Here we go again: Bei den Auseinandersetzungen rund um das Hamburger Schanzenfest haben es sich einige Einsätzkräfte nicht nehmen lassen, auch der St. Pauli Fan-Kneipe “Jolly Roger” einen Besuch abzustatten. Warum, bleibt seltsam unklar, denn weder wurde jemand festgenommen, noch stellten die Beamten Personalien fest. Dafür aber setzten sie reichlich Pfefferspray ein und schlugen zum Höhepunkt einem anwesenden Journalisten vier Zähne aus…

In den frühen Morgenstunden, als der Höhepunkt der Ausschreitungen bereits deutlich überschritten war, umstellte die Polizei die Fankneipe “Jolly Roger”, nachdem zuvor von der Straße aus Leuchtraketen auf die Beamten abgefeuert worden waren. Dass beteiligte Täter in die Kneipe flüchteten, bestreiten nicht nur der Wirt, sowie anwesende Augenzeugen, auch auf diesem YouTube-Video ist ab Minute 04:50 ebenfalls zu erkennen (wenngleich nicht zweifelsfrei), dass die Beteiligten eher in angrenzende Straßen zu flüchten scheinen, wo die Polizei sie ja auch mit Wasserwerfereinsatz verfolgt.

Dennoch sprühten die Beamten laut dutzender Augenzeugen im Laufe des Einsatzes aus tragbaren Gasflaschen Tränengas in den Gastraum, obwohl die Gäste praktisch keine Möglichkeit hatten, diesen zu verlassen. Anschließend betraten mehrere Beamte den Laden, allerdings ohne Personalien festzustellen, Festnahmen zu tätigen oder auch nur wirklich nach Tatbeteiligten zu suchen. Laut eines Anwesenden sei es aus seiner Sicht lediglich darum gegangen, “ein Bedrohungsszenario herzustellen und Macht zu demonstrieren.” Die Atmosphäre sei “gespenstisch” gewesen, da man aufgrund des martialischen Auftretens befürchtet habe, die Polizisten würden “jetzt alles kurz und klein schlagen”. Ähnlich äußerte sich einer der Betreiber der Kneipe gegenüber Spiegel Online: “Die Gäste haben teilweise unter Todesangst die Fenster von innen eingeworfen, um Luft zu bekommen.”

Dass derartige Ängste offenbar nicht völlig aus der Luft gegriffen waren, bestätigte sich zeitgleich vor dem Lokal, wo der als Gast anwesende St. Pauli Fan und Freie Journalist Sven Klein mit seinem Presseausweis in der Hand um Aufklärung bat. Als Antwort wurde ihm nach eigenen Angaben ein “Tonfa durch die Fresse gezogen”. Resultat: Der Verlust der gesamten oberen vier Schneidezähne! Auch zahlreiche andere Gäste wurden von der Polizei verletzt, die meisten durch Pfefferspray, sowie durch den Einsatz von Schlagstöcken. Durch den mittlerweile entstandenen medialen Druck ermittelt die Polizei nunmehr intern, wie Hamburgs Polizeisprecher Ralf Meyer bestätigte. Viele der anwesenden Fans wollen indes ebenso Strafanzeige stellen, wie Anwohner, denen mit Wasserwerferstrahlen die Fensterscheiben des Treppenhauses zertrümmert wurden. Am kommenden Freitag nach einem Freundschaftsspiel des FC St. Pauli soll es zudem eine große Protest-Demonstration der Fans geben.

SportsWire dokumentiert die Pressemitteilung von Ballkult e.V. und anderen Unterzeichnern zum Polizeieinsatz in der FC St. Pauli-Fankneipe “Jolly Roger” in der Nacht vom 4. auf den 5. Juli:

Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei erhalten Sie die Pressemitteilung zu dem Polizeieinsatz vom 4. auf den 5. Juli an und in der FC St. Pauli Fankneipe “Jolly Roger”.

Mit freundlichen Grüßen
ProFans St. Pauli

im Auftrag für
Ballkult e.V. (Betreiberverein Jolly Roger) Abteilung fördernder Mitglieder des FC St. Pauli Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder des FC St. Pauli Fanclubsprecherrat der offiziellen Fanclubs des FC St. Pauli Fanladen St. Pauli ProFans St. Pauli

Massenpanik: Polizei stürmt FC St. Pauli Fankneipe

Hamburg, den 7. Juli 2009: Vier ausgeschlagene Zähne, schwere Stauchungen und Prellungen, Massenpanik sowie dutzende Gäste, die sich aufgrund von Reizgas übergeben – das ist die Bilanz eines massiven Polizeieinsatzes in der FC St. Pauli Fankneipe „Jolly Roger“ in der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 2009.

Knapp 100 Gäste feierten eine friedliche Geburtstagsparty als sich gegen 1:30 Uhr zwei Wasserwerfer und mehrere Züge der Polizei vor der Gaststätte in Stellung brachten.

Obwohl von den Gästen keine gewalttätigen Provokationen gegen die Polizeibeamten ausgingen, kam es nur kurze Zeit später ohne jede Ankündigung zu mehreren Schlagstock-, Reizgas- und Wasserwerfereinsätzen. Diese gipfelten in einer gewaltsamen Erstürmung der Lokalität, in der etwa 60 der Gäste Schutz gesucht hatten. Stephan D., Geschäftsführer des „Jolly
Roger“: „Innerhalb von wenigen Minuten war die ganze Bar voll mit Reizgas.
Die Gäste sind in Panik auf die Toiletten und ins Getränkelager in den Keller geflüchtet, vermummte Polizisten mit Schlagstöcken hinterher. Wir sind immer noch total geschockt und fassungslos.“ Ulrike S. war mit fast 30 weiteren Gästen im Keller: „Wir standen da und konnten nicht raus.
Oben im Laden hat man keine Luft mehr bekommen und vor der Tür hielten die Wasserwerfer drauf. Wen hätten wir denn anrufen sollen? – 110?“ Auch ein Presseausweis hielt die Beamten nicht davon ab, einem anwesenden Journalisten mit dem Schlagstock vier Zähne auszuschlagen, wie bereits der Spiegel online am gestrigen Montag berichtet hat.

Der Zweck des Einsatzes bleibt nach wie vor unklar: weder wurden Festnahmen getätigt noch Personalien aufgenommen. Außer Unbeteiligte zu verletzten, einzuschüchtern und Panik zu erzeugen hatte dieses Vorgehen offensichtlich kein Ziel. Tay Eich, Aufsichtsratsmitglied des FC St.
Pauli: „Der Polizeieinsatz am und im „Jolly Roger“ ist vollkommen inakzeptabel und muss lückenlos aufgeklärt werden.“

Über einhundert Betroffene versammelten sich am vergangenen Montagabend im „Jolly Roger“, um die Geschehnisse aufzuarbeiten und das weitere Vorgehen zu besprechen. Als Sofortmaßnahme wurde für die medizinische und rechtliche Unterstützung der Geschädigten ein Spendenkonto eingerichtet. Außerdem ist für den kommenden Freitag, den 10.7.2009 nach dem Freundschaftsspiel des FC St. Pauli gegen die „Hearts of Midlothian“ eine Demonstration geplant.

Ballkult e.V. (Betreiberverein „Jolly Roger“) AFM (Abteilung fördernder Mitglieder des FC St. Pauli) AGIM (Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder des FC St. Pauli) Fanclubsprecherrat der offiziellen Fanclubs des FC St. Pauli Fanladen St. Pauli ProFans St. Pauli

Spendenkonto:
Stichwort: „Jolly Roger“
Bankleitzahl: 20690500, Sparda Bank Hamburg
Kontonummer: 0004033256
Inhaber: Roger Hasenbein

Für weitere Informationen melden Sie sich bei:
Paul K. (Vereinsrat Ballkult e.V.)

Kommentare

4 Kommentare zu “Es kam: die Polizei. Es gingen: vier Zähne.”

  1. Polizeigewalt in Hamburg | heikoheftich.de | support free media. am 07.07.09 15:38

    […] 4.7.2009, Hamburg St. Pauli Budapesterstraße: Polizeiüberfall der Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE) aus Eutin auf die Kneipe “Jolly Roger” in der Nacht von Samstag auf Sonntag am letzten Wochenende. Dessen Betreiber und Gäste haben sich am Rande der Krawalle beim Spiel Sankt Pauli gegen Who-The-Fuck-Is-Hansa-Rostock klar gegen die Gewalt gestellt und Straftätern keinen Rückzugsraum geboten. Nur sind sie Opfer sinnloser Polizeibrutalität geworden. Weitere Berichte u.a. bei SPIEGEL ONLINE, Taz, Mopo, Sportswire […]

  2. Felix am 07.07.09 15:44

    St.Pauli Fans, und ich kann es beurteilen da ich selber einer bin, sind für ihre friedliche Haltung bekannt. Es kann nicht sein, dass die Polizei ihrem Frust über steinewerfende Vollidioten-Prolls – und damit meine ich nicht Links-Autonome, USP´ler oder sonstige Gruppierungen die sich politisch für die, in meinen Augen, richtige Sache einsetzen – auf diese Art und Weise Luft macht. Ebensogut hätten die Herren und Damen in Grün/Schwarz auch die Rote Flora stürmen können. Aber dazu fehlte dann wohl doch der Mut – ausserdem konzentriert sich das Reizgas in den großzügigen Räumlichkeiten der Flora wohl nicht so schön.

    Dieses Vorgehen finde ich abstoßend. Und wenn mir – als wirklich sehr friedlichen Menschen der Polizisten überwiegend noch als “Freund und Helfer” ansieht – schon die Galle hochkommt, dann wird es genug Leute geben die diese Aktion bei der nächsten Möglichkeit nutzen, um einen Pflasterstein aus dem Gehweg zu buddeln.

    Forza FC St.Pauli

  3. Polizeigewalt in Hamburg und Nürnberg « Antifaschistische Recherche Main-Tauber am 07.07.09 15:57

    […] SportsWire.de […]

  4. acab am 07.17.09 00:19

    naja ned alle, aber mann müsste diejenigen dies sind markieren könne, damit sich die staatsmacht auch wie eine benimmt,sich nicht zu scwachsinnigen vergeltungsaktionen hinreissen lässt. muss doch mgl. sein jedem polzisten ne nr aufie uniform zupacken !

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