sportveranstaltungen sind ein Verlust an Menschen, Flair und Finanzmitteln.
Ein Erfolg wäre für alle beteiligten Gruppen die Wiedervereinigung mit der Realität.
Die Spieler/Sportler würden eine massive Aufwertung erfahren, die Sponsoren würden etwas sehen und würden weiter angezogen, ebenso wie Zuschauer, die Medien bekämen Interesse, eine ganz andere Form von Cross-Marketing würde möglich.

Fortsetzung folgt

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