An eine Winter-Sportart zu erinnern, während gerade die Olympischen Sommerspiele stattfinden, ist nur auf den ersten Blick paradox.
Das Beispiel Frauen-Skispringen zeigt schließlich, dass die Sache mit den gleichen Rechten im Sport noch lange nicht so selbstverständlich ist, wie allgemein angenommen wird.
Noch vor zehn Jahren erklärten westeuropäische Funktionäre, Frauenkörper seien den Belastungen des Springens einfach nicht gewachsen…

Die Frau, die sich im Winter des Jahres 1911 daran machte, die Kitzbühler Skischanze hinaufzusteigen, muss den Zuschauern extrem exotisch vorgekommen sein. Bekleidet mit einem langen schwarzen Kleid und einer hellen Wollmütze versuchte sie schließlich etwas noch nie Dagewesenes: als Frau in einer Männerkonkurrenz Ski zu springen.

Comtesse auf großem Hügel

Die begeisterte Crosscountry-Läuferin Gräfin Paula Lamberg sollte damals mit knapp 22 Metern die erste offiziell je gemessene Damenweite erreichen, eine historische Kitzbühler Postkarte zeigt »Comtesse Lambach« mit parallel ausgerichteten Skiern vor verschneitem Alpenpanorama »am Großen Sprunghügel«.
Das Motiv muss bei den Touristen jener Zeit beliebt gewesen sein, sonst wäre die Grußkarte sicher erst gar nicht produziert worden – der große Sprung der Adeligen, die in Skandinavien liebevoll »die schwebende Gräfin« genannt wurde, blieb jedoch folgenlos. Sollte Lamberg auf Konkurrentinnen oder gar Nachfolgerinnen gehofft haben, so muss sie furchtbar enttäuscht gewesen sein. Skispringen blieb Männersache, und damit basta.

Einzelspringerinnen

Es waren lediglich einzelne Frauen, die sich auf Schanzen trauten, wie die Norwegerin Olga Bastad-Eggen, die den inoffiziellen Damenrekord im Jahr 1926 auf 26 Meter schraubte, und ihre Landsfrau Johanna Kolstad, die sechs Jahre später 62 Meter weit sprang. Danach passierte mehrere Jahrzehnte nichts mehr.
Erst in den siebziger Jahren wurde Anita Wold erlaubt, als Vorspringerin bei der Vierschanzentournee starten; im Jahr 1978 auf der Schanze von Sapporo stellte sie mit 75 Metern den inoffiziellen Frauenweltrekord auf. Bei den Olympischen Winterspielen von Innsbruck im selben Jahr durfte sie allerdings nur zuschauen – Frauen waren als Skispringerinnen nicht vorgesehen.

Frauenkörper sind nicht leistungssporttauglich

Während in den meisten anderen Sportarten nach und nach auch Frauen als Starterinnen zugelassen wurden, galt Skispringen neben der Nordischen Kombination als reine Männersportart. Noch 1963 hatte es in der »Kleinen Enzyklopädie: Die Frau« im Kapitel Leistungssport geheißen: »Der Frauensport soll durch Berücksichtigung von Körperbau, Körperfunktion und Psyche der Frau ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit fördern. Diese Gesichtspunkte haben dazu geführt, dass im internationalen Sportverkehr bestimmte Sportarten vom Frauensport ausgeschlossen sind (Boxen, Ringen, Gewichtheben, Skispringen, Radsport, insbesondere Straßenrennen, und von den Mannschaftssportarten Fußball, Rugby, Eishockey und Wasserball), die also entweder ausgesprochene Kraftübungen darstellen, sehr kraftbetont sind oder bei erheblichem Kraftaufwand gleichzeitig eine sehr hohe Ausdauer verlangen. (…) Der körperlichen und psychischen Veranlagung der Frau entsprechen an Bewegungsabläufen: Gymnastik, Turnen, Kunstspringen, Eis- und Rollschuhkunstlauf. In diesen Übungen ist die Frau dem Mann überlegen.«

Skispringen ist ein Männersport ist ein Männersport

Viel hat sich an dieser Sicht der Dinge nicht geändert; selbst Menschen, die begeistert die Sprünge der Skiflieger verfolgen, sind in aller Regel nicht in der Lage, auch nur den Namen einer einzigen Skispringerin zu nennen.
Die Faszination an »typisch männlichen« Sportarten ist zudem ungebrochen, Skispringen belegte in der ARD in den letzten Wintern nach Fußball Platz Zwei in der Rangfolge der beliebtesten Sportarten.
So viel Männlichkeit wird mitunter auch belohnt: Nach Informationen des Magazins Schanzenspringer erhielt das schweizerische Sportzentrum und Ausbildungszentrum für Skispringer und Nordische Kombinierer Eschbach/Einsiedeln exakt aus diesem Grund eine Million Franken »aus dem Nachlass eines anonymen Spenders« für den Bau einer Schanzenanlage, der damit ausdrücklich die Föderung des Nachwuchsbereichs einer von Männern dominierten Sportart unterstützen wollte. Ob Mädchen und Frauen den Bereich grundsätzlich auch nutzen dürfen, ist noch nicht klar; der Funktionär Herman Kälin jedenfalls erklärte: »Wir haben im Moment in der Schweiz ja fast keine Mädchen.«

Ausgesucht blödsinnige Begründungen

Erst 1998 wurden offiziell Frauenspringen ausgetragen. Zuvor hatten sich die Offiziellen mit ausgesucht blödsinnigen Argumenten geweigert, Frauen auf ihre Schanzen zu lassen. Die Begründungen klangen dabei teilweise so, als stammten sie direkt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, als Männern kein pseudo-wissenschaftliches Argument zu dumm war, um Frauen vom Sporttreiben abzuhalten.
Helmut Weinbuch vom Deutschen Skiverband erklärte etwa, die weibliche Wirbelsäule sei der »brutalen Belastung bei der Landung« nicht gewachsen, Wirbel könnten aus dem knöchernen Stützapparat herausspringen und ernsthaft die Gesundheit gefährden. Der Generalsekretär der FIS, Gian-Franco Kasper, führte bei einem Vortrag im Willinger »Nordic Forum« aus, »die Wucht des Aufsprungs zerstört die Gebärmutter«.

Abenteuerliche Thesen

Mediziner, die die abenteuerlichen Thesen der Funktionäre stützen konnten, fanden sich nicht. In der Süddeutschen Zeitung bezeichnete sie der Freiburger Sportorthopäde Heinz Birnessen rundheraus als »den größten Blödsinn, den ich je gehört habe, und schränkte lediglich ein: »Wenn eine im neunten Monat Schwangere runterspringt, kann es allerdings sein, dass das Kind etwas früher kommt.«
Walter Hofer, bei der FIS für die Organsisation des Weltcups zuständig, stellte kurz und bündig fest, es sei nicht Aufgabe des Verbandes, »eine neue Sportart ins Leben zu rufen«. Sein österreichischer Kollege Toni Innauer erklärte: »Wir sind mit unserem Sport so beschäftigt, dass wir nicht auch noch Pioniertätigkeit leisten können.« Beide übersahen, dass von Frauen ausgeübtes Skispringen keine eigenständige neue Sportart darstellte, sondern lediglich eine Erweiterung des Genres.

Brave Hüpferchen

Die Sportlerinnen warteten zunächst brav ab und begnügten sich mit Sprüngen von kleineren Schanzen.
Im März 2004 kam es dann schließlich zum Eklat. Die Skispringerinnen forderten, dass sie während des Skiflugkontinental-Cups im norwegischen Vikersund wenigstens als Vorspringerinnen von der 185k-Skiflug-Schanze springen durften.
Der verantwortliche Funktionär Thorbjørn Yggeseth beharrte vehement darauf, dass Frauen nach dem Regelwerk der FIS nicht Vorspringerinnen sein könnten und die aufmüpfigen aktiven Damen mit ihrem Protest ihrer Sportart mehr schadeten als nutzten: »Das zerstört das Frauenskispringen und bedeutet ein Verbot des Starts von Normalschanzen für mindestens zwei Jahre.«

Königliche Einmischung

Yggeseth verschwieg, dass über das Geschlecht der Weiten-Versuchskaninchen in den Regularien nichts stand.
So dass sich plötzlich zahlreiche norwegische Prominente in den Streit einmischten. Von König Harald über den Ministerpräsidenten Kjell Magne Bondevik bis hinunter zum Polizeipräsidenten gab es eigentlich nur Befürworter der hüpfenden Frauen. Polizeichef Halvar Herz sagte, es sei ja wohl nicht vorstellbar, dass norwegisches Recht bei einer Skisprungveranstaltung nicht gelten solle, »die FIS hat kein Recht, Vorspringern nur aufgrund ihres Geschlechts den Start zu verbieten – das ist ein Bruch des Gleichstellungsgesetzes.«
Vier Frauen durften schließlich als Vorspringerinnen auf die Flugschanze: die beiden Norwegerinnen Annette Sagen und Liane Jahr, die in Norwegen trainierende Schwedin Helena Olsson und die US-Amerikanerin Lindsey Van. Ob ihre Sprünge wegweisender waren als die von Paula Lamberg, wird erst in ein einigen Jahren feststehen.

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