Fußballtrainer entdecken ihre Macht. Martin Jol, Felix Magath, Christoph Daum und Bruno Labbadia verließen freiwillig ihre Klubs, um bessere Angebote wahrzunehmen. Hans Meyer, Friedhelm Funkel und Bojan Prasnikar hatten zwar keine besseren Angebote – aber warten, bis man sie feuert, wollten sie auch nicht. Eine Analyse von mir in der Jungle WorldEmanzipation der Trainer

Sie seien „Söldner“ und es drohe „Sittenverfall“ – die Klage, dass mehr als ein Drittel aller Bundesligatrainer zum Ende der Saison freiwillig gegangen ist, könnte kaum heftiger sein.

Zählen wir mal durch: Martin Jol kündigte beim Hamburger SV, Friedhelm Funkel schmiss bei Eintracht Frankfurt hin, Felix Magath ließ sich trotz bevorstehender Meisterfeier vom VfL Wolfsburg weglotsen, Hans Meyer verkündete bei Borussia Mönchengladbach, dass er niemand mehr zu motivieren gedenke, Bojan Prasnikar teilte so etwas Ähnliches sogar kurz vor dem entscheidenden Relegationsspiel zum letztlichen Doch-nicht-Verbleib von Energie Cottbus in der ersten Liga mit, Christoph Daum nutzte eine Vertragsklausel, um den 1. FC Köln verlassen zu können, und Bruno Labbadia gab einen Tag vor dem Pokalfinale mit dem von ihm trainierten Bayer Leverkusen in der Süddeutschen Zeitung ein Interview, aus dem seine Unzufriedenheit deutlich hervorging.

Sieben Trainer sind das – und rechnete man die Kurzzeitverpflichtungen der letzten Saison, den Fünf-Spiele-Heynckes in Bayern und den Ein-Spiel-Berger in Bielefeld, dazu, wären es neun, mithin die Hälfte aller Bundesligatrainer …

Es ist ein neuer Trend, dass Bundesligatrainer selbst kündigen, statt zu warten, bis man sie feuert. Ihr Nachteil dabei: Sie verzichten auf Gehälter und Abfindungen. Ihr Vorteil: Sie sind freie Akteure auf dem Fußballmarkt, nicht mehr abhängig von Managers und Präsidenten Gnaden.

Als Bruno Labbadia, der letzte der mittlerweile sieben Coaches, die ihren Posten freiwillig hinschmissen, noch mit seinem bisherigen Arbeitgeber Bayer Leverkusen verhandelte, wurde dessen Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser grundsätzlich sehr böse: Er könne Labbadia nicht zur Arbeit für Bayer zwingen, „aber ich kann verhindern, dass er woanders arbeitet, dieses Job-Hopping muss aufhören“. Holzhäuser, der vor elf Jahren nach jahrelanger Tätigkeit für den Deutschen Fußballbund zum Bundesligisten Bayer Leverkusen gewechselt war, erklärte: „Das derzeitige Verhalten der Trainer ist mit ethischen und moralischen Grundvorstellungen nicht vereinbar.“

Die Bayer-Leverkusen-Moral findet erstaunlich viele Anhänger.

Der DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, als Trainer beim VfB Stuttgart und Borussia Dortmund tätig, kritisiert: „Für die Vorbildwirkung hat es verheerende Auswirkungen auf die Spieler und deren Umfeld. Da ist argumentativ Tür und Tor geöffnet, sich nicht mehr moralisch an Vereinbarungen zu halten.“

Roland Zorn bemängelt in der Frankfurter Allgemeinen: „Die Zeiten, da Trainer noch als Vorbilder an Loyalität galten, scheinen vorbei.“ Auch der aktuelle Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld empört sich: „Ich bin gespannt, was Felix Magath einem Spieler antworten wird, der sagt: Ich habe einen Vertrag, will aber trotzdem weg.“ Hitzfeld selbst hingegen hat als Trainer immer den Zeitpunkt seines Abgangs selbst festgelegt – unter anderem zog er sich 1997 nach dem Dortmunder Champions-League-Gewinn urplötzlich von seinem Job als Cheftrainer zurück und agierte ein Jahr weiter als Sportdirektor.

„Das gesprochene Wort gilt nicht mehr“, mokiert sich auch Philipp Selldorf in der Süddeutschen Zeitung, „und wenn es der Sache dient, wird aufrichtig gelogen. Die Lüge ist ein Kulturphänomen des Profifußballs geworden.“ Daniel Theweleit macht in der taz gar „Söldner an der Linie“ aus und lobt die Bayer-Chefetage als „Brutstätte des Widerstands“ ob ihrer „Rebellion“ gegen die „grassierende Willkür der Trainergilde“.

Nun hat das Leverkusener Widerstandsnest allerdings schon schnell mit Jupp Heynckes einen Fußballlehrer unter Vertrag genommen, dem auch die taz nur schwer etwas Ähnliches wie rebellische Modernität bescheinigen kann.

Matthias Sammer erkennt in dem neuen Trend zwar eine Stärkung der Rolle des Trainers: „Jetzt werden die Trainer in ihrer Denkweise selbständiger, zeigen, dass sie Qualität haben und sich gewisse Dinge aussuchen können.“ Doch begrüßen möchte der DFB-Angestellte, dessen Name immer wieder mit freien Trainerposten bei Spitzenklubs in Verbindung gebracht wird, diesen Trend nicht: „Wenn Trainer als Pädagogen Arbeitsverhältnisse brechen, sind die Folgen für die Vermittlung von Werten unabsehbar. Das Berufsethos des Trainers wird beschädigt, der Sittenverfall forciert.“

Es gibt in der deutschen Fußballöffentlichkeit derzeit nur wenige Wortmeldungen, die der Emanzipation der Trainer von Willen und Willkür der Vorstände, etwas Positives abgewinnen können. Christoph Biermann, Fußballexperte des Spiegel, schreibt: „Das alles mag Trainer wie kühl kalkulierende Manager aussehen lassen – sie sind es ja auch. Aber warum sollten sie nicht die gleiche sachliche Professionalität bei der Planung ihrer Karrieren an den Tag legen, wie das auch sonst bei Spitzenpositionen im Management üblich ist.“ Stefan Hermanns vom Tagesspiegel beschwert sich über die „billige Romantik“ der Kritiker, und Michael Horeni, Fußballexperte der FAZ, glaubt, dass die Trainer nun ihre Macht erkennen und sie ausspielen. Außerdem sei es „die Reaktion darauf, wie manche Vereine mit ihren Trainern umgegangen sind“, sagte Horeni dem Onlinedienst Indirekter Freistoss.

Der Hamburger SV, der nach nur einjähriger Zusammenarbeit mit Martin Jol, den es zu Ajax Amsterdam zog, zunächst ein Opfer der Entwicklung zu sein schien, präsentiert sich bei genauerem Hinsehen als Pionier. Als erster Profiklub setzte der HSV vor einem Jahr bei der Trainersuche auf die Hilfe von Personalberatern und nutzte das moderne Instrument des Assessment Center. „Bis zu Jols ersten Erfolgen war das Hamburger Headhunting die Lachnummer der Branche. Jetzt lacht keiner mehr“, notierte die FAZ in ihrem Wirtschaftsteil.

Nun, nachdem die derart modern und für die Anforderungen des Fußballmarktes kompatibel gefundene Fachkraft Martin Jol zu einem attraktiveren Arbeitgeber wechselt, setzten die Hamburger auf eine weitere Innovation: Statt, wie es früher in der Bundesliga üblich war, bei der Trainersuche nur nach zur Zeit arbeitslosen Fußballlehrern Ausschau zu halten, eventuell auch noch den Blick in die zweite Liga oder in sportlich schlechter als die Bundesliga geltende ausländische Ligen zu werfen, gingen die Hamburger frech auf Ligakonkurrenten zu: Mit dem Cheftrainer des Konkurrenten Werder Bremen, Thomas Schaaf, sollen sie recht lange verhandelt haben, Gerüchte über Gespräche mit dem Berliner Trainer Lucien Favre hielten sich eine ganze Weile, und letztlich – und wohl auch nach Verhandlungen, die noch vor Leverkusens letztem Pflichtspiel, dem Pokalfinale, begonnen haben dürften – banden sie Bruno Labbadia an sich. Der HSV ist gemeinsam mit dem FC Schalke 04, der Meistertrainer Felix Magath aus dessen laufendem Vertrag mit dem VfL Wolfsburg herauslöste, der einzige Verein, der sich mit dem neuen Trend im Trainergewerbe arrangiert hat.

Warum dieser Trend für Trainer aber attraktiv ist, bleibt jedoch in manchem Fall unbeantwortet. Während Martin Jol (Ajax Amsterdam), Felix Magath (Schalke 04), Bruno Labbadia (HSV) und Christoph Daum (Fenerbahce Istanbul) sich jobmäßig zumindest nicht verschlechterten, haben Hans Meyer (vermutlich Rente), Friedhelm Funkel und Bojan Prasnikar (noch arbeitslos) kurzfristig nicht unbedingt Vorteile aus ihrer Kündigung gezogen (wobei nicht bekannt ist, ob sie nicht noch vor Wirksamwerden der Kündigung für sie günstige Abfindungen aushandeln konnten).

Was aber auch für Trainer wie Funkel und Prasnikar, die zwar nicht zur europäischen Trainerelite zählen, aber beide mehrere nicht erfolglose Jahre in der Bundesliga aufweisen können, gilt, ist der Gewinn der persönlichen und beruflichen Unabhängigkeit.

Von Béla Guttmann, dem legendären ungarischen Trainer, der Anfang der sechziger Jahre Benfica Lissabon zweimal zum Gewinn des Europokals der Landesmeister führte, ist bekannt, dass er sich, bis auf wenige (nicht glückliche) Ausnahmen, stets nach zwei Jahren von seinen Vereinen trennte, um trotz seines Berufs des Fußballtrainers, der ihn von Vorständen abhängig machte, unabhängig zu bleiben. Der Soziologe Detlev Claussen hat diese Lebensmaxime des Holocaust-Überlebenden Guttmann in einer Biografie („Béla Guttmann. Weltgeschichte des Fußballs in einer Person“) deutlich herausgearbeitet. „Ich habe stets daran gedacht, dass eines Tages alles zu Ende sein muss. Und dieser Gedanke hat verhütet, dass ich mich in den Wolken verstieg“, sagte Guttmann einmal. „Ich bin rechtzeitig als Spieler abgetreten, ich habe rechtzeitig die Clubs gewechselt, und ich werde rechtzeitig als Trainer abtreten.“

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