Erinnerung an Mr. Tao

von Elke Wittich


Die Empörung über die Internet-Zensur für akkreditierte Journalisten ist erstaunlich: Spätestens seit die „Reporter ohne Grenzen“ im letzten Jahr einen Insiderbericht veröffentlichten, ist allgemein bekannt, wie lückenlos die Cyber-Überwachung in China organisiert ist.
Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir noch einmal die wesentlichen Punkte des damaligen Reports .

Mr. Tao packt aus

Unter dem Pseudonym Mr. Tao schilderte 2007 ein Techniker einer chinesischen Internetfirma im Bericht «Eine Reise ins Herz der Zensur», wie die 30.000 dem Büro für öffentliche Sicherheit unterstehenden «Cyber-Censors» arbeiten.

So funktioniert die Zensur

Mit diesem Bericht wurde erstmals öffentlich, was offiziell als Staatsgeheimnis galt, nämlich wie die Internet-Zensur organisiert ist und wie die Zensoren arbeiten. Eine der wichtigsten Stellen ist das so genannte Internet Propaganda Administrative Bureau, das zum Informationsministerium gehört. In fünf Abteilungen unterteilt, werden dort alle online verfügbaren Informationen überwacht und ausgewertet.

Zu den Aufgaben gehört auch die Überwachung der öffentlichen Meinung, die Beschäftigten tragen Poll-Ergebnisse und zum Beispiel Kommentare in Foren und Chats zusammen und können, wenn ihnen ein Thema zu heikel ist, die jeweiligen Einträge löschen lassen.

Alles wird kontrolliert

Das Büro für Information und Öffentliche Meinung erstellt tägliche Berichte an die politisch Verantwortlichen, die umgehend aktiv werden können.
Dass alle Zensur-Büros der Regierung und dem ehemaligen Propaganda-Ministerium unterstehen, ist kaum verwunderlich. Medien werden in China schon länger zensiert, die KP kontrolliert sämtliche Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.

Neue Technologien für noch mehr Kontrolle

Das Internet galt den Machthabern schnell als neues zu zensierendes Medium. Jeweils neueste Technologien wurden und werden für Zensur- und Kontroll-Maßnahmen eingesetzt. Chinesische Surfer werden überwacht, spezielle Software sucht nach verbotenen Schlüsselwörtern wie Tienanmen, das ist der Platz des Himmlischen Friedens, auf dem 1989 der friedliche Protest von Studenten blutig niedergeschlagen wurde. Über den staatlichen Mord an friedlichen Dmonstranten darf zum Beispiel öffentlich nicht diskutiert werden.

30.000 Zensoren überprüfen täglich Webpages, Chatrooms und Blogs nach solchen und anderen verbotenen Inhalten. Entsprechend streng ist auch die Zensur, der die chinesischen Nachrichten-Webseiten unterliegen. Wie Mr. Tao berichtet, ist die Überwachung der Pekinger News-Portale besonders lückenlos.

Das dafür zuständige Büro für Internet-Propaganda kann bei seiner Arbeit über immense Ressourcen verfügen. Umgerechnet 19 Milliarden Euro gibt die chinesische Regierung jährlich für die Internet-Zensur aus, Tendenz steigend.

Zwangs-Meeting mit dem Zensor

Das Büro lädt zum Beispiel die Pekinger Seiten-Verantwortlichen, die besonders strikten Restriktionen unterliegen, einmal wöchentlich – freitags zwischen neun und elf – zu einem speziellen Pflicht-Meeting. Neben einem Überblick über die Themen, die die User in der vergangenen Woche besonders interessierten und einer umfassenden Kritik der einzelnen Webseiten werden bei diesen Treffen die in der nächsten Woche zu behandelnden Themen bekannt gegeben.

Das Büro legt fest, welche Artikel zu welchen Themen geschrieben und veröffentlicht werden sollen sowie welche Texte gelöscht werden müssen. Es weist die Redaktionen ganz konkret an, einen bestimmten Artikel nicht zu veröffentlichen, ein Thema totzuschweigen oder missliebige Kommentare zu löschen.

Mr. Tao berichtet, dass von den Angestellten dieser privat geführten Web-Unternehmen erwartet wird, «mit dem Büro zusammenzuarbeiten und dessen Anweisungen in kürzester Zeit umzusetzen».

Fünf Minuten Reaktionszeit, maximal

Die Zensoren überlassen dabei nichts dem Zufall. Ihre Anweisungen sind seit 2007 in drei Kategorien eingeteilt: Eine Anordnung der obersten Kategorie muss innerhalb von fünf Minuten nach Erhalt der Nachricht umgesetzt werden, für die Ausführung von Ordern der Stufen Zwei und Drei bleiben zehn Minuten beziehungsweise eine halbe Stunde Zeit. Ausreden werden nicht geduldet.

Die Anweisungen, zum Beispiel einen missliebigen Artikel oder Kommentar sofort zu löschen, erfolgen per Telefon, Handy, E-Mail, SMS oder Messenger-Diensten. Weil Dienste wie MSN allerdings von ausländischen Unternehmen geführt werden und die Zensurbehörden deswegen befürchteten, dass alle Mitteilungen von Unbefugten mitgelesen und in westlichen Medien publik gemacht werden könnten, setzt man in diesem Bereich auf einheimische Anbieter.

Chinesische Technik als Zensurtools

August 2006 benutzen die Zensurbehörden deswegen RTX, Real Time Exchange, einen Instant Messenger Service für Unternehmen von der chinesischen Firma Tengxun.

RTX und zahlreiche weitere, von chinesischen Firmen konzipierte Überwachungs-Tools machen allerdings nicht nur den Internet-Surfern des Landes den freien Zugang zu Informationen schwer. Sie wecken auch Begehrlichkeiten internationaler Anleger. Bis 2009, so schätzen Experten, könnte das Marktvolumen der entsprechenden Unternehmen von derzeit sieben auf 33 Milliarden Dollar anwachsen. Aktien solcher Firmen galten letztes Jahr in den einschlägigen Börsen-Foren als Geheimtipps.

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