Nov
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Eigentlich war angedacht, dass ich hier vielleicht eine Art Sprachkurs über türkische Fußballbegriffe mache, und das wird vielleicht auch geschehen, aber nicht in diesem ersten Artikel. Stattdessen werde ich etwas über “Die großen Drei” (Fußballvereine der Türkei), also Beşiktaş, Fenerbahçe und Galatasaray Istanbul (wohlgemerkt in alphabetischer Reihenfolge) schreiben. Diese drei Vereine und ihre identitätsstiftende Bedeutung für Türken in der Türkei als auch in der türkischen Diaspora erscheint mir als ein interessantes Thema, auch für Leute, die sich darüber noch nie Gedanken gemacht haben.
In Deutschland werden “Türken” meist als ein monolithischer Block gesehen, wenn eine Unterscheidung gemacht wird, dann meistens nur die Bildungsschicht und gesellschaftliche Herkunft betreffend. Türken selbst sehen sich in der Regel nicht so.
Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten “Stamm” ist in der Bevölkerung der Türkei, die zu einem großen Teil von Nomadenstämmen abstammt, immer noch von enormer Bedeutung. Wenn man jemanden kennenlernt ist die erste Frage nicht nach dem Beruf, wie es in Deutschland meist verhält, sondern die Frage “Nerelisin?” (sprich: närrälissinn?) – “Woher kommst Du?” Sobald man eine Antwort gegeben hat, hat der Fragesteller eine vorgefasste Meinung, gegen die man von dem Moment an ankämpfen muss. Es sei denn, man kommt aus derselben Gegend, ist Angehöriger desselben Stamms, dann besteht sogleich eine Grundverbundenheit, obwohl man sich noch nicht kennt.
Die zweite Frage ist dann aber fast immer die Frage nach der Mannschaft. Und hier kommt es zu Verbrüderungen unter Angehörigen verschiedener “Stämme”. Fast jeder Einwohner der Türkei hält zu einem der drei großen Mannschaften aus Istanbul. Das gilt auch für die kurdischen, armenischen, jüdischen und sonstigen Minderheiten der Türkei. Einzig die Lasen haben mit Trabzonspor einen eigenen Verein, der in vielen Spielzeiten eine realistische Chance hat um die Meisterschaft mitzuspielen. Doch selbst viele Lasen halten eher zu einem der großen drei Vereine aus Istanbul und nicht zu ihrem “eigenen” Verein.
Sicher deutlich über 90 % der Einwohner der Türkei halten zu einem der großen Drei. Es ist auch nicht so wie in Deutschland, dass ein Stuttgarter für den VfB oder ein Kölner für den FC ist. Eigentlich jede/r ist für Beşiktaş, Fenerbahçe oder Galatasaray Istanbul, unabhängig davon, woher er/sie kommt. Man hat dann vielleicht einen “zweiten Verein”, man ist dann für einen der großen drei und den Verein der Heimatstadt, das ist aber auch, wenn überhaupt. Selbst wenn, ist der “zweite Verein” der Verein aus der Heimatstadt und so gut wie nie der Club aus Istanbul. Diese “stammesübergreifende” identitätsstiftende Funktion der großen Drei ist ein entscheidender Grund, dass die Türkei keine noch ausgeprägtere tribalistische Struktur hat.
Natürlich kommt es so zu einer Dreiteilung der Bevölkerung, da aber jede/r auch Anhänger der jeweils anderen beiden Vereine in der Verwandtschaft hat, ist diese Dreiteilung nicht so ausgeprägt, wie es sonst wäre. (Mal abgesehen von den “Ultras”, anteilig machen sie aber nicht so viel aus, da fast jede/r Fan eines Vereins ist.) Selbst die ursprünglich vorhandene gesellschaftliche Zugehörigkeit der einzelnen Fangruppen ist kaum mehr vorhanden, da viele schon in der x-ten Generation Anhänger eines Vereins sind und man daran nicht erkennen kann, welcher Bevölkerungsschicht sie angehören.
Grob gesagt konnte man früher die Anhänger so einteilen: Beşiktaş-Anhänger kamen oft der städtischen Arbeiterschicht oder waren einfache städtische Beamte, Fenerbahçe-Anhänger kamen eher vom Land und Galatasaray hatte die meisten Anhänger aus der Oberschicht. Doch das galt vielleicht noch in den 50er und frühen 60er Jahre. Inzwischen ist diese Einteilung nicht mehr vorzunehmen.
Jeder Verein hat Fans in jeder Bevölkerungsgruppe, unabhängig von der Bildung, den Einkommensverhältnissen und der Religion. Man ist Fan. Und Frau auch.
Okay, das soll es gewesen sein.
Kommentare
1 Kommentar zu “Die großen Drei”
super Beitrag, vielen dank