Mit einem etwas älterem, aber seinem aktuellsten Buch zeigt sich Detlev Claussen von einer gänzlich anderen Seite und liefert damit interessanten Stoff: die Biografie des jüdischen Fußballspielers und Erfolgstrainers Béla Guttmann .

Detlev Claussen, Adorno-Schüler, Lehrbeauftragter für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie an der Universität Hannover und Herausgeber zahlreicher interessanter Veröffentlichungen zu Antisemitismus, Nationalismus und Kritischer Theorie zeigt sich in seinem aktuellsten Buch von einer gänzlich anderen Seite. Es geht um Fußball, mit dem der passionierte indirekte-freistoss.de-Leser Detlev Claussen bisher überhaupt nicht in Verbindung gebracht werden konnte.

Zumindest nicht veröffentlichungstechnisch. Umso mehr erstaunt es, dass Claussen – passend zum WM-Jahr – ein Buch vorgelegt hat, dessen Hauptprotagonist schon längst nicht mehr bekannt zu sein scheint und eine Geschichte vorlegt, die glücklicherweise so gar nicht recht in den nationalen Taumel dieser Tage passen mag: Béla Guttmann – ungarischer Fußball-Ästhet bei MTK Budapest, Hakoah Wien und in den USA, später Erfolgstrainer bei Twente Enschede, in England und vor allem bei Benfica Lissabon. 30 Jahre lang war er Coach in zehn verschiedenen Ländern, u. A. Nationaltrainer Ungarns, Österreichs, der Niederlande, Italiens, Brasiliens, Uruguays und Portugals. Und: er war Jude.

1899 in Budapest geboren, modernisierte Guttmann den damals als „Donaufußball“ bekannt gewordenen Offensivstil der ungarischen und österreichischen Teams. Er galt als Kosmopolit, Weltenwanderer, brachte dem Weltfußball taktische Gepflogenheiten, technische Versiertheit und Freude am Spiel bei und galt jahrzenhntelang als Instanz auf dem Gebiet des schönen Kickens. Wien und Budapest waren zu dieser Zeit die Zentren der europäischen, damals durchaus kosmopolitisch geprägten Fußballszene. Österreich und Ungarn waren mit die ersten Nationen, die das professionelle Spielen eingeführt hatten – ganz im Gegensatz zum Nachbar Deutschland, das sich noch lange nach 1945 dem „schmutzigen, unehrlichen“ Profi-Geschäft verwehrte und damit die Linie des nationalsozialistischen Antikapitalismus auf anderer Ebene bis zur Gründung der Bundesliga weiterführte.

Guttmann war eine Legende, eine Autorität auf dem Platze, der den damals erst sich im Aufwind befindenen Fußball revolutionierte und nichts vom quälenden Kampf und hohen Bällen halten mochte. Ihm wird das 4-2-4 zugeschrieben, welches Brasilien eine internationale Dominanz in den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren sicherte. Doch hinter der Geschichte Guttmanns im speziellen, wie der Geschichte der Juden Europas im allgemeinen steht immer auch die Shoa, der von Deutschen begangene Zivilisationsbruch. Auch deswegen wollte Guttmann seine Geschichte noch Mitte der 60er-Jahre nicht in einem deutschsprachigen Fußball-Buch lesen. Die Quellen schweigen sich aus über Guttmanns Überleben des Holocaust als Jude in Budapest. Auch Claussen weiß darüber wenig zu berichten. Sicher ist nur, dass Guttmann sich vor den Nazis und den ungarischen Faschisten verstecken musste und Glück hatte, als derartig öffentlich bekanntes Gesicht nicht denunziert und deportiert worden zu sein. Sein Bruder, mit dem Guttmann noch während des ersten Weltkriegs aktiv zusammen spielte, wurde noch 1945 in einem KZ ermordet.

Nun liegt also ein deutschsprachiges Fußball-Buch über Béla Guttmann vor und es ist Claussen zu Gute zu halten, dass er immer wieder den Antisemitismus anreißt, der dem Zionisten Guttmann und dem jüdischen Team von Hakoah Wien oder dem MTK Budapest, für die er sich zu seiner aktiven Zeit das Trikot überstreifte, damals entgegenschlug; dass er die nationalsozialistische Vernichtung zugunsten einer unpolitischen Rezeption nicht vergisst und so die Biografie Béla Guttmanns – trotz des auch im Buch immer wieder auftauchenden Fußball-Pathos – nicht nur aus der Perspektive des Fußballs bewertet und darstellt. Auch die Fußballgeschichte ist nicht immer eine schöne Nebensache, sondern Teil der Weltgeschichte, die den Fußball nie unberührt gelassen hat. Die Biografie Guttmanns ist somit weit mehr als nur eine Geschichte über einen Erfolgstrainer und Fußballstar Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie ist eine Geschichte des Fußballs und eine Geschichte der Verhältnisse zu dieser Zeit. Schon alleine deswegen ist dieses Buch, das eben jene Geschichte nachzuzeichnen versucht, unbedingt lesenswert.

Detlev Claussen: Béla Guttmann. Weltgeschichte des Fußballs in einer Person (Berenberg 2006)

(Die Rezension erschien 2006 im Conne Island-Newsflyer Nr. 133)

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